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# taz.de -- Neueröffnung der Sophiensäle Berlin: Bilder der Hoffnung bauen
> Andrea Niederbuchner und Jens Hillje sind die neue künstlerische Leitung
> der Berliner Sophiensäle. Das Eröffnungsprogramm verband Kunst und
> Performance.
Bild: Wie eine Skulptur aus Porzellan wirkt das Schlussbild von „Radical Hope…
Etwas Seltsames kann die Kunst sein. Schillerend, schön, rätselhaft und
doch auch kitschig. Das Schlussbild von Stef Van Looverens Performance
„Radical Hope – Eye to Eye“ gleicht einer lebensgroßen Skulptur aus
Porzellan. Zwei Figuren sitzen fast symmetrisch, die Köpfe einander
zugeneigt, in einer mit einem Herzen verzierten großen Schachtel. Der
glänzende Schimmer ihrer Haut geht auf ein Bad im silbrig grauen Schlamm
zurück, das beide zuvor genommen haben, um dann mit Korsagen bekleidet zu
werden und mit hohen Schuhen an den Füßen dieses Bild zu stellen. Das
Publikum hat derweil einzelne Blüten ausgeteilt bekommen, die nach und nach
dem die Liebe darstellenden Paar zu Füßen gelegt werden können.
Stef Van Looveren ist ein non-binary artist, 1992 geboren, aus Antwerpen,
der/die bisher mit Video und Installationen gearbeitet hat. Seine/ihre
Performance „Radical Hope – Eye to Eye“ bildete am ersten
Dezemberwochenende [1][so etwas wie einen programmatischen Auftakt zur
Wieder-Eröffnung der Sophiensäle unter der neuen künstlerischen Leitung von
Andrea Niederbuchner und Jens Hillje]. Denn zu ihrem Programm gehört es
sowohl, queeren Lebenswelten und Fantasien eine Bühne zu bieten als auch an
den Schnittstellen zwischen bildender Kunst und Performance zu arbeiten.
„Radical Hope“ war ein anspielungsreiches visuelles Spektakel. Verletzlich
scheinen die Performer*innen in ihren Kostümen der Nacktheit.
Sexspielzeuge werden zur Waffe, mit einem silbernen Dildo haut ein Faun
unter großer Mühe auf eine überlebensgroße Maske ein. Frauen schwenken ihre
Häupter und lange Zöpfe fliegen umher, sodass man an das Schlangenhaupt der
Medusa denkt. Ein Körper ist mit Wachs abgeformt und mit Kerzen geschmückt,
Pomp funebre goes Pop. Das Publikum, das zwischen den einzelnen Stationen
wandeln kann, schaut länger einer Frau zu, die mit gespreizten Beinen in
dunkler Erde sitzt und schreit wie bei einer Geburt. Andere Figuren werden
mit Wasser aus Amphoren beschüttet.
Viele Assoziationen aus der antiken Mythologie, aus dem biblischen Garten
Eden, aus der Malerei des Orientalismus und des Surrealismus stellen sich
ein. Die gestellten Bilder sind mit erotischer Spannung aufgeladen, ein
Hoch von Sensation liegt in der Luft, eine gespannte Erwartung wird noch
vom Sound angetrieben. Die Figuren durchlaufen Stadien der Verwandlung, ihr
Charakter oder ihr Geschlecht ist oft uneindeutig. Es ist eine
Auseinandersetzung mit Gendervorstellungen, die letztendlich doch sehr im
Dekorativen verbleibt.
International und interdisziplinär vernetzt
Andrea Niederbuchner ist Kulturmanagerin, Kuratorin und Produzentin, die in
Berlin fast zehn Jahre lang für [2][das Festival Tanz im August] gearbeitet
hat. Der Dramaturg Jens Hillje hat mit [3][Thomas Ostermeier,] [4][Sasha
Waltz] und Jochen Sandig ab 1999 zehn Jahre lang die Schaubühne mitgeleitet
und später mit [5][Shermin Langhoff] das Gorki Theater. Beide sind
international und interdisziplinär vernetzt. Die Sophiensäle leiten sie nun
nach einer Sanierungspause zusammen mit der langjährigen Geschäftsführerin
Kerstin Müller.
[6][Ihr Programm versteht sich nicht als Neuerfindung der Sophiensäle,
sondern will anknüpfen an deren Geschichte]. Postkoloniale Missverhältnisse
zu thematisieren gehört ebenso dazu wie die Schnittstellen von Kunst und
Aktivismus.
Begrenzte Mittel
Allerdings müssen sie davon ausgehen, wie sie bei einem Pressetermin
erläuterten, dass die ökonomischen Mittel ihren Spielraum einschränken. Die
Sophiensäle sind in der Konzeptförderung des Senats. Sie veranschlagten
ihren Bedarf mit 3,2 Millionen im Jahr, die Fördersumme aber weist eine
Deckungslücke von 500.000 Euro auf. Durch Nachverhandlungen gelang es ihnen
zwar, zumindest eine Mietkostensteigerung aufzufangen, die Mittel für den
Produktionsetat aber reichen nicht für genügend Neuproduktionen.
Eine Konsequenz, die sie daraus ziehen, ist die Reduktion der Vorstellungen
im Jahr. 140 Vorstellungen können man stemmen, war ihr Fazit bei dem
Pressetermin; aber nicht mehr 240 wie in den Jahren vor der Pandemie.
Darunter leiden dann Aufgabenbereiche wie: Künstler*innen fair bezahlen,
Nachwuchs fördern, Produktionen nachhaltig mit Wiederaufführungen ansetzen.
Der syrisch-deutsche Performance Künstler Enad Marouf gehört zu denen, für
die Orte wie die Sophiensäle wichtig sind: Seine ästhetische Sprache ist
zart und nachdenklich. Seine Performance „In My Hand a Word“, von Ewa
Dziarnowska und Steph Quinci aufgeführt, gleicht einer Meditation über
wenige Sätze, die um Verluste kreisen. Mit Wiederholungen gesprochen bildet
der reduzierte Text das Schrumpfen einer Welt nach.
Dass dahinter eine Erfahrung von Exil und Fremdheit stecken könnte, kann
man sich dazu imaginieren. Die Performance selbst ist nicht narrativ. Die
Positionen, die Steph Quinci und Ewa Dziarnowska einnehmen, im schräg
gestellten Licht und mit zwei kleinen Metallobjekten, scheinen sich auf
einen Hintergrund zu beziehen, der dann doch etwas sehr im Vagen bleibt.
Etwas ratlos bleibt man zurück.
Antigones Agentin
Das war auch der Fall bei einem weiteren Beitrag zur Eröffnung, der in
Kooperation mit dem KW Institute of Contemporary Art entstanden ist.
[7][Dort läuft eine Ausstellung der kubanisch-amerikanischen Künstlerin
Coco Fusco], der unter anderem interessante Filmbeiträge über Überwachung
und Propaganda in Kuba zeigt, über die Erinnerungen von politischen
Gefangenen und über eine Stimmung der Trauer und Enttäuschung, die sich dem
Stadtbild Havannas eingeschrieben hat.
In der Performance, die für die Neueröffnung des Sophiensäle entstanden
ist, tritt Coco Fusco selbst auf und spielt recht witzig eine Agentin und
Managerin von Antigone. Die antike Dramenfigur, die sich dem Gesetz des
Königs Kreon widersetzt, ist dabei nur im Video zu sehen, sie residiert in
einer Art Zwischenwelt, zwischen Hades und Spa.
Die verschiedensten Künstler, Aktivisten und politischen Gruppierungen
haben Fragen an Antigone, würden sie gerne für ihre Proteste und
Widerstandleistungen einspannen. Könnte sie sich nicht mal gegen den
Kapitalismus äußern?, fordert im Videocall ein Mann, der keinen Satz ohne
„fuck“ rauskriegt. Sei es sicher, dass Antigone eine Frau war, fragt der
Paketbote. Warum hat sie nicht gegen die Sklavenhaltergesellschaft ihrer
Zeit protestiert?
„Antigone is not avaiable right now“ ist der Titel der Performance. Und das
ist oft auch die Antwort ihrer Agentin auf all die Anliegen. Ein wenig
amüsant ist die Show schon, weil sie dem Aktivismus in der Kunst, der vor
allem Statements abgeben will, ironisch begegnet und die
Instrumentalisierung der Figur Antigone als Ikone des Widerstands vorführt.
Antigone hat genug davon. Was ihre Figur aber will, außer in Ruhe gelassen
zu werden, bleibt im Vagen.
Bühne für den Diskurs der Szene
Dies ist nun kein schwärmerisches Resümmee des Neustarts in den
Sophiensälen. Was unter anderem daran liegt, dass die Formate bildender
Künstler im Theaterraum in Dramaturgie und Rhythmus etwas lahm daherkommen.
Das soll aber nicht dagegen sprechen, dass die Sophiensäle ein wichtiger
Ort als Bühne und für den Diskurs der künstlerischen Szene sind.
Dem Publikum merkt man an, dass es interessiert und involviert ist; die
Kantine, die ehemalige Kantine in dem alten Handwerkervereinshaus, ist zu
einem Ort der Begegnung geworden. Das Haus bringt seine eigene politische
Geschichte mit, die von Emanzipation und Teilhabe der Handwerker erzählt;
darauf bezog sich Jens Hillje in seiner Eröffnungsrede. Um daraus die
Hoffnung abzuleiten, mit den Formaten in der Kantine dort mehr ins Gespräch
zu kommen, wo sich Fronten in den Konflikten der Gegenwart verhärtet haben.
17 Dec 2023
## LINKS
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[7] /Die-Kunst-der-Woche/!5958202
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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