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# taz.de -- Inklusion im Theater: „Wie Pudding und Penaten“
> Theater für Sehbehinderte attraktiv machen: Ein Pilotprojekt in Berlin
> ermöglicht Theaterbesuche mit Audiodeskription und Tastführung.
Bild: Vor der Aufführung werden die Materialien der Verwandlung der Schauspiel…
Berlin taz | Vorsichtig verstreicht Monika Seeling-Entrich dickflüssige
weiße Farbe auf ihrem Handrücken und beugt den Kopf hinunter. Die Farbe
rieche ein bisschen wie Hautcreme. „Wie Pudding und Penaten“, findet Gerald
Pirner. Die beiden nehmen vor der Othello-Vorstellung am Berliner Ensemble
an der Tastführung für Blinde und Sehbehinderte teil. Dort bekommen sie
eine Einführung in das Stück und können Requisiten und Kostüme befühlen –
beispielsweise die Kleider, die Desdemona tragen wird.
Auch Albert Frank stellt sich vor, der an diesem Abend live die
Audiodeskription sprechen wird. Er trägt ein dunkles Jackett und einen
Krawattenschal. „Ich bin sehr konservativ gekleidet“, beschreibt er sich
selbst mit Wiener Färbung in der Stimme den Besuchern, die im Kreis im
Gartenhaus des Theaters sitzen.
Die meisten haben eine Begleitung mitgebracht – so auch Monika
Seeling-Entrich und Gerald Pirner, die diesen Abend als Evaluator*innen
bewerten werden. [1][Tastführung und Audiodeskription sind Teil des
Pilotprojekts „Berliner Spielplan Audiodeskription“ des Vereins
Förderband.] In zwei Spielzeiten sollen 40 Aufführungen mit
Audiodeskription gezeigt werden. Gefördert wird das Projekt von der
Lotto-Stiftung Berlin. Mit dabei sind neben dem Berliner Ensemble die
Deutsche Oper, das Deutsche Theater, der Friedrichstadt-Palast und das
Theater an der Parkaue.
## Ein anderes Bild im Kopf
Aus dem Gartenhaus läuft die Gruppe langsam über den Hof. An Treppen und
Türen stehen Mitarbeitende des Theaters, um bei schwierigen Stellen zu
helfen. Noch ist etwas Zeit, bis die Vorstellung beginnt.
Monika Seeling-Entrich nimmt an der Garderobe ihr Empfangsgerät entgegen
und befestigt den Kopfhörer am Ohr. Sie lacht. Offensichtlich ist das
Mikrofon schon an, denn sie hört Stimmen – wahrscheinlich von der Probe.
Sie und Gerald Pirner sind sich einig: Die Tastführungen vor der
Vorstellung sind sehr wichtig. „Dadurch entsteht ein vollkommen anderes
Bild im Kopf“, sagt Seeling-Entrich, die als Sozialarbeiterin im Jugendamt
arbeitet. Sie verfügt über einen Sehrest, weiß aber, dass sie mit der Zeit
vollständig erblinden wird.
Normalerweise muss ihr Mann ihr während der Vorstellung erzählen, was
gerade auf der Bühne passiert. Das führe manchmal dazu, dass sich andere
Theatergäste beschweren. Audiodeskription sei deshalb eine gute
Möglichkeit, Kulturangebote inklusiver zu gestalten, sagt Seeling-Entrich.
„Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Blinde auch ins Theater
gehen können.“
In einigen anderen Städten – wie beispielsweise am Schauspiel Leipzig –
werden seit Jahren Aufführungen mit Audiodeskription angeboten. In Berlin
gab es das bisher nur vereinzelt – unter anderem in den Sophiensælen. „Da
sind kleinere Orte wie Gelsenkirchen schon weiter“, sagt Gerald Pirner.
Auch er ist ein Theatermensch. „Eigentlich wollte ich Schauspieler werden“,
erzählt der Mann mit grau meliertem, welligem Haar. Mit Ende 20 ist er
innerhalb kurzer Zeit erblindet. „Da ist eine Welt zusammengebrochen“,
erzählt er. Seine Liebe zu Kunst und Literatur aber pflegt er weiter.
## Pre-Boarding im Theater hilft
„Man muss sehen, dass man seinen ganzen Körper zu Augen macht“, betont er.
Er schreibt Essays und fotografiert – indem er seine Modelle über
Berührungen dirigiert. Auch Blinde haben Bilder im Kopf, betont Pirner.
Statt über die Augen werden diese beispielsweise über die Sprache erzeugt.
Bei Audiodeskription sei wichtig, dass keine Interpretation vorgegeben
werde. Durch die Beschreibung dessen, was passiert, setze sich dann die
Vorstellung zusammen.
Ein Mitarbeiter des Berliner Ensembles führt die Gruppe in eine Loge im
Parkett, bevor die restlichen Gäste in den Saal dürfen. „Dieses
Pre-Boarding ist wirklich toll“, sagt Monika Seeling-Entrich. Denn so ist
genug Zeit, sich zu orientieren und einzurichten. Als sehbehinderter Mensch
sei man im ruppigen und eiligen Berlin manchmal etwas verloren. Das gehöre
zur Großstadt, sagt Seeling-Entrich. Aber schön sei es auch, wenn alles mal
langsam und einfühlsam passiert.
Sie hofft, dass Audiodeskription an Berliner Bühnen zu einer
Selbstverständlichkeit wird. „Ich habe mich von so vielem verabschieden
müssen“, sagt sie. Vielleicht bleibt ja das Theater.
Während das Publikum in den Saal strömt, lauscht die Gruppe mit Kopfhörern
schon der Stimme Albert Franks, der die roten Sitze und den mit viel Gold
verzierten Zuschauerraum beschreibt. In der ersten Szene balgt der mit
roter Farbe eingeschmierte Othello mit einer weiß gefärbten Desdemona. Das
Liebesspiel lässt beide in einem Rosaton zurück. Im Gegensatz zu allen
anderen wissen Monika Seeling-Entrich und Gerald Pirner, wie die Farbe sich
auf der Haut anfühlt.
17 Feb 2020
## LINKS
[1] /Inklusion-in-der-Tanzszene/!5607011
## AUTOREN
Inga Dreyer
## TAGS
Theater
Inklusion
Sehbehinderte
Berliner Ensemble
Inklusion
Kunst
Theater Berlin
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