# taz.de -- Inklusives Theater: Zirkus der Luftgeister | |
> Das Theater RambaZamba bespielt seinen „Aerocircus“ im Haus der Berliner | |
> Festspiele. Dabei denkt es über das Verschwinden des Menschen nach. | |
Bild: Tanz unter den Ballons von Tomás Saraceno | |
Wenn auf der Theaterkarte „Freie Platzwahl“ steht und das Haus ein | |
traditioneller Guckkasten-Bau ist, dann wird die Sitzplatzsicherung für | |
jeden zur Herausforderung. Denn das traditionelle Recht des Besserzahlenden | |
auf gute Sicht ist aufgehoben. Taylor Mac ließ das Publikum vor ein paar | |
Jahren für seine 24-Stunden-Show im Haus der Berliner Festspiele gestaffelt | |
zahlen, um dann während der Show den Zuschauersaal revolutionär | |
umzuschichten. | |
[1][Das RambaZamba Theater] setzt an der Schaperstraße auf freie Platzwahl | |
– wie zu Hause in der Kulturbrauerei. Und führt sein Publikum direkt auf | |
die dunkle und komplett leere Bühne. Nur ein Lichtkegel schwebt über den | |
erwartungsfroh rumstehenden Menschen. Der Tanz der Staubpartikel wird | |
sichtbar. Angela Winklers Stimme gräbt sich ihren Weg durch das | |
Stimmengewirr. Sie erzählt von diesem Theater in der Zukunft. Autor Thomas | |
Köck entwirft in seinem neuen Stück „Aerocircus“ das dystopische Bild von | |
der ausgestorbenen Menschheit und bricht es herunter auf dieses Theater, | |
dem die Menschen abhanden gekommen sind. | |
Köck bevölkert diesen Raum mit Luftgeistern. Der Raumkünstler Tomás | |
Saraceno mit vier durchsichtigen kinderzimmergroßen Ballons. Voller Poesie | |
ist die Anfangssequenz, in der die Erzählerstimme das erste dieser Wesen, | |
eine Pantomimin, bei ihrer Erkundung durchs Theater begleitet. So öffnet | |
sich die Tür im Eisernen Vorhang und ein zartes Wesen aus dem | |
RambaZamba-Ensemble tritt in den Taschenlampenspot (Licht: Henning Streck). | |
Es entblättert sich aus seiner Soldatenkluft und spricht mit Gesten in den | |
im Stück leeren Raum. Als die Gewöhnung daran, „als Zuschauerin auf der | |
Bühne zu sein“, und an die Dunkelheit dort vollzogen ist, öffnet sich mit | |
einem lauten Rums der Eiserne Vorhang. Es ist ein langer magischer | |
Augenblick, in dem sich der Blick auf die beleuchteten Zuschauerreihen und | |
ein Miniorchester auf dem Rang öffnet, bevor das Gerenne auf die Sitzplätze | |
losgeht. | |
Regisseur Jacob Höhne geht ab jetzt über zum Ping-Pong-Spiel zwischen der | |
großen Bühne und dem Rang: Auf der Bühne wird philosophiert und debattiert, | |
auf dem Rang wird genau das kommentiert und persifliert. Auf dem Rang geht | |
es definitiv lustiger zu als unten. Da wird das Aussterben der Menschheit | |
als Reenactment in drei Akten aufgeführt mit RambaZamba-Personal, vier | |
Musikern, drei PuppenspielerInnen von der Ernst-Busch-Schauspielschule und | |
ziemlich genialen Klappmaul-Puppen. | |
Zum allerletzten Röcheln bei der Kopulation gibt es eine Schnulze im | |
Grönemeyer-Stil, das letzte Experteninterview wird stilsicher vom „Lied vom | |
Ende“ im [2][Rio-Reiser]-Sound begleitet. Und wenn die vier Klappmaulpuppen | |
sich ans Kommentieren machen, dann kehrt Muppet-Show-Flair ein auf dem | |
Rang, als wären Waldorf und Statler in ihrer Loge wieder auferstanden. | |
Das Orakel erdet alles | |
Auf der Bühne treten auf: ein lebensgroßer, von zwei RambaZambas bewegter | |
Elefant, ein lustiges Zebra, das immer wieder auf einen Kleiderständer | |
gehängt wird, ein Zirkuswagen, der fatal nach Mutter Courage-Wagen | |
aussieht, Seilakrobatinnen, debattierwütige RambaZambas und die fast | |
achtzigjährige Ilse Ritter als Orakel. Ritter hält „den Laden“ auf der | |
Bühne zusammen. Sie erdet als Mitspielerin die Atmosphäre auf der Bühne und | |
verkörpert als Orakel die Essenz von Köcks Stück. | |
Auch sie ist Teil vom Zirkus der Luftgeister, der nur durch das Aussterben | |
der Menschheit die Chance bekommen hat, die Erde zu bevölkern. Zirkus steht | |
aber im Bühnendiskurs auch als Metapher für das Leben an sich. Das ist die | |
Klammer zwischen der dystopischen menschenleeren Zukunft und dem Heute. Die | |
These vom Zirkus ohne Auftrag kann als These vom Leben ohne Bestimmung | |
gelesen werden. Die ist bei Köck auf jeden Fall positiv besetzt. Denn, so | |
führt er in seinen pamphletartig klingenden Textteilen vor, würde sich die | |
Menschheit mit der Existenz an sich begnügen, dann wäre die Welt viel | |
besser dran. | |
Bewegend sind vor allem die Szenen, in denen das Bühnenpersonal gemeinsam | |
über das eigene Verschwinden nachdenkt. Und dann wird eine Revolution gegen | |
das bestimmende Orakel angedacht auf der Bühne. Das überlebt Ilse Ritters | |
Orakel nicht. Alleine bleibt sie auf der Bühne zurück, während die | |
Luftgeister weiterziehen. Dann regnet es Lametta vom Schnürboden. Die | |
RambaZambas genießen den Applaus, feiern sich auf der großen Bühne und | |
gehen einfach nicht ab. Geniale Umsetzung der These vom Zirkus ohne | |
Auftrag. | |
7 Dec 2023 | |
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## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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