| # taz.de -- Buch über Zürcher Inklusionstheater HORA: Geduld ist Trumpf | |
| > Das Ensemble HORA ist seit mehr als dreißig Jahren aktiv. Nun widmet | |
| > sich das Buch „Je langsamer, desto schneller“ dem Zürcher | |
| > Inklusionstheater. | |
| Bild: Szene aus dem HORA-Stück „Mars Attacks!“ (2014) | |
| „Mein Freund das Theater“ steht auf Seite 61 in Großschrift. Verhalten | |
| tanzen die handgeschriebenen Buchstaben auf dem Papier. Um sie herum | |
| schweben menschliche Wesen mit eigenartigen Plateauschuhen. Dieses Bild ist | |
| eine Liebeserklärung an die Gemeinschaft von Menschen, die zusammen das | |
| [1][Theater HORA] bilden. Hat man schon einige Inszenierungen des | |
| inklusiven Zürcher Theaterensembles gesehen, ploppen sofort Erinnerungen | |
| auf an beglückende Momente. | |
| Ein extrem berührender Moment war die Inszenierung „Disabled Theatre“ aus | |
| dem Jahr 2012. Jérôme Bels Regieprinzip gab den Darstellenden Struktur und | |
| Freiheit. Das führte zu einer auf Bühnen selten erreichten Unmittelbarkeit | |
| in der (Selbst-)Darstellung und schuf darin entspannte Inseln der | |
| Selbstreflexion. „Das kranke Haus“, zehn Jahre später vom Kollektiv | |
| vorschlag:hammer in Szene gesetzt, lebte von Situationskomik und gab den | |
| Schauspielenden gleichzeitig Raum, ihre individuelle Abhängigkeit vom | |
| Gesundheitssystem zu thematisieren. | |
| Über dreißig Jahre existiert das Theater HORA nun schon, seit 1993. Da wird | |
| es Zeit für ein Resümee. Die Schublade „Postdramatisches Theater“ hat noch | |
| Platz für das inklusive Schweizer Theater. Und so widmet sich der neunte | |
| Band der Publikationsreihe „Postdramatisches Theater in Porträts“ dem | |
| Theater HORA. Stephan Stock, seit 2020 einer der künstlerischen Leiter in | |
| Zürich, und der Kulturjournalist Georg Kasch haben ein 150-seitiges | |
| Kompendium konzipiert mit einem genialen HORA-Satz als Titel: „Je | |
| langsamer, desto schneller“. | |
| Zum Glück machen die Info-Texte den kleinsten Teil des Büchleins aus. Die | |
| sind guter Standard. Was dieses Werk so sinnlich macht, sind die vom | |
| HORA-Ensemble in Handarbeit verfassten Seiten. Aus ihnen spricht der | |
| HORA-Geist. Spricht in einer wunderbaren Direktheit das an, was die Horas | |
| ausmacht. Und gleichzeitig schälen sich die Ensemble-Mitglieder in ihrer | |
| Individualität heraus. Sie werden sichtbar, weil es ihr spezieller Fokus | |
| ist, mit dem sie auf ihren Kosmos blicken. [2][Und es ist ihre eigene | |
| Handschrift, mit der sie sich ausdrücken]. | |
| ## Improvisationskunst als Identitätsmerkmal | |
| Das Buch beginnt mit einem Manifest. Ein Gemeinschaftswerk in 15 Sentenzen, | |
| die durch ihren Humanismus berühren. Wie „Jeder Mensch hat seine eigene | |
| Zeit“ und „Geduld ist Trumpf“. HORA-Mitglied Matthias Brückner sagt: „… | |
| habe ein Talent, das die Normalen nicht haben: ‚HORA-Schauspielkunst‘. | |
| Down-Syndrom bedeutet: Wir haben spezielle Fähigkeiten. Darum sind wir ins | |
| Theater HORA gekommen.“ Sein Kollege Stefan Stuber ergänzt: „Wir | |
| schreiben auch über verschiedene Themen. Wir machen eben auch noch selber | |
| Regie.“ | |
| So etablierte sich im Jahr 2013 die „Freie Republik HORA“, die innerhalb | |
| des HORA-Kosmos sechs Jahre lang einen Raum schuf, der den | |
| Ensemble-Mitgliedern radikal eigenständiges Arbeiten ermöglichte. Stephan | |
| Stock weiß: „Ein Ort, an dem Leute mit kognitiven Beeinträchtigungen gut | |
| arbeiten können, ist ein Ort, an dem auch alle anderen besser arbeiten | |
| können.“ | |
| Im Interview geht es schwerpunktmäßig um die Vereinbarkeit von | |
| konventionellen Produktionsabläufen (etwa an den Münchner Kammerspielen, wo | |
| HORA-Schauspieler*innen regelmäßig auftreten) mit den besonderen | |
| Bedürfnissen der Horas. Stock sieht Beeinträchtigung der Mitwirkenden als | |
| Hilfe und Chance, um generell mit Produktionsdruck entspannter umzugehen. | |
| Auch für sich: „Ich muss ständig für alles offen bleiben. Ich kann die | |
| Situation nicht restlos kontrollieren.“ | |
| In der Mitte des Buches versammeln sich 33 fröhliche Leute auf dem | |
| HORA-Gruppenfoto. Sieht man sich die doppelseitigen Fotostrecken zu den | |
| Inszenierungen an, trauert man um jede, die man nicht gesehen hat, so viel | |
| Kunst und Leben quillt aus den Momentaufnahmen. „Die Lust am Scheitern“ | |
| wird immer noch aufgeführt. Die Inszenierung, die von der | |
| Improvisationskunst der Beteiligten lebt, ist seit 24 Jahren im Repertoire. | |
| „Aber Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen“ nannte sich die | |
| allererste HORA-Inszenierung im Jahr 1993. Dass der Titel bis heute | |
| Programm ist im Zürcher HORA-Kosmos, hat man verstanden, wenn man durch die | |
| 150 Buchseiten lustwandelt. „Inwiefern ist das HORA ein utopischer Ort?“, | |
| fragt Interviewer Marcel Bugiel am Ende des Buches. Stephan Stock muss | |
| nicht lange überlegen: „Im HORA habe ich wirklich das Gefühl, dass jede:r | |
| willkommen ist.“ Anders, ein wenig poetischer ausgedrückt heißt das: „Mein | |
| Freund das Theater.“ | |
| 19 Aug 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katja Kollmann | |
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