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# taz.de -- Inklusives Musiktheater: Nacht der Liebe
> Im Kollektiv am stärksten: Das inklusive Theater Hora aus Zürich und das
> Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen erzählen „Tristan und Isolde“.
Bild: Am Zürichsee steht das Ensemble vom Theater Hora mit den Sängern
Ein Wal, sehr groß und grau. Er muss gerettet werden. Er klemmt in eine
Ecke zwischen Bühne und Zuschauer-Tribüne in den Sophiensälen. Schauspieler
und Sänger stürzen auf ihn zu, ziehen ihn in die Bühnenmitte, werfen
feuchten Tücher über ihn. Ganz kleine Lappen klatscht ihm die große
Sängerin Vera Maria Kremers auf den Leib, neben ihr wirken Gianni Blumer
oder Julia Häusermann, die mit großen Tüchern besorgt hantieren, nur
kindergroß.
Was groß und was klein ist, das wird gewitzt genutzt in der Inszenierung
von „Tristan und Isolde“, die das Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen
zusammen mit dem Theater Hora aus Zürich inszeniert hat. Das Theater Hora
arbeitet seit 1993 mit Darstellern, denen eine geistige Behinderung
zertifiziert wurde; sie sind aber längst auch für ihre Professionalität
bekannt. Ihr Anarchismus, das Moment der Störung und der Hemmnis werden in
„Tristan und Isolde“ gegen den Hang zum Monumentalen in Stellung gebracht,
der bei Wagner immer naheliegt.
Warum ein Wal auf die Bühne kommt? Weil in dessen Bauch am Ende alle
verschwinden können, Tristans Todessehnsucht folgend, ein Zurückkriechen in
den Mutterleib? Das ist ein schönes Bild für den Wunsch nach Auflösung und
Aufgehen in einem größeren Ganzen. Oder weil die Oper auf einem Schiff
spielt?
Im Video sieht man die Schauspielmannschaft in großer Betrübnis in Booten
über den Züricher See paddeln, den verletzten Tristan an Bord, den nur noch
Isolde heilen kann. Später bringt er sie auf einem Schiff zu König Marke
als Braut, obwohl er selbst sie liebt. Das Meer und die maritimen Metaphern
sind nie weit.
## Der emotionale Kern ist deutlich
Oder kommt der Wal ins Spiel, weil die Schauspieler „die Nachrichten
gesehen haben“, wie im Programmheft steht, und eine Mission mitbringen?
Alle spielen Isolde, und alle spielen Tristan. Auch Julia Häusermann ist
Isolde im blauen Samtkleid und Tristan im Kettenhemd. Sie stirbt sehr
berührend im Schoss eines Freundes, da achtet man auf jeden Seufzer. Die
Handlung ist vielleicht nicht immer ganz klar, das geht bei Wagner eh
schwer, aber der emotionale Kern der Konflikte in der Oper ist sehr wohl
erkenntlich. Und obwohl die Musik nur in Auszügen für Klavier und
Synthesizer gespielt wird, entfaltet sich das Ekstatische und Orgastische
der Komposition äußerst deutlich und mit Lust am Expliziten im
körperbetonten Spiel der Horas.
Vielleicht haben die Regisseurin Julia Lwowski und die Dramaturgin Maria
Buzhor etwas zu viel gewollt, wenn sie auch noch Rezeptionsgeschichte von
Wagner, seine Beliebtheit bei den Nazis sowie viel Dostojewski in die
Inszenierung packen.
## Anbetung der Sänger
Hakenkreuzwäsche wird gewaschen und den Zuschauern vor die Nase gehängt.
Später kriecht Cosima Wagner aus der Waschmaschine. Schöner sind die
Abweichungen, in denen das Hora-Ensemble sich plötzlich in Punk-Hymnen
findet, die musikalisch aus Wagner kriechen, als hätten sie dort schon
immer gewohnt und für Gesten der Selbstermächtigung Raum bieten.
Vera Maria Kremers und Armands Silins unterstützen die Produktion als
Sänger und bringen mit ihren schönen Stimmen die Höhepunkte der Wagneroper,
ihr Herbeisingen einer Nacht der Liebe, die alle Regeln des vernünftigen
und politischen Handelns außer Kraft setzt als Geschenk für das
Hora-Ensemble. Dieses versinkt in Anbetung vor dieser Musik. Selten wird
dem Wunsch nach Erhabenheit und dem Überschreiten aller Grenzen ins Maßlose
so unerschrocken begegnet.
Das Hauen und Stechen Musiktheaterkollektiv wurde 2012 in Berlin gegründet
von den Opernregisseurinnen Franziska Kronfoth und Julia Lwowski. Ihre
Koproduktion mit dem Theater Hora wurde von der Roten Fabrik Zürich und den
Sophiensälen produziert, gefördert vom Hauptstadtkulturfonds und der Stadt
Zürich. Der Berliner Premiere folgt eine in Zürich im Mai.
## Blue Curacao oder Enteiser?
Was die beiden Ensembles aus „Tristan und Isolde“ gemacht haben, ist oft
auch komisch. Eine gespenstische Gestalt, die sich später als der Pianist
Roman Lemberg erweisen wird, hantiert anfangs wie besessen mit Kanistern,
gefüllt mit verdächtiger blauer Flüssigkeit. „Enteiser“ oder „Blue Cur…
steht darauf, das Publikum soll kosten und ist nicht ohne Grund skeptisch.
Denn schließlich werden in Wagners Libretto Liebes- und Todestränke
vertauscht.
Der Tod überhaupt, man liebt seine Darstellung mindestens so wie den Kuss,
und für beides bietet die Vorlage viele Gelegenheiten. Als Tristan sich in
das Schwert seines Gegners stürzt, lässt man ihn nicht alleine sterben. Das
ganze Ensemble stellt sich an, um einer nach dem anderen den Stoß mit einem
Bühnendolch zu empfangen und in den Arme eines Freundes zu sinken. Es ist
ihr Agieren als Kollektiv, das energiegeladene Wuseln der Darsteller, ihre
offenbare Lust am Gesehenwerden und Sichentäußern, die dem Abend seine
Stärke gibt. Da darf es ruhig auch Wagner sein.
29 Apr 2019
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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