# taz.de -- Buch von Esther Slevogt: Bergung eines verlorenen Schatzes | |
> Es ist ein Buch über die aufregende Geschichte des Deutschen Theaters | |
> Berlin, das viel über die Potenziale der Kunst erzählt. | |
Bild: Heiner Müller inmitten des Ensembles bei den Proben zur „Hamletmaschin… | |
Vorhang auf: Die Bühne betritt eine neue bürgerliche Öffentlichkeit. Teil | |
von ihr sind Künstler jüdischer Herkunft, die als Schauspieler, Autoren, | |
Regisseure, Theatergründer und Mäzene wichtige Rollen übernehmen und so dem | |
gesetzlichen Anspruch auf Gleichberechtigung und Partizipation Ausdruck | |
geben. | |
Dass diese Emanzipation wesentlich war für die Gründung des Deutschen | |
Theaters in Berlin 1883 ist eine der vielen Geschichten, die Esther Slevogt | |
in ihrem wunderbar erzählten und gut recherchierten Buch „Auf den Brettern | |
der Welt. Das Deutsche Theater in Berlin“ herausarbeitet. | |
Doch schon die Generation der Gründer erlebte antisemitische Anfeindungen | |
und Verleumdungen. | |
## Inszenierungen, Kritiken, Kulturpolitik | |
Esther Slevogt erzählt über das Haus, die Immobilie, die Ausstattung, die | |
Inszenierungen, die Schauspieler:innen, das Publikum, die Kritiken, die | |
Kulturpolitik. Die Theaterleiter sind ihre wichtigsten Protagonisten, unter | |
ihnen Otto Brahm, Max Reinhardt, Wolfgang Langhoff, Dieter Mann. | |
Dabei schafft sie es mit Blick auf den Spielplan, was auf der Bühne | |
gespielt wurde stets in ein Verhältnis zur deutschen Geschichte, zu | |
politischen und ideologischen Diskursen zu setzen. Das ist eine besondere | |
Leistung ihres Buches. | |
So eckte Otto Brahm, der mit Gerhart Hauptmann und Henrik Ibsen den | |
Naturalismus und damit das Elend der Proletarier und den moralischen | |
Verfall der gehobenen Klassen auf die Bühne brachte, bei den Konservativen | |
im Kaiserreich an. [1][Max Reinhardt] setzte ab 1905 auf ästhetische | |
Erfahrungen, die sich gegen Ideologien sperrten und dem Humanismus neuen | |
Raum geben wollten. Er entdeckte die Stücke von Lenz und Büchner wieder und | |
setzte damit dem militaristischen preußischen Geist etwas entgegen. | |
## Deutungsspielräume offen halten | |
[2][Wolfgang Langhoff] versuchte im Kalten Krieg, die Deutungsspielräume | |
offener zu halten, als die Partei es vorsah. Sein Haus, inzwischen | |
Staatstheater der DDR, stand unter besonderer Beobachtung durch die SED und | |
die Stasi, nicht zuletzt, weil weiter ein Teil des Publikums aus Westberlin | |
kam, obwohl das Ostberliner Theater dort als „Volksverhetzer“ beschimpft | |
und zum Boykott aufgerufen wurde. | |
Dieser zermürbende und oft auch demütigende Kampf Langhoffs wird | |
detailliert, aber auch voller Empathie für den Mann beschrieben, den seine | |
Erfahrungen unter den Nazis trotz allem auf ein besseres Deutschland in der | |
DDR hoffen ließen. | |
Esther Slevogt ist selbst Theaterkritikerin (unter anderem für die taz) und | |
hat das Deutsche Theater schon in den 1980er Jahren besucht, als sie als | |
Studentin nach Westberlin gekommen war. Sie erzählt mit der Überzeugung von | |
jemand, der einen verlorenen Schatz bergen will. Und es gelingt ihr | |
anschaulich, der doch flüchtigen Kunst des Theaters ein Gesicht zu geben. | |
## Was der Name des Theaters sagt | |
Das „Deutsche“ im Namen des Theaters verfolgt Slevogt auch mit Blick auf | |
den Umgang mit den Autoren der deutschen Klassik. Sie klopft die | |
historischen Inszenierungen und was von ihnen im Echo der Kritik und in | |
anderen Archivmaterialien überliefert ist darauf ab, wie Kleist und Goethe | |
etwa mit nationalistischen Gedanken in der Zeit des Nationalsozialismus | |
aufgeladen wurden. | |
Und wie sich die Regisseure in der jungen DDR um Lesarten kümmerten, die | |
etwa Kapitalismuskritik und Emanzipationsverlangen sehen ließen. [3][Sie | |
erzählt, dass Stücke wie „Dantons Tod“ von Büchner zur Auseinandersetzung | |
mit dem Machterhalt ehemaliger Revolutionäre werden konnten, die keine | |
Verbindung zu ihrem Volk mehr haben]. | |
Deshalb ist ihr Buch nicht nur eine kenntnisreiche Lektüre über dieses eine | |
Haus, sondern auch über die Bedeutung, die Theater lange haben konnte. Man | |
lernt das Theater, gerade in der Zeit der DDR, als Institution kennen, die | |
mit vielen Widersprüchen umgehen musste und dafür sensible Instrumente | |
entwickelte. | |
## Neue sozialistische Klassik | |
Oft muss man staunen über das lange Ringen um Stücke und Inszenierungen, | |
die etwa die Versuche des Intendanten Wolfgang Langhoff begleiteten, eine | |
neue sozialistische Klassik zu schaffen, [4][mit Peter Hacks, Heiner Müller | |
und dem Dramaturgen Heinar Kipphardt]. Sie recherchierten im Alltag, | |
benannten Probleme, suchten nach Lösungen und wurden immer wieder von einer | |
Parteilinie ausgebremst, der schon die Problemschilderung zu viel | |
Abweichung von ihrer behaupteten sozialistischen Wirklichkeit war. | |
26 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
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