# taz.de -- Atomphysiker J. Robert Oppenheimer: Die Arbeit des Teufels tun | |
> Der „Vater der Atombombe“ ist wieder aktuell. Die kulturhistorische | |
> Würdigung reicht von Heinar Kipphardt bis hin zu Christopher Nolans Film. | |
Bild: J. Robert Oppenheimer zog sich nach dem Zweiten Weltkrieg in die Forschun… | |
Der Name des Physikers J. Robert Oppenheimer, der als „Vater der Atombombe“ | |
in die Geschichte eingegangen ist, aber eine viel differenziertere | |
Erinnerung verdient, ist Jüngeren kaum noch geläufig. Der von Christopher | |
Nolan gedrehte Film, der jetzt in die Kinos kommt, holt ihn zurück ins | |
kollektive Gedächtnis. Und da kann man interessante Zeitsprünge und | |
Vergleiche wagen. | |
## 1942: Manhattan Project | |
Ausgangspunkt ist 1942, als der damals 38-jährige Oppenheimer die | |
wissenschaftliche Leitung des streng geheimen Manhattan-Projekts im Los | |
Alamos Laboratory übernahm und weit ablegen in der Wüste von New Mexico | |
3.000 Mitarbeiter zu motivieren wusste, die erste Atombombe zu bauen. Die | |
Regierung der Vereinigten Staaten, 1941 in den Krieg eingetreten, war | |
besorgt, dass deutsche Wissenschaftler, vor 1933 führend auf dem Gebiet der | |
Atomphysik, an einer solchen Waffe für die Nazis arbeiten würden. | |
Oppenheimer, der jüdisch-deutsche Vorfahren hatte und in den 1920er Jahren | |
in Göttingen, dem Mekka der Atomphysik, studiert hatte, wollte das | |
verhindern; mit einem Team der besten Physiker erdachte und testete er eine | |
Waffe mit ungeheurer Wirkung, die verharmlosend „the gadget“ genannt wurde. | |
Die Befürchtung, Hitler könnte den Amerikanern zuvorkommen, war | |
gegenstandslos und mit der Kapitulation des „Dritten Reiches“ endgültig | |
erledigt. | |
Doch die US-Regierung trieb die Entwicklung der im Grunde fertiggestellten | |
Bombe (Codename [1][Trinity]) weiter. Oppenheimer leitete den ersten Test | |
auf dem White Sands Missile Range am frühen Morgen des 16. Juli 1945 und | |
war auch an der Auswahl möglicher Ziele in Japan beteiligt. | |
Angesichts des nie gesehenen Feuersturms („heller als Tausend Sonnen“) soll | |
der literarisch bewanderte Physiker aus der hinduistischen Bhagavad Gita | |
zitiert haben: „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.“ | |
Die Potenz „seiner“ Waffe zur Selbstzerstörung des Menschen war ihm völlig | |
bewusst. | |
## 1954: Das Hearing | |
Ob sie den Ausgang des Zweiten Weltkriegs, der in Asien ja weiterging, | |
entschied, ist bis heute umstritten und wird von der Geschichtsschreibung | |
überwiegend verneint. Oppenheimer bereitete der Abwurf von „Little Boy“ und | |
„Fat Man“ über Hiroshima und Nagasaki größte Selbstzweifel – mussten f… | |
die Demonstration amerikanischer Stärke so viele Menschen ihr Leben lassen? | |
Und wenn es schon um die Sowjetunion ging, hätten da nicht weitere | |
demonstrative Atomtests gereicht? | |
Präsident Truman nannte ihn eine Heulsuse, der Kalte Krieg hatte längst | |
begonnen. Oppenheimers Vorschlag war eine Agentur mit der Aufgabe, die | |
weltweite militärische und zivile Nutzung der Atomenergie internationaler | |
Kontrolle zu unterwerfen: „Wenn die Mathematiker ausrechnen müssen, ob ein | |
bestimmter Test nicht vielleicht die Atmosphäre in Brand setzt, werden die | |
nationalen Souveränitäten ein bisschen lächerlich. Die Frage ist, welche | |
Autorität ist unabhängig und mächtig genug, die nationalen Staaten oder | |
ihre Gruppierungen daran zu hindern, sich umzubringen. Wie ist eine solche | |
Autorität herstellbar?“ | |
Das war eine Illusion, weil Stalins Russland, zur anderen Weltmacht | |
aufgestiegen, dieses Vorhaben ebenso wenig mittrug. Im anhebenden | |
Wettrüsten mit der UdSSR, die 1949 ihren ersten erfolgreichen Test | |
absolvierte, wandte sich der Physiker dem Gedanken zu, man müsse „mehr und | |
bessere“ Atombomben bauen, um die globale Gefahr des Atomtodes per | |
nuklearer Abschreckung zu verringern. | |
Aus moralischen Gründen wandte sich Oppenheimer strikt gegen die von seinem | |
einstigen Studienkollegen und aktuellen Rivalen Edward Teller | |
vorangetriebene „Super“-Wasserstoffbombe, eine noch weit verhängnisvollere | |
Massenvernichtungswaffe. Doch er blieb loyal zur Anordnung der | |
US-Regierung, diese Waffe zu bauen und sie in Flugzeugen und U-Booten | |
einsatzbereit zu halten. Hintergrund war, dass der Kalte Krieg in Korea in | |
einen heißen Stellvertreterkrieg übergegangen war. | |
Zu diesem Zeitpunkt begannen [2][FBI-Chef Edgar Hoover] und Senator Joseph | |
McCarthy ihre Hexenjagd gegen vermeintliche (Ex-)Kommunisten, zumal | |
Sowjetspione wie Klaus Fuchs im Manhattan-Projekt aufgedeckt worden waren. | |
Nach einem langen Hearing 1954 entzog man auch dem einstigen „Fellow | |
traveller“ Oppenheimer die ihm bis dahin gewährte Sicherheitsgarantie, was | |
eine weitere Tätigkeit im Atomprogramm ausschloss. Persönlich schwer | |
getroffen, zog er sich in die Forschung zurück. | |
Unterdessen – und damit nähern wir uns dem Jahr 1964 – gingen in Westeuropa | |
Hunderttausende gegen die militärische und bald auch zivile Nutzung der | |
Atomenergie auf die Straße. Angesichts der Dauerspannung zwischen | |
Washington und Moskau, die in Konflikten um Berlin und speziell bei der | |
Kubakrise an den Rand einer atomaren Katastrophe geführt hatte, wurden die | |
paranoiden Auswüchse des Antikommunismus deutlich und die Argumente für | |
eine verbale und tatsächliche atomare Abrüstung stärker. | |
## 1964: Die Dokumentation | |
1964 eroberte das Stück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ des damals | |
42-jährigen deutschen Schriftstellers Heinar Kipphardt west- und | |
ostdeutsche Bühnen und von dort fast die ganze Welt. Braune Kontinuitäten | |
im Westen hatten den studierten Mediziner nach Ostberlin übersiedeln | |
lassen, wo er erste literarische Lorbeeren erntete, aber 1956 mit der SED | |
in Konflikt kam. Zurück im Westen, brachte das genial konstruierte und | |
spannend in Szene gesetzte Dokumentarstück, das auf den Protokollen des | |
Oppenheimer-Hearings von 1954 beruhte, den Durchbruch. | |
(Das ursprüngliche Fernsehspiel des Hessischen Rundfunks kann man in einer | |
3sat-Aufnahme anschauen.) | |
Anders als Bertolt Brecht im „Leben des Galilei“ und in Friedrich | |
Dürrenmatts „Die Physiker“ benutzte Kipphardt das nüchterne Protokoll und | |
weitere Dokumente, um an diesem Einzelfall exemplarisch den Grundkonflikt | |
zwischen Wissenschaft und Herrschaft herauszuarbeiten. Oppenheimer, der das | |
Stück übrigens gar nicht mochte, kommt dabei nicht als Held heraus, sondern | |
in der ganzen Ambivalenz seines widersprüchlichen Handelns und seiner | |
persönlichen Charakterschwächen, zu denen eine scharfe Arroganz gehörte. | |
Kipphardts Freund Peter Hacks prophezeite dem Stück einen großen Erfolg – | |
„auf Grund eines Irrtums. Nämlich ich bin sicher, dass sich die Publikume | |
der Welt mit I.R.O. <Oppenheimer> identifizieren werden als mit einem, der | |
das Gute will, wie sie, und der nichts dafür tut, wie sie, und der so | |
schrecklich hart damit bestraft wird, dass man ihm, gleich ihnen, nicht | |
gestattet, Amerika zu regieren. Das ist nicht boshaft, jedenfalls nicht | |
gegen Dich. Alle großen Erfolge beruhen auf Missverständnissen.“ | |
## 2023: Der Film | |
Was das 2023 Zuschauern eines mutmaßlichen Blockbusters noch zu sagen haben | |
könnte, will [3][Christopher Nolans Film „Oppenheimer“] deutlich machen. | |
Zum einen brachte der Ukrainekrieg die Möglichkeit des Einsatzes atomarer | |
Waffen, auch mit einem Angriff auf ukrainische Atomanlagen, täglich in die | |
Nachrichten. | |
Wladimir Putin und sein Sprachrohr Dmitri Medwedjew drohen offen damit und | |
zeigen ihre Instrumente bei Militärparaden vor, was seine Wirkung im Westen | |
nicht verfehlte: Die einen fordern eine noch klarere Unterstützung für den | |
Sieg der Ukraine, die anderen verlangen sofortige Waffenruhe und | |
Verhandlungen. | |
Die meisten Militärexperten glauben nicht, dass Putin das Risiko eines | |
„begrenzten Atomkriegs“ eingeht, aber lange nicht mehr war die Drohung der | |
nuklearen Selbstauslöschung der Menschheit so präsent wie seit 2022. | |
Nicht nur diese Kontinuität ist bemerkenswert, die durch die Proliferation | |
der Atomwaffen in durchaus unzuverlässige Staaten und das Risiko des | |
Nuklearterrors unterstrichen wird, auch die Veränderung im Verhältnis von | |
Wissenschaft und Politik, die Kipphardts Hauptthema war. | |
Im Schlussplädoyer lässt er Oppenheimer seine „Überloyalität“ zur Regie… | |
selbstkritisch bekennen: Verrat habe er begangen, aber nicht an seinem | |
Land. Er fragt, „ob wir den Geist der Wissenschaft nicht wirklich verraten | |
haben, als wir unsere Forschungsarbeiten den Militärs überließen, ohne an | |
die Folgen zu denken.“ Die Schlussworte lauten dann aber: „Wir haben die | |
Arbeit des Teufels getan, und wir kehren nun zu unseren wirklichen Aufgaben | |
zurück.“ | |
Zu den wirklichen Aufgaben zurückkehren? Das bestärkt den Quietismus von | |
hochspezialisierten Wissenschaftlern, die zu ihren Aufgaben zurückkehren, | |
obwohl sie Alarm schlagen müssten. Christopher Nolan hat die Tüftler der | |
Big-Five-Unternehmen im Blick, die unverdrossen an der [4][Perfektionierung | |
künstlicher Intelligenz] arbeiten, ohne nach deren Sinn und unheilvollen | |
Folgen zu fragen. | |
Der wichtigste Unterschied zum Manhattan-Projekt besteht wohl darin, dass | |
die direktive Kraft wissenschaftlicher Expertise noch heute viel dringender | |
staatliche Regulierung fordert, aber das Vertrauen in diese Expertise bei | |
den einen übergroß („follow the science“) ist und den anderen | |
(„alternative truths“) völlig verloren gegangen ist. Beides führt zu | |
wildwüchsiger Entpolitisierung. | |
Kipphardt zitiert aus einem TV-Interview Oppenheimers, in dem er ausführt, | |
was man auf die jahrelange Verleugnung gefährlichen Klimawandels beziehen | |
kann: „Die mögliche Apokalypse ist eine Realität unseres Lebens. Wir wissen | |
das, aber wir kapseln dieses Wissen ein. Es scheint uns nicht akut. Wir | |
meinen, es hat noch Zeit. Aber wir haben nicht viel Zeit.“ | |
21 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Trinity-Test | |
[2] /Spielfilm-ueber-Billie-Holiday/!5762374 | |
[3] /Christopher-Nolans-Film-Oppenheimer/!5945288 | |
[4] /Faschismus-durch-kuenstliche-Intelligenz/!5938774 | |
## AUTOREN | |
Claus Leggewie | |
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