# taz.de -- Puppenspiel am Deutschen Theater: Die Rache des Magister Frickl | |
> Die neuen Stars am Theaterhimmel heißen Maria und Max von Trüb. Hinter | |
> ihnen stehen die Puppenspieler Nikolaus Habjan und Neville Tranter. | |
Bild: Neville Tranter (l.) und Nikolaus Habjan lassen in „The Hills Are … | |
Die Klappe ganz weit aufzureißen, sperrangelweit, als ob sie mit dem | |
nächsten Happs ein großes Stück aus der Welt beißen könnten – dazu sind … | |
Klappmaulpuppen, mit denen Nikolaus Habjan und Neville Trenter ins Deutsche | |
Theater gekommen sind, geradezu prädestiniert. Die schuhgroßen Unterkiefer | |
sind ihr ausdrucksvollstes Instrument. Dass sich ihre Mimik sonst nicht | |
verändern kann, man glaubt es kaum. Meint vielmehr zu sehen, wie Glück und | |
Triumph, Sorgen und Angst, Hinterlist und Rachegefühle ihre Gedanken | |
dominieren. | |
Der aus Australien stammende Puppenspieler [1][Neville Tranter] (geboren | |
1955) war der Lehrer von [2][Nikolaus Habjan], der als Regisseur und | |
Puppenspieler seit gut zehn Jahren Theater für Erwachsene macht, u. a. in | |
Wien, Graz, Bayreuth und Dortmund. Beide sind mit Stücken bekannt geworden, | |
die sich mit der faschistischen Geschichte Österreichs und ihrer | |
[3][langanhaltenden Verdrängung] beschäftigen. Einige dieser Inszenierungen | |
entstanden am Schauspielhaus Graz, wo [4][Iris Laufenberg seit 2015/16 | |
Intendantin] war. Nun ist sie Intendantin am Deutschen Theater in Berlin | |
und hat hierhin drei der Stücke mit den großmäuligen Puppen mitgebracht. | |
## Er ist der Sohn eines Nazis | |
Den Anfang machte am Samstagabend „The Hills are alive“, von Habjan und | |
Tranter zusammengespielt. Der Text stammt von Tranter, die Geschichte | |
spielt in einer österreichischen Amtsstube, der Ausländerbehörde für | |
Immigranten. Das alte Ehepaar Maria und Max von Trüb, das einst auf der | |
Flucht vor den Nazis nach Amerika auswanderte, möchte nach Österreich | |
zurück. Vor allem Maria, mit den umwerfenden Gesten einer Diva, die ihr | |
Alter verleugnet, hofft auf eine herzliche Aufnahme, ist ihre Geschichte | |
doch von Hollywood verfilmt worden. Doch Magister Frickl, zuständig für | |
ihre Einbürgerungspapiere, denkt gar nicht daran. Er ist der Sohn eines | |
Nazis, dem es einst nicht gelang, die Flucht der singenden Familie von Trüb | |
zu verhindern. Und er will jetzt Rache. | |
Die Konstruktion der Geschichte bezieht sich zum einen auf ein legendäres | |
[5][Hollywoodmusical, „The Sound of Music“] von 1965. Es erzählte sehr | |
rührselig die Geschichte der realen Trapp-Familie, die singend durch die | |
Salzburger Landschaft tobt, bevor sie vor den Nazis in die USA fliehen | |
muss. Das darin vermittelte kitschige Österreichbild ist bis heute in den | |
USA und in der Salzburger Tourismusindustrie sehr lebendig. Auch wenn man | |
den Musicalfilm nicht kennt, begreift man bald, dass die Puppenakteure | |
Parodien von Hollywoodklischees sind, die mit großer Lust auskosten, was | |
sich eben nur Klischees erlauben dürfen. | |
Zum anderen aber ist das Stück eine Satire auf die Politik der | |
Stigmatisierung von Immigranten heute. Magister Frickl, äußerst | |
empfindlich, wen ihn jemand auf seine Ähnlichkeit mit Hitler anspricht, | |
wendet üble Tricks an, um die von Trübs als illegale Immigranten | |
abzustempeln. Unter anderem Erpressung, Ausgraben von Fehltritten, | |
Aufforderung zur Denunziation. | |
## Er bellt die Souffleuse an | |
Eigentlich ist die Geschichte tragisch. Nicht nur wegen des Schicksals des | |
alten, zurückgewiesenen Paares, sondern mehr noch, weil die Realität der | |
zunehmenden Abschottung Europas gegen Migranten ja präsent im Raum steht | |
und durch das löchrige Gewebe des Stücks scheint. Und dennoch sitzt man die | |
meiste Zeit da und lacht. | |
Tranter und Habjan schaffen das auf viele Weise. Da ist der Sprachwitz: Sie | |
spielen auf Englisch (mit deutschen Übertiteln), aber lassen den Magister | |
Frickl zum Beispiel mit einem harten österreichischen Akzent und wütendem | |
Suchen nach den Worten vorgehen, sich in Wiederholungen verfangen und die | |
Souffleuse anbellen. Sie agieren mit dem Publikum, ahnen seine Reaktionen | |
und beschimpfen es. Sie spielen die Momente des Theaters im Theater aus, | |
wenn die eine Figur einem Höhepunkt ihrer Rolle zustrebt und ihr der von | |
der Konkurrenz geklaut wird. | |
Denn die Puppen spielen nicht nur einfach eine Rolle, sondern zugleich auch | |
das Verhältnis des Darstellers zu dieser Rolle. Very sophisticated. Auch | |
die Unvollständigkeit des Puppenkörpers, der zum Beispiel keine Beine hat, | |
wird gelegentlich ins Spiel geworfen. Aber trotz dieser offenen Reflexion, | |
dass alles nur eine Illusion ist, erzeugen von Habjan und Tranter, die mit | |
ihren Händen die Puppenmünder bewegen, mit ihren Stimmen die vielen Rollen | |
sprechen und immer sichtbar sind. Die Illusion funktioniert. | |
Im Film „The sound of Music“ streichelt Julie Andrews als Maria, während | |
sie singend über eine österreichische Weide in den Bergen streift, eine | |
kleine Ziege. In „The Hills are alive“ hat sich das Leben des Ziegenbocks | |
nachhaltig verändert. Er schreibt Maria ein Leben lang glühende | |
Liebesbriefe. Dieser heimliche Verehrer macht sie glücklich. Dass er ein | |
Ziegenbock ist, erfährt sie erst jetzt. Eine Wendung der Geschichte, die | |
vielleicht auch dem geschuldet ist, was gerade das Puppentheater besonders | |
gut kann: Tiere sprechen lassen. | |
8 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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