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# taz.de -- Eröffnung der Bayreuther Festspiele: Mit der Dragqueen auf Spritzt…
> Wagners „Tannhäuser“ als Roadmovie? Der junge Opernregisseur Tobias
> Kratzer unterhielt damit das erlesene Bayreuther Publikum bestens.
Bild: Bei einer Performance singt Le Gateau Chocolat beim Beginn der Bayreuther…
Der rote Teppich in Bayreuth ist berüchtigt für seine seltsame Mischung aus
Glamourparodie und echter Politprominenz. Da prallen immer schon der
heilige Ernst des Festspielgedankens Wagners und die sommerlaunige Realität
hart zusammen.
In diesem Jahr nun wird die eher unfreiwillige Komik dieses Rituals zur
Selbstironie, denn nun betreten unter dem Gejohle der streng kontrollierten
Zaungäste nicht nur Angela Merkel nebst Markus Söder, Altkanzler Gerhard
Schröder und Großkünstler Markus Lüpertz den Teppich, sondern auch ein
hellbraunes Stofftier: die Maus aus der legendären Fernsehsendung! Eine
Sonderausgabe der „Sendung mit der Maus“ wird aus Bayreuth berichten, und
zum ersten Mal ist bei den Dreharbeiten im Orchestergraben ein Werk
gespielt worden, das nicht aus der Feder Richard Wagners stammte, denn
tatsächlich hat Musikchef Christian Thielemann die arrangierte Maus-Melodie
dirigiert. Noch vor wenigen Jahren wäre das ein Sakrileg gewesen.
Und irgendwie passt auf schräge Weise die fragende Maus auch zu dem, was
dann in der Eröffnungspremiere zu sehen ist, denn [1][Tobias Kratzer], ein
junger und seit knapp zehn Jahren erfolgreicher Opernregisseur, spielt
virtuos mit der Tradition des Hauses und auch der großen romantischen Oper
an sich, ihrem Pathos und ihrem Dauer-Espressivo. Dieser Frontalangriff
könnte – und zumal in Bayreuth – gründlich daneben gehen, aber Kratzer
bewerkstelligt seine Dekonstruktion mit leichter Hand.
## Die Geschäfte laufen schlecht
Wenn der Vorhang aufgeht, ist ein Drohnenflug über die Wartburg zu sehen,
das Auge fliegt mit über die sattgrüne Sehnsuchtslandschaft Thüringen. Dann
taucht auf der Leinwand ein klappriger Citroën-Kleinlaster auf, der über
eine einsame Landstraße holpert. Darin ein seltsames Varieté-Quartett: ein
trauriger Clown mit oranger Perücke, der sich alsbald als Tannhäuser
entpuppt, eine kratzbürstige Blondine im Pailletten-Jumpsuit – Venus – ein
Kleinwüchsiger im Oskar-Matzerath-Outfit (Manni Laudenbach) und eine echte
dunkelhäutige Dragqueen, die sich den schönen Namen „Le Gateau Chocolat“
gegeben hat.
Diese Anarchotruppe ist auf dem Weg zu einem erhofften Gig. Aber die
Geschäfte laufen schlecht, die Kühlbox ist leer, und so steuern die vier
einen Burger-King-Imbiss an, bestellen üppig im Drive-in, prellen die
Zeche, und als sich ein Wachmann in den Weg stellt, wird dieser kurzerhand
vom Kleinlaster umgefahren und ist tot.
Nun ist die Truppe auf der Flucht und landet im Umfeld des Bayreuther
Festspielhauses. Auf dem Weg dahin kommt sie an einer Biogasanlage vorbei
(ein Verweis auf die viel gescholtene Vorgängerinszenierung des
„Tannhäuser“ von [2][Sebastian Baumgarten]), auf deren Schild gerade der
Hinweis „Mangels Nachfrage geschlossen“ angebracht wird. Da branden die
ersten Lacher auf im Publikum, und der Ton der Aufführung ist vorgegeben.
## Selfies für den Chor
Auf der Bühne steht dann eine Kopie des Festspielhauses, die Ritter tragen
Bühnentechnikermontur, und die eigentlich erst im zweiten Akt auftretende
Elisabeth hat bereits einen Kurzauftritt, in dem sie Tannhäuser, der ja von
seiner Anarcho-Venus kommt, eine schallende Ohrfeige gibt. Der erste Akt
endet mit dem Pilgerchor, der hier aus Festspielbesuchern besteht, die sich
mit den üblichen Ritualen (Selfie vor dem Gebäude, Programmheftlektüre)
andächtig dem Festspielhaus nähern.
Der zweite Akt rückt dem Kern von Wagners Drama des künstlerischen und
politischen Scheiterns auf zwei Ebenen auf den Leib. Auf der oberen Hälfte
der Bühne flimmert ein live gedrehtes Schwarz-Weiß-Video, das backstage
Sänger, Choristen, Technikpersonal, den Inspizienten, das Anarchotrio und
einen Moment sogar die Hügel-Chefin Katharina Wagner beobachtet. Darunter
ist der Wartburgsaal aufgebaut, miefig wie in einer traditionellen
Inszenierung, Chor und Solisten sind mit wallenden Gewändern ausstaffiert.
Doch daneben läuft eben nicht nur die inszenierte Parallelhandlung der
Backstageszenen, in denen die Sänger Backstageklischees vorführen, sondern
auch die erfundene Nebenhandlung der Anarchos. Die entern nämlich das
Festspielhaus via Leiter, heften ein Stoffbanner mit den Wagner’schen
Revolutionsparolen „Frei im Wollen! Frei im Thun! Frei im Genießen!“ an den
Balkon und schleichen sich Richtung Bühne.
## Die Polizei rückt an
Dort stören sie schließlich den Sängerwettstreit mit ihren Interventionen:
Ein Kameraschwenk in Katharina Wagners Büro zeigt, wie sie demonstrativ die
110 wählt. So rückt die Polizei an, umstellt das Haus, befindet die Lage
als bedrohlich – eine Dragqueen im gelben Tüllfummel auf der Bühne und ein
Kleinwüchsiger mit Trommel! – und rückt auf die Bühne vor. Das alles ist
höchst elegant und nie plump gemacht und lockert die ansonsten bierernste
Wagner-Gemeinde spürbar auf.
Im letzten Akt schlägt dann die Melancholie durch, die schon unter der
Selbstironie lauerte. Dann sind wir nämlich auf einem Müllplatz, Tannhäuser
ist Obdachloser mit strähnigem Haar und Plastikbeutel, und Elisabeth – von
der man im zweiten Akt in einem kurzen Kameraschwenk die von
Selbstmordversuchen vernarbten Pulsadern zu sehen kriegt – hat mit Wolfram
von Eschenbach kurzen Sex im Kleinlaster, bevor sie sich umbringt. Über der
Szene thront ein riesiges Werbeplakat für eine sündhaft teure Uhr, beworben
von der Dragqueen in lasziver Pose, die inzwischen offenbar Teil der
Konsumindustrie geworden ist.
## Es klappert gehörig
Tobias Kratzers Regiekonzept reißt vieles an und ist brillant, auch wenn
nicht alles ganz aufgeht und der Abend ein paar Durchhänger hat. Aber die
Richtung stimmt. Musikalisch ist der Abend durchwachsen: Der Dirigent
[3][Valery Gergiev] beginnt im Graben flüssig und klangschön, gleichwohl
etwas behäbig. Im Laufe des Abends entgleitet ihm aber die Kontrolle, es
klappert gehörig, und er geht nur noch auf Nummer sicher.
Stephen Gould meistert die Titelpartie mit bewundernswerter Kondition,
kraftvollem, doch wenig variablen Ton, Elena Zhidkova ist eine
hinreißende, Castorf-Schlampen zitierende Venus mit flammendem Mezzo, Lise
Davidsen als Elisabeth beginnt mit scharfem Sopranton und flirrendem
Vibrato, findet sich dann aber. Ihre Stimme scheint allerdings jetzt schon
zu groß für diese Partie, Markus Eiches Bariton ist sehr hell timbriert für
die Partie des Wolfram von Eschenbach, singt jedoch markant, Stephen
Milling ist ein imposant bassiger Landgraf Hermann. Am Ende der übliche
Buh-Bravo-Kampf fürs Regieteam, jede Menge Buhs kriegt auch Gergiev ab.
26 Jul 2019
## LINKS
[1] /Opernpremiere-in-Berlin/!5582765&s=Tobias+Kratzer/
[2] /Archiv-Suche/!5115551&s=Tannh%C3%A4user+Baumgarten/
[3] /Kuenftiger-Philharmoniechef-stuetzt-Putin/!5045568&s=Valery+Gergiev/
## AUTOREN
Regine Müller
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