# taz.de -- Interview Göttinger Erklärung: "Propaganda für die Atomforschung" | |
> Der Politologe Robert Lorenz hat das Anti-Atomwaffen-Statement der 18 | |
> Physiker von 1957 aufgearbeitet. Die äußerten sich nicht so | |
> uneigennützig, wie sie es darstellten. | |
Bild: Kämpfer für die Atomforschung: Otto Hahn, Walther Gerlach und Carl Frie… | |
taz: Herr Lorenz, warum rollen Sie diesen frühen Anti-Atomwaffen-Protest | |
noch mal auf? | |
Robert Lorenz: Die Göttinger 18 werden oft sehr einseitig als moralische | |
Helden gefeiert. So auch am 50. Jahrestag der Göttinger Erklärung, 2007. | |
Ich studierte damals gerade in Göttingen und wurde neugierig: Die | |
Protestler waren allesamt Professoren der Atomphysik und wirkten auf den | |
ersten Blick wie sehr vergeistigte Menschen. Mit dicken Brillengläsern | |
saßen Otto Hahn, Max Born oder Werner Heisenberg den ganzen Tag im Labor | |
oder am Schreibtisch. Sie galten als unpolitisch, haben es aber trotzdem | |
geschafft, die Politik aufzumischen. | |
Die Doktorarbeit, die Sie kürzlich dazu vorgelegt haben, beginnt mit: | |
"Konrad Adenauer tobte innerlich." | |
Das tat er auch, denn damals war gerade Bundeswahlkampf, und Adenauer | |
wollte wiedergewählt werden. Dass plötzlich 18 berühmte Atomwissenschaftler | |
in einer Erklärung die Atompolitik der Bundesregierung attackierten, konnte | |
er überhaupt nicht gebrauchen. | |
Was genau kritisierten die Professoren? | |
Dass Adenauer die Atombombe als schlichte Weiterentwicklung der Artillerie | |
bezeichnet hatte. Dabei hatten Atomwaffen schon damals das Potenzial, die | |
menschliche Spezies auszurotten. Deshalb gaben besagte 18 Professoren eine | |
zweiseitige Erklärung an die Presse, in der es hieß, dass schon eine | |
einzige Atom oder Wasserstoffbombe das Ruhrgebiet unbewohnbar machen | |
könnte. Sie wollten der Bundesregierung das Versprechen abringen, | |
Atomforschung nicht zu militärischen Zwecken zu missbrauchen. | |
Hat das funktioniert? | |
Der politische Tumult war groß: Adenauer sagte zu, zunächst auf Atomwaffen | |
zu verzichten. Die CDU sah sich genötigt, ihre Politik zu rechtfertigen. Im | |
Geheimen gingen die Verhandlungen mit Italien und Frankreich über eine | |
gemeinsame Atombombenproduktion allerdings weiter. | |
Hatte die Göttinger Erklärung gar keine Folgen? | |
Doch. Neben dem großen Medienecho bewirkten die Professoren, dass die | |
Gefahren einer atomaren Bewaffnung Deutschlands in der SPD, den | |
Gewerkschaften und der evangelischen Kirche stärker diskutiert wurden. | |
Die Professoren bezeichneten sich als "Nichtpolitiker". Warum stellten sie | |
trotzdem politische Forderungen? | |
Die Wissenschaftler waren dafür verantwortlich, dass Militärs diese Waffe, | |
die sie entwickelt haben, nun auch benutzen konnten. Insofern leiteten sie | |
daraus die Pflicht ab, die Politik zu kontrollieren und die Öffentlichkeit | |
zu informieren. Oft werden sie als allerdings verantwortungsvolle | |
Wissenschaftler verherrlicht, die Courage bewiesen haben, indem sie sich | |
gegen das staatliche Handeln auflehnten. Aber es gab noch andere Motive. | |
Welche? | |
In den 1920ern war Robert Oppenheimer, der spätere Vater der Atombombe, als | |
Doktorand bei Max Born hier in Göttingen. Auch der Entwickler der | |
Wasserstoffbombe, Edward Teller, hat bei Born studiert. Und die | |
Atombombenabwürfe über Japan waren 1957 gerade erst zwölf Jahre her. Im | |
Prinzip war die Göttinger Erklärung eine große Propaganda-Aktion gegen das | |
Image der Atomforschung als Wissenschaft des Todes. | |
Was schrieben die Professoren in der Erklärung über die Gefahren der | |
zivilen Nutzung von Atomkraft? | |
Die haben sie schön geredet. Vielleicht weiß man durch Tschernobyl und | |
Fukushima heute auch mehr über die Gefahren von Atomenergie. Aber sie | |
wussten auch damals schon, dass Atomreaktoren große Risiken bergen. Es gibt | |
Briefe, in denen sich die Professoren untereinander austauschen, ob man | |
diese Risiken ansprechen soll, solange niemand danach fragt. Sie taten es | |
nicht. Die Erklärung endet mit der Forderung, die friedliche Verwendung der | |
Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern. | |
Verzögerten die Forscher damit eine kritische Meinungsbildung in der | |
Öffentlichkeit? | |
Ja. Da sie Experten der Naturwissenschaft waren, glaubte man, dass sie | |
beurteilen könnten, dass Atomkraft nicht gefährlich sei. Die Göttinger 18 | |
wären sicher die größten Feinde der heutigen Anti-Atom-Bewegung. Weil sie | |
aber gegen eine militärische Nutzung eintraten, feierte man sie damals als | |
Ikonen der Friedensbewegung - bis heute. | |
Welche Rolle spielte der "Friedensphilosoph" Carl Friedrich von Weizsäcker? | |
Er war die treibende Kraft hinter der Göttinger Erklärung. Danach schrieb | |
er für Zeit und Spiegel über die Frage, wie sich die beiden Blöcke im | |
Atomzeitalter verhalten sollten, damit es nicht zur Eskalation käme. Das | |
hat sicher dazu beigetragen, dass er am Starnberger See sein eigenes Max | |
Planck Institut bekam. | |
Hat er die Göttinger Erklärung also aus Karrieregründen initiiert? | |
Es gibt Indizien, die dafür sprechen. | |
Warum wurde er aber ausgerechnet Atomphysiker? | |
Werner Heisenberg, der geringfügig älter war und deshalb sein Mentor werden | |
konnte, lockte ihn in die Atomphysik. Es war ja noch die Pionierzeit - | |
große Entdeckungen waren zu machen und Nobelpreise zu gewinnen. Das | |
schaffte von Weizsäcker aber nicht. Er war nicht schlecht, doch er konnte | |
nie bis zur Spitze vordringen. | |
Also suchte er sich ein anderes Gebiet? | |
Ja. Er hat während des Zweiten Weltkrieges skizziert, wie Atomwaffen | |
funktionieren können, und sie zum Patentamt gebracht. | |
Warum? | |
Er hat versucht, sich die Herrschaft über dieses Wissen zu sichern, um | |
damit operieren zu können. Er scheint geglaubt zu haben, Hitler dadurch | |
pazifistisch beeinflussen können. Später hat Friedrich von Weizsäcker sicht | |
entschuldigt und gesagt, das sei naiv gewesen. Aber an der Idee, dass | |
Wissenschaftler die Politik beeinflussen können, hielt er fest. | |
Wie kam es dann zur Göttinger Erklärung? | |
Die Briten, die ihn vorher interniert hatten, haben ihn nach dem Zweiten | |
Weltkrieg nach Göttingen geschickt. Er hat das nicht freiwillig | |
entschieden. Und er hatte hier auch nicht seine beste Zeit. An der | |
Universität zum Beispiel hat er vergeblich versucht, Reformen | |
durchzuführen. Er hat auch geschrieben, dass er in der Zeit zu Depressionen | |
neigte. Dann aber hat er ein Alleinstellungsmerkmal gefunden: Mit der | |
Göttinger Erklärung präsentierte er sich der Öffentlichkeit als einer der | |
wenigen Atomwissenschaftler, die philosophische Gedanken anstellten - er | |
avancierte zum hoch geachteten Friedensphilosophen. | |
Sein Bruder Richard trat in den 1950ern in die CDU ein. Warum ging | |
Friedrich von Weizsäcker nicht auch in die Politik? | |
Noch 1957 hat die CDU ihm ein Bundestagsmandat angeboten. Vielleicht, um zu | |
zeigen: Wir haben uns mit den Göttinger 18 ausgesöhnt. Das hat er aber | |
ausgeschlagen und sich auch später immer von der offiziellen Politik fern | |
gehalten. Nur so konnte er als unabhängig und unbestechlich gelten. | |
Die Göttinger Erklärung wird oft als Manifest bezeichnet. Warum glauben | |
Sie, dass sich diese Form politischer Einmischung nur für berühmte Menschen | |
eignet? | |
Wenn plötzlich 18 namhafte Professoren, vier davon Nobelpreisträger, solch | |
einen Appell exklusiv an die Frankfurter Allgemeine und die Deutsche | |
Presseagentur schicken, ist die Medienaufmerksamkeit natürlich größer, als | |
wenn das weniger elitäre Leute tun. Zudem haben nur zwei von ihnen die SPD | |
gewählt. Alle anderen standen der CDU oder FDP nahe. Das war ihr Vorteil: | |
Das wirkte doppelt. | |
Könnte eine Expertengruppe, vielleicht anlässlich der nächsten | |
Atomkatastrophe, mit einem Manifest heute ähnlich viel Wirbel machen wie | |
1957? | |
Heute wäre es weit weniger spektakulär, wenn sich Professoren äußerten, | |
auch im Kollektiv. Einfach, weil die Konkurrenz durch andere Experten und | |
Medienereignisse wesentlich größer ist als damals. Die Leute hatten ja 1957 | |
noch gar nicht alle einen Fernseher. Heute hat man darüber hinaus auch noch | |
das Internet, wo sich jeder zu allem äußern kann. Trotzdem: Wenn sich heute | |
Experten zusammen tun, könnten sie durchaus Druck auf die Regierung | |
ausüben. Es müssten sich Leute finden, denen die Kompetenz dafür zutraut | |
wird - und die eben nicht zu den üblichen Verdächtigen gehören. | |
9 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Alexander Kohn | |
## TAGS | |
Atombombe | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Atomphysiker J. Robert Oppenheimer: Die Arbeit des Teufels tun | |
Der „Vater der Atombombe“ ist wieder aktuell. Die kulturhistorische | |
Würdigung reicht von Heinar Kipphardt bis hin zu Christopher Nolans Film. | |
Carl Friedrich von Weizsäcker: Kernphysiker und Friedensforscher | |
Vom Mitarbeiter am „Uran-Projekt“ zum Friedensforscher und | |
Anti-AKW-Aktivisten. Zum hundertsten Jubiläum des Universalgelehrten Carl | |
Friedrich von Weizsäcker. |