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# taz.de -- Inklusion in der Tanzszene: Den Füßen zuhören
> Was kann Sehbehinderten helfen, an einer Tanz- Performance teilzunehmen?
> Das Stück „(in)Visible“ in Berlin testet das.
Bild: Wenn die Füße wieder landen, ist das spürbar und hörbar. Szene aus �…
Was kann Sehbehinderten und Blinden helfen, an einer Performance
teilzunehmen? Als Zuschauer und als Künstler? Welche Sinne sind für die
Erfahrung von Bewegung offen? Wie können Bilder in der Imagination erzeugt
werden, die nicht gesehen werden? Solche Fragen bilden den Ausgangspunkt
der Performance „(in)Visible“, die der zwischen San Francisco und Berlin
pendelnde Choreograf Jess Curtis mit sehenden, sehbehinderten und einer
blinden Künstlerin, Tiffany Taylor, entwickelt hat. Am 18. Juli ist in der
Tanzfabrik Wedding die Uraufführung zu erleben.
Es sei eine Frage von sozialer Gerechtigkeit, wenn Künstler nach neuen
Zugängen zu ihrem Werk für die suchen, die durch körperliche
Beeinträchtigung meist ausgeschlossen sind. Das schreibt Georgina Kleege,
eine blinde Autorin und Professorin für Literatur in Berkeley. Sie hat das
Team von „(in)Visible“ bei der Produktion beraten.
Die Company von [1][Jess Curtis,] Gravity, hat vor einiger Zeit begonnen,
einen Gravity Access Service zu entwickeln. Sie arbeiten an
Hörbeschreibungen von Tanz und Performance und an Tastführungen, mit denen
Blinde und Sehbehinderte zum Beispiel Bühnenbild und Kostüme vor der
Aufführung kennenlernen können. Beides wird Teil von „(in)Visible“ sein u…
ist auch beim Festival Tanz im August zu drei Stücken ein Angebot.
## Als Rezipient wertgeschätzt
Zu den Performern gehört Tiffany Taylor, die enthusiastisch beschreibt, wie
sie und ihre blinden Freunde sich dank dem Gravity Access System letztes
Jahr in San Francisco willkommen fühlten in Theatern: „I felt very welcome
and that my experience was valid and very appreciated.“ Zusammen mit der
Hörbeschreibung konnten sie Tanz und Musik ganz anders rezipieren und
fühlten sich damit auf neue Weise als Zuschauer wahrgenommen.
In „(in)Visible“ ist Tiffany Taylor nun selbst als blinde Darstellerin auf
der Bühne, mit fünf weiteren Performern, darunter Sophia Neises, einer
sehbehinderten Tänzerin und Tanzpädagogin aus Berlin. Ins Studio 6 der
Weddinger Uferstudios haben sie mich und einige Kolleginnen zu einer Probe
eingeladen. Wir haben die Wahl, uns an den Rand zu setzen oder in einen
Stuhlkreis mitten im Raum. Vorhänge aus Folienstreifen, die bei Berührung
rascheln, hängen um den Kreis herum.
Für die Sehenden gilt es zu versuchen, während der Probe die Augen zu
schließen. Man hört die Schritte in lauten Schuhen, Flip-Flops und barfuß,
man nimmt Nähe und Ferne der Darsteller war, hört ihren Atem, das Rascheln
der Folien, das Klatschen der Stoffsegel an den Kostümen, wie sie schneller
werden und heftiger, kreiseln, fallen und aufstehen, und irgendwann sitzt
man im Zentrum eines sanften Wirbelsturms.
Manchmal spürt man, wie ein Körper an den eigenen Füßen vorbeirollt, dann
wieder kreisen wie große Flügel, deren Schwingen einen berühren, die
Vorhänge aus Folien über unsere Köpfe.
## Einübung in eine feinere Wahrnehmung
Das ist zunächst wie eine einfache Einübung in die Wahrnehmung jenseits des
Sehens. Die Performer kommunizieren auch über Berührung mit dem Publikum
und kündigen dabei immer an, was sie tun, ob sie deine Wirbel zählen oder
sich auf dein Knie setzen.
Später wird es komplexer, sie übersetzen in Sprache, wie sie sich bewegen,
meine ans Sehen gewöhnte Vorstellungskraft kommt da nicht mehr mit. Ich
öffne die Augen und verfolge mit ihnen eine Weile die Figurengruppen, die
die Tänzer um eine Person bilden, die sie in verschiedene Haltungen falten.
Eine Bewegung sprachlich nachzuzeichnen, sagte Jess Curtis vor der Probe,
braucht ja oft viel mehr Zeit, als sie auszuführen. Die eigene Bewegung zu
kommentieren verlangsamt den Bewegungsfluss. Man muss sich einhören, bevor
Vorstellungsvermögen und Körpererinnerung auch ohne Sehen die Bewegungen
imaginieren lassen. Insofern ist „(in)Visible“ ein Experiment für jeden
Zuschauer, sich über eigene Wahrnehmungsmuster klar zu werden und an ihren
Rändern Bewegung anders zu erfahren.
18 Jul 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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