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# taz.de -- Saisonstart am Ramba-Zamba-Theater: „Unser Erfolg hat viele ermut…
> Gisela Höhne hat das Theater RambaZamba seit 1990 geleitet. Jetzt
> übernimmt ihr Sohn Jacob Höhne. Ein Gespräch mit beiden über Politik und
> Inklusion, Literatur und Pränataldiagnostik.
Bild: Die alte Chefin und ihr Sohn: Gisela und Jakob Höhne im Theater Ramba-Za…
taz: Frau Höhne, Sie haben das Theater RambaZamba vor 27 Jahren gegründet.
Damals war in der Politik längst noch nicht so viel von Inklusion die Rede
wie heute. Hat die öffentliche Debatte ihrem Theater RambaZamba was
gebracht?
Gisela Höhne (GH): Also, die Debatte hat natürlich etwas gebracht. Die
Institutionen wurden stärker aufgefordert, mehr Geld für inklusive Projekte
zur Verfügung zu stellen, dafür mehr Raum und Aufmerksamkeit in der
Gesellschaft zu schaffen. Die Unterstützung von Menschen mit Behinderung
jeglicher Art – das machen wir allerdings schon lange.
Was konnte die Politik von Ihnen lernen?
GH: Unsere Erfahrung. Wir werden ja sehr stark als das Projekt in
Deutschland und auch europaweit wahrgenommen, dem es gelungen ist, dass
Schauspieler mit und ohne Behinderung professionell zusammenarbeiten. Das
Ganze, die eigenwillige Ästhetik, die durch die Mischung entstanden ist,
das hat unseren Erfolg ausgemacht. Und das hat viele ermutigt. Dass unsere
Schauspieler, die eine Weile bei uns waren, eine Schauspielausbildung
erhalten haben, dass man ihre Entwicklung sehen konnte. Darauf können wir
stolz sein.
Hat die Debatte auch etwas für die Protagonisten bewirkt?
Jacob Höhne (JH): Eine andere öffentliche Aufmerksamkeit hat sie auf jeden
Fall gebracht. Beim Fernsehen oder im Kino ist die Erfahrung, sich selbst
gespiegelt zu sehen, den Menschen mit Behinderung fast vollständig
genommen. Da ist die Inklusion wichtig, aber sie ist auch nur ein Stück des
Wegs, an dessen Ende sie sich wieder abschaffen muss.
Warum?
JH: Damit es dann, möglichst schnell, in Richtung einer diversen
Gesellschaft übergeht, wo man diese Sondertöpfe nicht mehr braucht. Wo es
normal ist, dass man in einem Theaterensemble alle Menschen hat und nicht
darüber nachdenkt, der hat einen Migrationshintergrund, der ist behindert
und so weiter. Das diverse Theater, das ist am Ende das Ziel.
GH: Ich glaube nicht ganz so stark wie mein Sohn daran, dass nicht mehr
darüber nachgedacht wird, woher jemand kommt oder ob er eine Behinderung
hat. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass unterschiedliche Menschen
unterschiedliche Formen von Unterstützung und Förderung brauchen. Die
Arbeitsbedingungen müssen angepasst werden. Wir merken gerade wieder,
welche Hürden es da gibt. Unsere Schauspieler brauchen mehr Zeit, mehr
Unterstützung und speziellere Angebote, als in einem normalen Theater
üblich sind. Wenn man auf diese Details guckt, dann sind die
Arbeitsbedingungen so reglementierend, dass es gar nicht zur Kunst passt
und zum Theater.
Der Regisseur Milo Rau hat mit dem Theater Hora aus Zürich gearbeitet, das
viele Darsteller mit Downsyndrom hat. Er beschäftigt sich in den „120 Tagen
von Sodom“ auch mit dem Thema Pränataldiagnostik, die das Ziel hat, zu
verhindern, dass überhaupt Menschen mit dieser Krankheit … nein, Krankheit
ist das falsche Wort …
JH: Ein Schauspieler von uns sagt immer, mit „dieser Mutation, wir sind die
Mutanten der Zukunft“.
Milo Rau beklagt da, dass wir uns Darsteller mit Downsyndrom zwar auf der
Bühne anschauen wie in einem Reservat, aber ansonsten sorgen wir dafür,
dass es das nicht mehr gibt.
JH: Die Geburtenrate ist ja um 99 Prozent gesunken. Es ist ja nicht so,
dass sie einen Defekt oder eine Krankheit haben. Die Trisomie bedeutet,
dass sie das sind, was sie sind. Das ist so grundsätzlich anders als eine
Krankheit, die wirkliches Leid hervorbringt.
GH: Wir haben uns sehr früh und mehrfach damit beschäftigt. Unter anderem
in der Komödie „Am liebsten zu dritt“, in der die Menschen mit Downsyndrom
ein Hotel überfallen, und, um nicht auszusterben, die Männer zur
Befruchtung der Downsyndrom-Frauen brauchen. Daraus entwickeln sich dann
Liebesgeschichten und Verwirrungen. Das war heiter gemacht – aber alle
begriffen plötzlich, worum es geht. Genau um diese Menschen, die es nicht
mehr geben soll. Das treibt uns um.
JH: Unsere Schauspieler haben so viel mehr zu erzählen. Da geht es nicht
nur um die Themen der Behinderung. Behindertenspezifische Themen mit
behinderten Menschen zu verhandeln interessiert mich nicht. Sondern ihren
tollen künstlerischen Ausdruck, ihre wunderbaren schauspielerischen
Fähigkeiten für Theater zu nutzen. Ich will weg davon, dass man die
Inszenierungen am Ende immer wieder auf sie zurückbricht.
Sie haben zum Teil auch ein Publikum mit Behinderungen, mehr als in anderen
Theatern, das manchmal sehr emotional reagiert. Denken Sie das bei der
Inszenierung mit?
JH: Nee, das kann man auch gar nicht. Dafür ist ein Publikum auch zu
komplex. Man macht das, was vom Erzählen der Geschichte her erforderlich
ist. Unser Wunsch ist ja auch, viel stärker das klassische Theaterpublikum
zu erreichen. Das besucht uns noch zu wenig. Aber wenn wir dann ein
Gastspiel im Berliner Ensemble haben, dann spüren wir deren Begeisterung.
Ein taz-Kollege von mir war von „König Ubu“ begeistert. Er stellte in
seiner Rezension einen Bezug her zwischen dem Wesen der Darsteller und
Jarrys kindlichen Vorstellungen. Das fanden andere ein unangemessenes
Klischee. Mir selbst geht es auch so, dass etwas in der Unmittelbarkeit der
Darsteller mich an Kinder erinnert. Was denken Sie über so eine
Formulierung?
JH: Ich finde es katastrophal, sie mit Kindern zu vergleichen. Es sind
erwachsene Menschen, die genauso ernst genommen werden müssen. Unbewusst
passiert diese Wahrnehmung oft, das liegt auch etwas an der Anatomie der
Menschen mit Trisomie. Kleine Nase, kleine Hände, etwas sehr Offenes und
emotional Direktes. Aber das ist nur ein kleiner Teil von ihnen, eine
Beurteilung nach Äußerlichkeiten. Wir haben einen Schauspieler, Johannes
Sippel, der über die Klischeehaftigkeit der Wahrnehmung von Menschen mit
Behinderung auch sprechen kann. Er sagt, ihr müsst verstehen, dass wir
Menschen mit Behinderung auch Monster sind, wir sind böse. Erst wenn man
das versteht, dann werden wir wirklich als Menschen wahrgenommen.
Jacob Höhne, Sie haben angekündigt, RambaZamba soll lauter werden als
bisher. Warum?
JH: Es ist total wichtig, dass man in so einer Stadt wie Berlin noch mal
anders wahrgenommen wird. RambaZamba startete in den Neunzigern und nannte
sich „die Landschaft der bunten Vögel“ … Da war noch nichts modernisiert,
da war standardgrauer Spritzbeton aus Ostzeiten. Dann kamen die Menschen
mit den bunten Kostümen hier rein und veränderten den Kiez. Es gab Umzüge,
man verbrannte irgendwelche Sachen auf der Straße und wurde total
wahrgenommen. Das ist verschwunden. Der Kiez ist sehr bunt geworden,
konsumbunt, und man hat in Berlin riesengroße Probleme, irgendwie noch
aufzufallen. Hier in der Kulturbrauerei über den Zaun zu rufen ist
wahnsinnig schwer.
In Ihrem Spielplan greifen Sie viele literarische Stoffe auf, wie „Moby
Dick“ von Herman Melville. Warum ist Ihnen die Literatur so wichtig?
JH: Literatur verdichtet und beschreibt anders als Alltagssprache. Themen
werden anders gefunden, Sprache wird anders gefunden; sich daran zu reiben,
das interessiert mich. Bei Melville interessiert mich die toxische
Männlichkeit und das mit „boys don’t cry“ zu verschneiden, den Problemen
der Männerwelt heute. Wie Männer funktionieren, wie die Klischees sind, das
passt genau zu „Moby Dick“.
Gisela Höhne, Sie haben die Intendanz jetzt an Ihren Sohn Jacob übergeben,
der ja auch in diesem Theater aufgewachsen ist. Von außen wirkt das sehr
logisch. Aber Sie haben gesagt, für Sie selbst war es gar nicht
selbstverständlich.
GH: Jacob wollte nie machen, was seine Eltern machen.
28 Sep 2017
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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