| # taz.de -- Performance im HAU: Rauschendes Fest für die Sinne | |
| > Wallende Stoffbahnen bekommen bei der neuen Performance von Showcase Beat | |
| > Le Mot im HAU eine Hauptrolle. Einiges erschließt sich erst im | |
| > Nachhinein. | |
| Bild: Luftschloss oder Stoffbahn? Der textile Protagonist der Performance in Ak… | |
| Ich weiß wirklich nicht, was mich erwartet. Und ich will auch gar nicht | |
| wissen, was kommt. Diese Haltung hat sich bei mir eingebürgert, wenn | |
| Showcase Beat Le Mot [1][das HAU] mit einer Performance entert. Bei „Die | |
| schwarze Mühle“ (2022) bin ich im Theaterfoyer in einem Sarg mit Rollen | |
| gelandet und dann auf die Bühne kutschiert worden. Das war dann meine | |
| Zuschauerperspektive (mit Loch im Sarg fürs neugierige Auge) bei der | |
| Annäherung von Showcase Beat Le Mot an den Jugendbuchklassiker von | |
| [2][Jurij Brězan]. | |
| Meine Sinnesorgane revanchierten sich für diese ungewöhnliche Situation, in | |
| die ich uns gebracht hatte, mit hundertfünfzigprozentigem Einsatz. Das | |
| Erlebnis war so intensiv, dass mein Körper das Kurzzeitlebensgefühl dieses | |
| Theaterabends noch heute abrufen kann: Ich war wahnsinnig im Jetzt. Die | |
| Vorstellung ein einziger langer Überraschungsmoment. | |
| Und das alles im geschützten Raum des Theaters. Und weil ich dieses | |
| Lebensgefühl gern reproduziere, bin ich Stammzuschauerin bei Showcase Beat | |
| Le Mot. Am extremsten war die geschärfte Sinneswahrnehmung bei „Dreckiges | |
| Neon Babylon“ (2021): Ich habe mich mit verbundenen Augen dem Performer | |
| Dariusz Kostyra ausgeliefert, der mich durch die Kellergewölbe der | |
| Kindl-Brauerei lotste und Situationen schuf, in denen ich den unbekannten | |
| Raum nur mit den Ohren ausmessen konnte. | |
| Vor einem Jahr dann „1000 Things Falling“: Schwerkraft kreativ gedacht. Und | |
| jetzt „The Top Five Letters of Liaisons Dangereuses“, das exakt dort | |
| beginnt, wo „1000 Things Falling“ aufhört: Vom Schnürboden fällt ein dic… | |
| Stoffpaket. Ausgebreitet bedeckt es die ganze Bühne im HAU2. Schweigend | |
| beschäftigen sich vier Performer mit dem mehrfarbigen Riesenstück Stoff. | |
| Entschleunigt drehen und wenden sie es, bis sich unter dem Tuch genügend | |
| Luft angesammelt hat und die Bühne zum Wellenmeer wird, beleuchtet von | |
| Scheinwerfern jeder Couleur, sogar rosa. | |
| Geheimnisvolle Gerätschaften | |
| „The Top Five Letters“ ist jetzt ein Fest fürs Auge, umgeben von einer | |
| demonstrativen Stille. Bis unter dem Zeltdach geheimnisvolle Gerätschaften | |
| ihren Platz finden, lautstark herangekarrt aus einer Seitentür direkt in | |
| den Zeltraum hinein. Zuerst ist es, als ob das Luft-Stoff-Konvolut laut | |
| atmen würde. Ein Schlagzeug ertönt im Riesenzelt. Als seine Schläge an | |
| Kraft gewinnen, ist es, als bekäme das Ganze eine Stimme. Und schnell ist | |
| unter den wallenden Stoffbahnen musikalisch so viel los, dass man sich | |
| vorkommt wie „Draußen vor der Tür“. | |
| Aber dann schält sich Nikola Duric aus dem Stoff, steht in Rippenunterhemd | |
| vorm Publikum und tut so, als wäre vor uns ein Riesenschloss. Was vor uns | |
| real während der Vorstellung entstanden ist, ist ein Luftschloss, ein | |
| temporärer Raum. Showcase Beat Le Mot geht es gerade um diese Metapher, für | |
| die sie ein Bild schaffen wollen. Das verstehe ich, als ich den Info-Text | |
| zur Inszenierung auf der HAU-Webseite lese. Nach dem Theatererlebnis. | |
| Erst mal konzentriere ich mich auf meine Sinnesorgane. Die werden | |
| gefordert, denn Duric lädt das Publikum zur Besichtigung des Luftschlosses | |
| ein. Neugierig schlüpfe auch ich in das Riesenzelt. Auf dem Boden leuchten | |
| kleine blaue Lichter und geben Orientierung. Über einem ist der Stoff, den | |
| man mit der Hand nach oben stupst oder übers Haar streichen lässt. Rechts | |
| das Mischpult mit Keyboard, links das Schlagzeug, in der Mitte die Bar und | |
| dazwischen viel Raum. Ich nehme einen alkoholfreien Martini, wandle und | |
| möchte gar nicht mehr raus, so poetisch-sinnlich ist das Erlebnis. | |
| Wie fiepende Hühner | |
| Auf einmal liegt der Stoff zusammengerollt auf einem großen Haufen, übrig | |
| ist eine leere Bühne mit ein paar Instrumenten sowie Musikerinnen und | |
| PerformerInnen (darunter auch [3][Barbara Morgenstern], die die Musik | |
| komponiert hat), die sich erst wie verschreckte, orientierungslose, | |
| fiepende Hühner auf dem Luftschloßrelikt drängen und dann neugierig den | |
| neuen Raum erkunden. | |
| Beim späteren Lesen des Info-Textes verknüpfe ich diesen letzten Teil der | |
| Performance inhaltlich mit Showcase Beat Le Mots wiederholtem Nachdenken | |
| über das Wesen der Revolution, das auch hier zu starken Bildern führt. | |
| Zunächst bin ich vom sphärischen Klang des Theremins ganz eingenommen. Auch | |
| der Abgang hinterlässt Eindruck: Die Riesenstoffplane wird theatral im | |
| Zuschauerraum abgelegt. Es ist wie ein Auftrag, „die Performance | |
| nach-zu-denken“. Gerade bei Showcase Beat Le Mot kann es sinnvoll sein, | |
| dass Zuschauende die intellektuelle Anstrengung zeitversetzt leisten. Damit | |
| das sinnliche Erlebnis so ungefiltert ist wie nur möglich. Es lohnt sich. | |
| 14 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katja Kollmann | |
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