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# taz.de -- Besetzte Volksbühne in Berlin: Hitzige Debatten über das Morgen
> Bleiben? Gehen? Räumen? Mehrere hundert Menschen diskutieren in dem
> besetzten Theater bis 3 Uhr morgens mit dem Kultursenator.
Bild: Das soll Kunst sein: Besetzte Volksbühne in Berlin
Später sagt die junge Frau, so habe sie sich das auch nicht vorgestellt.
Als sie am frühen Abend spontan mit einigen anderen das Kommunikationsteam
gegründet habe, um für das große Plenum um 22 Uhr einzuladen, da habe sie
gedacht, man bespreche mit 30, vielleicht 40 Leuten ein paar pragmatische
Dinge: Wer schläft wo? Wer kümmert sich ums Klo? Solche Sachen.
Aber in dem holzgetäfelten Barraum im Seitenflügel der Berliner Volksbühne
sind jetzt, am späten Freitagabend, nicht 30 Leute, sondern 300. Sie sitzen
auf dem Boden, auf den Fensterbänken, stehen dicht gedrängt an den Wänden.
Und es geht nicht ums Klo, es geht um große Ganze.
Was wollen wir eigentlich hier? Wer ist wir? Wie diskutiert man
feministisch korrekt? Und das mit hunderten Leuten in einem zunehmend
stickiger werdenden Raum? Wozu gibt es diese Awarenessteams? Könnt ihr
bitte nicht rauchen? Wer führt die Rednerliste? Wäre jetzt nicht erstmal
wieder eine als Frau gelesene Person an der Reihe? Wie schafft man es, die
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz tatsächlich in ein
Anti-Gentrifizierungszentrum zu verwandeln? Und wie kann die drohende
Räumung abgewendet werden? Jetzt, um mittlerweile 23 Uhr.
Seit rund [1][acht Stunden ist das Theater besetzt]. Es ist die bisher
letzte Stufe der Eskalation im Streit um die Zukunft des weit über die
Stadtgrenzen hinaus bekannten Hauses. Denn viele fürchten, dass der neue
Intendant Chris Dercon, der die Volksbühne im Sommer von der Theaterlegende
Frank Castorf übernommen hat, das Haus in eine „Eventbude“ – wie sie es
nennen – verwandeln werde. Dass er keinen Wert auf ein Ensemble und das
Sprechtheater legen werde, sondern einfach internationale Produktionen
einkaufen wolle.
Das Künstlerkollektiv [2][„Staub zu Glitzer“], das die Besetzung nach
eigener Aussage ein dreiviertel Jahr vorbereitet hat, stellt nun seine
Performance dagegen. Es gehe darum, das Theater in Besitz zu nehmen. Und
natürlich um viel mehr als den bloßen Streit um die Intendanz.
Denn das Haus sei längst zu einem Symbol geworden für die Stadtentwicklung
als Ganzes, hatte eine Sprecherin am späten Nachmittag bei einer
Pressekonferenz verkündet. Es gehe um steigende Mieten und
Stadtentwicklung, Kommunalisierung versus Privatisierung, Raum für Kreative
und für Wohnungslose. Und, ja auch, um Theater.
Ein paar Stunden nach dem Pressestatement geht es aber erstmal um die
drohende Räumung. Es dauert ein wenig, bis im Plenum klar wird, dass seit
Stunden parallel Verhandlungen laufen – mit der Leitung des Hauses und der
Berliner Kulturverwaltung. Und dass es ein Angebot gibt. Über das man reden
könne. „Aber die haben uns eine Frist gesetzt“, berichtet eine Frau, die
aus der Verhandlungsgruppe ins Plenum gekommen ist.
Es beginnt eine heftige Debatte. Soll man die reinlassen? Soll man ihnen
zuhören? Gar mit ihnen diskutieren? Unter Zeitdruck? Immer wieder fliegen
Hände in die Luft um Zustimmung zu symbolisieren. Immer wieder ruft ein
Typ: „Bullshit“. Um viertel vor zwölf ist es soweit, es wird abgestimmt.
Die große Mehrheit im Plenum ist für ein Gespräch.
Es treten auf: Der technische Leiter der Volksbühne, der angeblich hier das
Sagen hat, aber keinen Ton sagen wird. Kulturstaatsekretär Torsten Wöhlert
als direkter Vertreter von Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Und seine
Referentin Dominique Krössin, was sich im Laufe der Nacht nicht nur wegen
des geforderten feministischen Diskurses als enormer Vorteil erweisen wird.
Wöhlert gibt den harten Hund. Das heißt, erst lobt er das Engagement, man
stehe schließlich auf derselben Seite, seit Monaten arbeite die
rot-rot-grüne Koalition aufs engste mit der freien Szene zusammen, um
Räume, Häuser für selbstbestimmtes, kreatives Arbeiten zu schaffen. Aber
hier bleiben, das ginge auf keinen Fall. Schon aus Sicherheitsgründen
nicht. Sein Angebot: „Draußen wartet der Kultursenator. Der will mit euch
über ein Ersatzobjekt reden.“ Das gebe es aber natürlich nicht sofort, das
Ganze sei ein Prozess, der beginne, der dann zu einem Ziel führen könne.
Mehrfach wird er durch laute Zwischenrufe unterbrochen. Mehrfach werden die
Zwischenrufer von den Umstehenden ermahnt, zuzuhören. Mehrfach wird von den
Besetzern klargestellt, dass man nicht gehe könne, denn schließlich sei
dieses Haus hier ein Faustpfand.
## Was will der Kultursenator?
Plötzlich steht er selbst da: der Kultursenator. Der Linkspartei-Politiker,
der sich vehement gegen die Berufung von Chris Dercon ausgesprochen hatte,
sie aber nach seinem Amtsantritt vor knapp einem Jahr auch nicht mehr
verhindern könnte. Der langjährige Landeschef der Linkspartei, die am
gleichen Abend ein paar Kilometer entfernt ihre „Linke Kinonacht“
veranstaltet, bei der die Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher mit
dem Gentrifizierungskritiker Andrej Holm diskutiert, anschließend der
Schauspieler Tom Schilling mit seiner Band Jazzkids anspruchsvollen, ja
intelligenten Pop auf die Bühne bringt, während nebenan der Klassiker des
proletarischen Films „Kuhle Wampe“ gezeigt wird – ein Programm also, das
man praktisch eins zu eins genau hier in die besetzte Volksbühne übertragen
könnte.
Lederer zieht das Jackett aus und steigt im schwarzen T-Shirt in den Ring.
Wie ein Boxer, ein leicht angeschlagener Boxer. Ein in die Enge getriebener
Boxer. Denn diese Besetzer hier, von denen keiner so aussieht wie ein
klassischer Häuserkämpfer. Die, so wie sie gekleidet sind, eher in einer
Kneipe der Linksradikalen schief angesehen würden, bei einer
Galerie-Vernissage oder Theaterpremiere aber nicht weiter auffallen würden,
all die hier, die sind eigentlich seine Leute.
Viele von ihnen werden am Sonntag bei der Bundestagswahl ohne Zweifel die
Linke wählen. Doch hier ist Lederer ihr Gegner, ob er will oder nicht. Und
es ist klar, er wird die Besetzung gegenüber der konservativen Opposition
in Berlin aus CDU, FDP und AfD verteidigen müssen, wenn er nicht
durchgreift.
Lederer geht in die Vollen. Um genau 0.16 Uhr startet er mit einer
Beschwerde, dass es hier keine klaren Ansprechpartner für ihn gebe. Um 0.17
Uhr mokiert er sich darüber, dass völlig unklar sei, was die Leute hier
wollten: die einen nur Party, die anderen eine Diskussion über Dercon, die
dritten über Stadtentwicklung. Um 0.18 Uhr ruft eine Frau dazwischen, diese
Unklarheit liege nur daran, weil er, weil Lederer so lange rumrede.
Dem Senator verschlägt es die Sprache. „Dann“, ruft er, „rede du doch“…
drückt der Frau das Mikro in die Hand und verlässt den Saal. Nach zwei
Minuten.
„Das Angebot war, dass wir, wenn wir gehen, irgendwo ein Gespräch mit einem
Menschen bekommen“, sagt wenig später eine Frau aus dem Plenum. „Nur der
ist hier gerade weggestürmt. Das ist jetzt nicht mehr so verlockend.“
Das Plenum wird unterbrochen, man muss erstmal lüften, auch die Köpfe.
Später soll es weiter gehen. Es ist halb eins. Draußen drängen sich
hunderte, die rein wollen. Oben im Roten Salon soll eine erste Party
steigen. Unten herrscht allseits Ratlosigkeit.
Auch aus der Kulturszene kommt Kritik. Der ganze Auftritt der Besetzer sein
zu unstrukturiert. „Dass die das hier seit Monaten vorbereitet haben
wollen, sieht man leider nicht“. Immer mehr junges Partyvolk mit
Bierflaschen strömt in die Räume. Man hört Spanisch, Englisch, das übliche
Berliner Kauderwelsch.
Dann ist auch Klaus Lederer wieder da. Wie er hier noch mit jemanden reden
solle, will er wissen. Was er denn machen solle? Das sei doch nur noch
Party. Drei Meter weiter schießt eine Gruppe leicht Angetrunkener Selfies
vor einer der Holzwände. Victory-Zeichen, Bierflaschen in die Kamera
haltend. Lederer schaut wenig amüsiert.
Die Nacht scheint gelaufen, als gegen zwei Uhr morgens Sarah ans Mikrophon
tritt. Die Frau, die sich als Kulturschaffende, als Autorin vorgestellt
hat, hatte schon mehrfach im Laufe der Nacht geschafft, der Diskussion
Struktur zu verleihen. Jetzt ruft sie zur Fortsetzung des Plenums. Und
tatsächlich wandelt sich plötzlich wieder die Stimmung. Wieder sitzen
hunderte am Boden, wieder wird mit Händen und Füßen diskutiert. Auch
inhaltlich.
Wieso, will eine junge Frau von Sarah wissen, spreche das Künstlerkollektiv
immer nur von einer Performance und schließe das Wort Besetzung aus? Und
ob, schiebt ein Mann nach, die Organisatoren dieser Aktion hier, denen
wegen ihrer langen Vorarbeit aller Respekt gebühre, auch bereit seien, ihre
Vorreiterrolle abzugeben, oder ob es hier doch sehr hierarchisch ablaufe?
Ein Dritter wirft ein, für ihn sei das hier gar keine richtige Besetzung,
sondern eher ein come together.
Aber Sarah schafft es, alle einzubinden, stellt „selbstverständlich“ die
Rolle des vorbereitenden Kollektives zur Debatte, bitte aber wenigstens
darum, dass man dessen Ideen zur Kenntnis nehme.
## Garantien soll es nicht geben
Dann ist auch Kulturstaatssekretär Wöhlert wieder da. Es geht um die Frage,
unter welchen Bedingungen die Besetzer bleiben könnten. Aber er bleibt
hart. Er könne keinerlei Garantien geben. „Das steht nicht in meiner
Macht“, sagt Wöhlert. „Und die beschweren sich, dass wir keine kompetenten
Ansprechpartner hätten“, murmelt einer der Besetzer.
Doch bevor die Situation wieder festfährt, ergreift mehr und mehr Wöhlerts
Assistentin Dominique Krössin das Wort. Sie zeigt Verständnis, trifft den
Ton, betont die große Sorge um die Sicherheit der Menschen hier im Theater;
sie erklärt, dass, sobald hier jemanden etwas passiere, sofort das Thema
Räumung anstehe, auch, wenn das niemand wolle.
„Sie können doch gar nicht räumen!“, ruft eine Frau unter starkem Applaus.
„Sie müssten hier mit Wasserwerfern ins Theater, das geht nicht. Und schon
gar nicht vor der Wahl am Sonntag!“
Da versucht Klaus Lederer einen zweiten Auftritt. „By the way“, beginnt er,
„glaubt denn irgendwer, wir wollten räumen? Wenn wir räumen wollten, würdet
ihr es sehen, weil ihr Augen habt. Und ihr würdet es hören, weil ihr Ohren
habt!“ Denn dann müsste doch draußen vor den Fenstern ein dichtes
Polizeiaufgebot zu sehen sein. Draußen aber drängeln sich weiter nur die
Feierlustigen auf dem Weg in den Roten Salon.
„Niemand räumt hier“, sagt Lederer. „Wir stehen hier, um zu sehen, wie m…
den Laden gemanagt kriegt“. Und dafür bekommt der wohl erste Kultursenator,
der jemals in der Nacht nach einer Besetzung im besetzten Haus stundenlang
verhandelt hat, am frühen Morgen um kurz vor 3 Uhr sogar heftigen Applaus.
Das Besetzerplenum beschließt noch schnell drei Dinge: dass sie bleiben
wollen, mindestens bis Sonntagabend. Dass es am Samstag um 14 Uhr wieder
ein Plenum geben soll. Und dass sich ein Team bildet, das sich um die
Sicherheit im Haus kümmert. Offen bleibt nur: Wer schläft wo? Und wer
kümmert sich ums Klo?
Klaus Lederer steht wenig später diskutierend in der Menge, er trinkt jetzt
auch mal ein spätes Bier. An der Garderobe wird Pizza aus Kartons
verspeist. Draußen vor der Volksbühne hat ein Flaschensammler hunderte
Bierpullen zusammengetragen. Es ist eigentlich alles wie immer in
Berlin-Mitte. Von der Polizei ist weit und breit nichts zu sehen.
23 Sep 2017
## LINKS
[1] /Theaterstreit-in-Berlin-kriegt-neuen-Pepp/!5449832/
[2] http://b6112.de
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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