Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wormser Nibelungenfestspiele: Brynhild, we are so sorry!
> Die Eröffnung der Wormser Nibelungenfestspiele will die
> Geschlechterklischees der Sage auflösen. „Brynhild“ bietet letztlich
> jedoch allzu viel Trash.
Bild: Die Regentinnen: Laina Schwarz als Kriemhild und Lena Urzendowsky als Bry…
Erinnern Sie sich noch? An die lustige „Batman“-Serie aus den 60er Jahren,
worin Schläge noch synchronisiert wurden? Mit Bang, Tschrrr, Krach? Nun,
zum Auftakt der Nibelungenfestspiele erlebten diese Soundeffekte ein
Revival, diesmal in einem American Diner Marke Hollywood, in dem sich
Sigurd mit anderen prügelt.
Doch damit nicht genug der Popzitate: Neben den transparenten und knallig
roten Wänden des Fast-Food-Schuppens sieht man einen Kombi mit
Flammenapplikationen, wie man sie aus dem Männlichkeitsstreifen ever,
„Manta, Manta“, kennt. Raufereien und geile Autos, das klingt schon sehr
nach Machokulisse – und soll es auch. Denn die will die Autorin des
Auftaktstücks „Brynhild“, Maria Milisavjević, so richtig ins Wanken
bringen.
Gleiches gilt für [1][die Regisseurin Pınar Karabulut], die gegenüber der
taz äußert: „Das Nibelungenlied ist ein männlicher Blick auf eine
Geschichte; so muss die stärkste Frau der Geschichte erst einmal
vergewaltigt werden, damit sie sich einem Mann unterwirft. Diese tradierten
Narrative müssen überdacht und neu gelesen werden. Mir ist es wichtig,
von diesem Gewaltporno gegen Frauen* auf Theaterbühnen wegzukommen und
neue Darstellbarkeiten zu denken“.
Der deutscheste aller deutschen Mythen um Verrat und Gewalt, Leidenschaft
und Eifersucht nimmt an diesem Abend daher zunächst einen ganz anderen
Verlauf. Nachdem Sigurd (Bekim Latifi) auf Geheiß seines Ziehvaters den
Drachen tötet, wird ihm aufgetragen, sich ein Königreich untertan zu
machen. Angekommen am Hof der isenländischen und titelgebenden Herrscherin
(Lena Urzendowsky), soll er diese zum Kampf herausfordern.
## Die Dame weigert sich zu kämpfen
Nun folgt aber der verwunderliche Coup. Die starke und eigenwillige Dame
weigert sich zu kämpfen, ist des Abschlachtens und des üblichen Verlaufs
der schon so oft erzählten Handlung überdrüssig. Deswegen lehrt sie den
Heros die Vorzüge von Mitmenschlichkeit und Liebe, sodass dieser bald
bekennt: „Ich kann nicht mehr die Realität eines anderen leben.“ Gegen
das Schicksal aufzubegehren stellt also das Motto der Uraufführung dar,
mitsamt der scheppernden Dekonstruktion der dem Nibelungenlied
innewohnenden heteronormativen Matrix. So! Zu Recht!
Nur, wie bricht man aus den verhärteten Strukturen aus? Um dem utopischen
Novum des Textes gerecht zu werden, versetzt die Regie das Arrangement in
einen Sci-Fi-Raum mit schrillen Farben. Rechts neben der besagten
Burger-und-Pommes-Bude erstreckt sich eine violett gehaltene Bühne mit
mehreren Treppen und Podesten, dahinter befindet sich eine gigantische
Leinwand für Liveaufnahmen und allerlei sonstige Filmchen. Die Figuren
tragen glitzernde Kostüme mit bunten Perücken, erinnern an Typen aus „Star
Wars“ oder anderen Raumfahrtmovies.
Dass sie bewusst gegen den Strich gebürstet sind, sieht man zum einen an
ihrer teils geschlechtslos anmutenden Aufmachung, teils am Unterlaufen
gängiger Charakterprofile. Hagen wird beispielsweise von der
People-of-Color-Actrice Ruby Commey verkörpert, Gunnar (Simon Kirsch)
wiederum erscheint als blutsaugender Wiedergänger aus „Interview mit einem
Vampir“, was ja durchaus noch passt, nutzt er doch auch in der altbekannten
Geschichte Sigurd aus, um mithilfe von dessen Stärke Brynhild zu bezwingen.
Mit Musik zugekleistert
Und da man die Sage gänzlich durchrütteln will, wird das Spiel mit queeren
Figuren sodann noch von einer Band (Daniel Murena, Martin Tagar, Oliver
Bersin) mit reichlich Bass und oft bizarren Synthesizerklängen gerockt.
Oder um es klarer zu sagen: Der Abend wird in fast jeder Minute mit Musik
geradezu zugekleistert.
Dieses Zuviel des Guten scheint symptomatisch für die katastrophale
Gesamtkonzeption oder Nichtkonzeption zu sein. Wir werden regelrecht
geflutet mit allerlei Referenzen und überhaupt bunten – Hauptsache,
schrägen – Bildern. Nur was sollen all die losen Versatzstücke? Was erzählt
uns ein American Diner über die Nibelungen? Warum müssen so [2][viele
Denglisch sprechen]? Oh, I’m so sorry, Daddy … wake up … ey, ihr Bitches!
Zudem: Welchen interpretatorischen Mehrwert hat die Aufnahme einer Figur,
die sich mit dem Ventilator Wind ins Gesicht bläst? Und warum sehen wir die
Leute des Wormser Hofes anfangs in blauen Bademänteln? Wieso muss Brynhild
wie in der Verfilmung von Patrick Süßkinds „Das Parfum“ orgiastisch von
allen Anwesenden niedergestreckt und vergewaltigt werden?
Zugegeben, was sich hier als neuer Ansatz geriert, erweist sich als
gigantisch aufgebauschter Trash. Vielleicht kann über die verpoppte und
versemmelte Realisierung zumindest die weitere Story noch hinwegretten,
erhofft man sich. Aber vergebens. Nachdem Sigurd nach der kurzen
Harmonieepisode mit Brynhild auf die intrigante Truppe um Gunnar trifft,
wiederholt sich der alljährliche Fluch des Schatzes. Die Isen-Regentin wird
unterworfen, Kriemhild sinnt auf Rache. Nur Sigurd muss in dieser Version
nicht dran glauben. Er duckt sich nach der Verschwisterung der beiden
betrogenen Königinnen gemeinsam mit den anderen feigen Herren weg.
Sterben muss nur die Frau, nämlich Brynhild. Aber halt! Ihren Suizid,
mündend in die einzig starke Szene des Abends, ihre Beerdigung, macht die
Inszenierung umgehend rückgängig. Die Protagonistin ersteht wieder auf.
„Warum“, fragt sie sodann mit didaktischem Impetus das Publikum, „zieht i…
eure Kraft aus dem Blut anderer?“ Bevor das Licht ausgeht, küsst sie noch
Kriemhild und Sigurd. Liebt euch, so die erste Botschaft. Gegen das Los
lässt sich opponieren, so die zweite. Es braucht keine Hinrichtung von
Frauen mehr, um der Welt zur Erkenntnis zu verhelfen, so die dritte.
Überzeichnung und Verfremdung
Also alles auf Anfang? Man würde den Impuls gern ernst nehmen, wenn die
Inszenierung und die stilistisch allzu plakativ gehaltene Bühnenfassung
innovatives Potenzial mit sich brächten. Hier und da trifft man auf ein
passendes Bild. Etwa wenn Sigurd am Wormser Hof wie ein Roboter, ein Sklave
seiner Einflüsterer marschiert. Oder wenn sich die beiden Regentinnen bei
ihrem gemeinsamen Empowerment für einige Augenblicke synchron zueinander
bewegen. Doch diese wenigen Einfälle gehen unter in einem darstellerischen
Design, das nur Überzeichnung und Verfremdung kennt.
Wie gern erinnert man sich angesichts dessen an vergangene Uraufführungen
zurück? Man denke nur an Roger Vontobels archaische Deutung des Mythos, der
2018 in „Siegfrieds Erben“ seine Figuren noch wirklich die tiefen
menschlichen Tragödien durchleiden ließ und der mithilfe eines mongolischen
Sängers eine markerschütternde Stimmung erzeugte. [3][Ähnlich überzeugend
fiel seine Inszenierung im letzten Jahr aus,] als er die Nibelungenwelt in
einer Wasserbühne spiegelte. Buchstäblich mussten die Figuren immer wieder
in ihre inneren Untiefen abtauchen oder sich gewissermaßen submarin
verschwistern oder verschwören.
Weder spürt man in „Brynhild“ etwas von der Kraft einer stringenten
Komposition noch einer inneren Auseinandersetzung mit den großen
erschütternden Gefühlen und Zwangslagen der Legende. Statt aus ihr
organisch eine Idee herauszuarbeiten, trat man hier in die missliche Falle,
dem Stoff auf Teufel komm raus zeitgenössische Diskurse aufzuoktroyieren.
Man fragt sich: Haben wir uns tatsächlich nichts mehr zu erzählen? Und
genügt es, die eingefahrenen Stereotype dieses und anderer Klassiker allein
dadurch zu entlarven, dass man ihn zur Karikatur verformt? Die Antwort
lautet: Nein! Existenziell und dringlich scheint im zweiten Teil des Abends
daher nur ein Wunsch zu sein: Hoffentlich ist es bald vorbei.
9 Jul 2023
## LINKS
[1] /Theater-und-Integration/!5895176
[2] /Neuer-Roman-von-Philipp-Winkler/!5827294
[3] /Nibelungenfestspiele-in-Worms/!5865428
## AUTOREN
Björn Hayer
## TAGS
Theater
Bühne
Der Ring des Nibelungen
Theater
Theater
Theater
Theater
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nibelungen-Festspiele: Siegfrieds Blut wird nicht gerinnen
Regisseur Roger Vontobel inszeniert in Worms mit Wucht „Der Diplomat“.
Antworten auf Fragen unserer Zeit gibt er nicht.
Performance von Florentina Holzinger: Mensch, Natur, Maschine, Pommes
Die Uraufführung von Florentina Holzingers Performance „Kranetude“ am
Berliner Müggelsee war unvergesslich, verstörend – und ließ Fragen offen.
Theaterstück über Klassismus: Lieber nicht darüber reden
„Juices“ am Nationaltheater Mannheim ist ein imposanter Text über
Klassismus. Er offenbart das menschliche Gesicht hinter dem Politischen.
Abschied vom Deutschen Theater: „Da muss man Druck aufbauen“
Intendant Ulrich Khuon verlässt das DT in Berlin und legt in Zürich ein
Zwischenspiel ein. Ein Gespräch über Gemeinschaft und Diversität am
Theater.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.