# taz.de -- Montagsinterview mit Architekt Stefan Weiß: "Es ist heilsam, mit s… | |
> Einst hat Stefan Weiß die Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg mitbesetzt, | |
> später hat er sie als Architekt renoviert. Nun wird er von den | |
> Partygängern nachts geweckt. | |
Bild: Stefan Weiß ist ein Veränderer und ein Veränderter | |
taz: Herr Weiß, die Kulturbrauerei feiert gerade ein Jahr lang 20. | |
Geburtstag. Sie selbst verbringen schon Ihr halbes Leben mit dem Areal - | |
erst als Besetzer, dann als Sanierer, jetzt als Nachbar. Wie feiern Sie? | |
Stefan Weiß: Ach, es war im Vorfeld so vieles geplant. Eine Fotoausstellung | |
über all die Leute, die hier mitwirkten. Oder eine Ausstellung mit den | |
Selbstdarstellungen des Projekts: vom "multikulturellen Zentrum" der | |
Anfangszeit über ein "Zentrum für Kultur, Politik und Ökologie". | |
Interessant, wie die Kulturbrauerei auch immer den jeweiligen Zeitgeist | |
verkörperte. An so etwas hätte ich mich gern beteiligt. Aber es kam nicht | |
dazu - kein Geld vom Senat. Jetzt nehme ich die sogenannten Feierlichkeiten | |
nur am Rande zur Kenntnis. | |
Klingt enttäuscht … | |
Was die Kulturpolitik angeht, war es mit Eberhard Diepgen mitunter leichter | |
als mit dem rot-roten Senat. Mein Eindruck ist, dass sehr viel Geld | |
aufgewendet wird, um die Hochkultur zu konsolidieren - die sogenannte | |
Off-Kultur fällt hinten runter. Unsere Utopie war aber immer daran | |
gebunden, dass es eine solide Finanzierungsgrundlage gibt für so wichtige | |
Projekte wie den Verein Sonnenuhr. Er arbeitet künstlerisch mit geistig | |
Behinderten - und ist bis heute nicht adäquat finanziert. Ein Unding! Die | |
Leute um Gisela Höhne machen eine großartige Arbeit, quer durch alle Genres | |
der Kunst, von der bildenden Kunst über Musik bis zum Theater. Eigentlich | |
das, was ich mir für das ganze Projekt Kulturbrauerei vorgestellt hatte. | |
Jetzt gibt es dort jedes Wochenende Party und einen Weihnachtsmarkt … | |
So wird die Kulturbrauerei seit ein paar Jahren wahrgenommen, ja. Aber wenn | |
man genau hinsieht, hat sich inhaltlich nicht viel verändert: Die | |
Literaturwerkstatt gibt es noch, die Musikschule, die 17 Hippies, die | |
Sammlung industrielle Gestaltung. Aber wenn die Leute "Kulturbrauerei" | |
hören, denken sie an Konzerte, Partys. Und Weihnachtsmarkt. Das liegt auch | |
am Geschäftsmodell: Die Consense GmbH erhält jährlich Geld vom Land für | |
Miete und Betriebskosten. Alles andere muss jedes Projekt für sich selbst | |
erwirtschaften. Dabei kommen Einrichtungen wie Literaturwerkstatt und | |
Sonnenuhr nicht richtig zur Entfaltung. Das sehe ich jetzt. Aber damals bei | |
der Besetzung hatten wir ja keine Ahnung, was es heißt, wirtschaftlich zu | |
arbeiten. | |
Wie kam es, dass Sie 1990 die Kulturbrauerei besetzten? | |
Mit meinem Partner Matthias Faust habe ich schon zu DDR-Zeiten | |
zusammengearbeitet. Wir hatten uns beim Architekturstudium in Weißensee | |
kennen gelernt und Vorlesungen bei Bruno Flierl gehört. In den 80ern waren | |
wir auf der Suche nach einem Arbeitsraum und fanden diese kleine | |
Waffelfabrik an der Schönhauser - mit Blick auf das Areal der | |
Kulturbrauerei. Das war komplett marode und wurde als Möbellager genutzt. | |
Uns kam die Idee, die Brauerei umzunutzen zu einem Zentrum für alle | |
künstlerischen Verbände, die es gab: Verband der bildenden Künstler, | |
Schriftstellerverband, Verband der Musiker und so weiter. | |
Was wurde daraus? | |
Wir reichten ein Konzept ein, das uns geradezu ideal für eine | |
sozialistische Gesellschaft schien - es wurde nie realisiert. Wir waren so | |
naiv zu glauben, dass es an der Finanzierung lag. Im Nachhinein weiß ich, | |
dass das politisch nicht gewünscht war: ein Ort, an dem sich unkontrolliert | |
Künstler, Intellektuelle und Bevölkerung austauschen! Noch dazu auf einem | |
so verwinkelten Areal mit 20 Gebäuden und sechs Höfen. | |
Wo die DDR-Behörden kein Widerstandsnest wollten, entwickelten Sie nach der | |
Wende mit anderen ein Kulturzentrum. Wie gingen Sie vor? | |
Es war eine sehr geordnete Besetzung. Eines Abends nach dem Zusammenbruch | |
der DDR trafen sich bei einem Künstler in Prenzlauer Berg 30 bis 40 Leute, | |
um die alte Idee wiederzubeleben. Das Projekt war klar, der Name | |
Kulturbrauerei schnell gefunden. Wir gründeten eine GmbH, gingen zum Senat | |
und stellten unser Konzept vor. Die Betreiber des Möbelladens gaben uns die | |
Gebäude, die sie nicht nutzen konnten, weil sie zu marode waren. Wir | |
werkelten im Maschinenhaus, Kesselhaus, Pferdestall. Am 23. Dezember | |
unterschrieb ich den Mietvertrag. Danach begann die schwere Arbeit des | |
Alltags. Besetzen ist ja leicht. Aber Projekte durchzuführen und Geld | |
aufzutreiben, ist was anderes. | |
Was war Ihre Stärke? | |
Ich kümmerte mich in der ersten Zeit um Technik und bauliche Maßnahmen: | |
kaputte Klos, leckende Dächer, Wasseranschluss. Und die Inhalte - ich holte | |
zum Beispiel den Verein Sonnenuhr aufs Gelände. Ein wichtiger Wendepunkt | |
war, dass 1992 der TV-Journalist Ulrich Meyer einen Raum suchte, aus dem er | |
die Sat.1-Sendung "Einspruch" produzieren könnte. Wir boten ihm das völlig | |
kaputte Kesselhaus an - mit der Auflage, dass Mayer es so sanierte, dass | |
wir es als Konzerthaus nutzen können. Damit begann das eigentliche Leben | |
der Kulturbrauerei. Ich habe mich 1998 von der inhaltlichen Arbeit gelöst, | |
um mit meinem Büropartner Matthias Faust die Sanierung bis zur | |
Fertigstellung 2000 planerisch zu begleiten. | |
40.000 Quadratmeter baufällige Industriebausubstanz, verschiedenste Nutzer, | |
unsichere Finanzierung. Ein Mammutprojekt. Wie hält man so was durch? | |
Wenn Sie von einer Vision besessen sind, dann machen Sie das einfach - ohne | |
Wenn und Aber. Für mich bestand der Reiz darin, so ein großes, | |
stadtbestimmendes Areal zu entwickeln. Die Kulturbrauerei ist was | |
Besonderes, ein fast vollständig erhaltenes Industriedenkmal. Ich habe | |
diese wunderschönen verzahnten Höfe vor mir gesehen, mit Künstlern, die | |
darin arbeiten. Ich habe auch einen Weihnachtsmarkt gesehen und ein Kino. | |
Und auch einen Supermarkt und ein Fitnesstudio? | |
Aber ja! Diese Vielfalt der Nutzungen war genau, was mir vorschwebte. | |
Damals gab es auch Verfechter einer Besetzung des ganzen Areals von 41.000 | |
Quadratmetern. Alles sollte Kultur werden - ich fand das utopisch. 10.000 | |
Quadratmeter zu entwickeln, war schwer genug. Durch den Mietvertrag haben | |
wir immerhin die Existenz der Kulturprojekte auf 15 Jahre gesichert. Klar | |
ist das bescheiden. Aber die Kulturbrauerei ist Eigentum der Treuhand | |
Liegenschaftsgesellschaft. Die kann man schlecht zwingen, einen Teil ihrer | |
Gewinne in Kultur zu reinvestieren. | |
Sie hätten eine Betreibergesellschaft gründen und kaufen können - wie die | |
Macher des nahen Pfefferbergs, die das Gelände der einstigen Brauerei | |
Pfeffer Schritt für Schritt sanierten und entwickelten. | |
Wir konnten und wollten nicht kaufen, das Gelände ist schließlich viel | |
größer als der Pfefferberg. Außerdem haben mein Partner und ich vorher die | |
Sanierung der Hackeschen Höfe begleitet. Dabei haben wir viel gelernt, | |
worauf wir bei der Kulturbrauerei zurückgreifen konnten. Die wichtigste | |
Lektion war: Tolle Ideen müssen auch finanzierbar sein. Bei den Hackeschen | |
Höfen war es schon ein Erfolg, dass das Varieté und die Filmtheater | |
erhalten blieben. Dass die Höfe in erster Linie ein begehbares Museum für | |
Touristen sind, das muss in der Spandauer Vorstadt so funktionieren. | |
Es ging nicht anders - das klingt nach Verteidigungshaltung. Hat Sie ihr | |
pragmatischer Ansatz viele Freunde gekostet? | |
Viele Mitstreiter, Bekannte, Freunde sind in diesem Prozess nicht bei mir | |
geblieben. Das ist der Verlust, den so eine intensive Arbeit über sieben | |
Jahre mit sich bringt. An den Hackeschen Höfen und der Kulturbrauerei | |
scheiden sich die Geister. Aber dafür sind das die Projekte, die ich bis | |
heute als die erfüllendsten ansehe. Ich habe dafür große Opfer an Kraft und | |
Lebenszeit gebracht. Als alles fertig war, fiel ich in ein tiefes Loch. Ich | |
fragte mich: "Wirst du jemals noch mal die Chance bekommen, etwas so Tolles | |
zu machen?" Immer noch habe ich die Sehnsucht nach einem Projekt, dessen | |
Sinnhaftigkeit sich mir nie auch nur für einen Moment in Frage stellt. Das | |
hat man als Architekt selten. | |
Sie sind nicht nur Architekt, sondern auch direkter Nachbar der | |
Kulturbrauerei. Wie nutzen Sie das Gelände selbst? | |
Ich gehe oft in den Supermarkt oder abends ins Kino. Dabei schaue ich: "Wie | |
funktioniert das, was du dir damals ausgedacht hast?" Es ist spannend zu | |
sehen, wie Geplantes in der Praxis funktioniert. Oder eben nicht. So nutzen | |
die Kinobesucher den Lieferanteneingang - unseren repräsentativen | |
Haupteingang mit der Treppe ignorieren sie. | |
Das ist ja nicht so schlimm … | |
Bedacht haben wir auch nicht, dass Menschenmassen so viel Lärm und Dreck | |
erzeugen. Der Wunsch nach Märkten und Festen kommt aus der Tristesse der | |
DDR. Ich wollte, dass urbane Plätze zum Feiern genutzt werden und nicht für | |
Großdemonstrationen. Für die Anwohner ist das aber ein Lärmschutzproblem. | |
Auch ich liege manchmal nachts wach, weil drüben wieder so laut gefeiert | |
wird. Ich werde sozusagen konfrontiert mit den Auswirkungen meiner eigenen | |
Vision, das ist sehr heilsam und lehrreich! Wir führen jetzt | |
Schallschutzmaßnahmen durch. | |
Sie wohnen seit 1980 an der Schönhauser Allee. Wie empfinden Sie die | |
Veränderung der Gegend? | |
Ich betrachte mit Interesse den Umschichtungsprozess des Viertels, die | |
Verjüngung. Ein Großteil der Bevölkerung soll ja zwischen 25 und 40 Jahren | |
alt sein. Da beschleicht mich manchmal der Gedanke, ein Relikt aus alten | |
Zeiten zu sein. Die Geschichte des Prenzlauer Bergs und seiner Wandlungen | |
ist vielen, die jetzt herkommen, gar nicht bewusst. Die nehmen nur wahr, | |
dass es schick ist, hier zu leben. Ich aber schaue den Menschen im | |
Supermarkt ins Gesicht und spüre, dass die ganz anders gucken. Nur auf | |
sich. Dieses Gefühl der Solidarität, des Gemeinsinns, das atmet Prenzlauer | |
Berg nicht mehr. Das merkt man auch an den Besuchern, die jetzt in die | |
Kulturbrauerei kommen: Party, Spaß - und nach mir die Sintflut. Aber das | |
wird sich vielleicht auch wieder ändern … | |
… wenn die jungen Leute, die jetzt feiern, älter werden und Familie haben? | |
Die Frage ist ja eher: Was passiert mit den heute 40- bis 50-Jährigen vom | |
Prenzlauer Berg? Was machen die, wenn sie mal gebrechlich sind und Hilfe | |
brauchen? Ziehen die an den Stadtrand oder richten sie sich das irgendwie | |
ein in ihren sanierten Altbauten und Townhouses? Wird es einen neuen | |
Gentrifizierungsschub geben: Die Alten machen Platz und die Jüngeren - von | |
denen es dann viel weniger geben wird - rücken nach? Oder gäbe es eine | |
Möglichkeit, die Altbauten und die für Wohlstandsfamilien konzipierten | |
Neubauten so umzurüsten, dass sie altersgerecht sind? | |
Und: Gibt es die? | |
Der Senat müsste Investitionsanreize schaffen, um die Stadtstruktur für die | |
Bedürfnisse der Zukunft anzugleichen. Mich beschäftigt das, wenn ich | |
abgeschlossene Luxus-Wohnanlagen wie die "Prenzlauer Gärten" sehe. Wobei | |
ich da noch ganz andere Gefühle habe. | |
Welche denn? | |
Das Gefühl, einem UFO im neoklassizistischen Gewand zu begegnen. Gelandet | |
in einer Umgebung, von deren sozialer Realität man sich mit Wohneigentum | |
abgrenzen will. Solche Anlagen sind für mich in erster Linie keine | |
städtebauliche Erscheinung, sondern eine gesellschaftliche. Eine gebaute | |
Kompensation von Abstiegsängsten. Bei der Betrachtung solcher Phänomene wie | |
Gentrifizierung hilft mir übrigens die Methode des dialektischen Denkens, | |
die einem in der DDR eingetrichtert wurde. | |
Dialektische Betrachtung eines Townhouses - wie geht das? | |
Es kann sein, dass das moderne Reihenhaus mich ärgert. Aber es ist falsch, | |
da einen Stein hineinzuwerfen. Schließlich ist das Reihenhaus nur Ausdruck | |
einer Entwicklung - aber nicht das, was der Entwicklung wesenhaft zugrunde | |
liegt. Junge Leute reagieren auf die Erscheinung, haben was gegen | |
ausgestellten Wohlstand, der sich in der Innenstadt präsentiert. Im | |
Gespräch mit den Freunden meiner Tochter versuche ich, auf die Ursache | |
zurückzukommen. Das Eigentum an Grund und Boden ist eine tragende Säule des | |
Kapitalismus. Vom Prinzip her ist es ja absurd, dass jemand ein Stück Erde | |
kauft, einen Zaun drum baut und sagt: Bis runter zum Erdmittelpunkt ist das | |
jetzt meins. Aber Besitz hält diese Gesellschaft zusammen. | |
Ihr Büro und Ihre Privatwohnung drüber sind doch auch Privatbesitz, oder? | |
Ja, das war eine Ruine ohne Fenster, Dach und Wasser. Mit Freunden haben | |
wir das acht Jahre lang ausgebaut, als Produktionsstätte. Weil für uns | |
Arbeit die Grundlage des Lebens ist. Nachdem wir so viel reingesteckt | |
haben, war der Kauf logisch. Das war aber ein langer Prozess. Etwas | |
anderes, als sich mit 35 in eine wohlhabende Struktur wie die Prenzlauer | |
Gärten einzukaufen. Eigentum ist ja nicht gleich Eigentum - entscheidend | |
ist die Geisteshaltung. Die kann gemeinschaftlich orientiert sein. Oder zu | |
Auswüchsen führen wie in Potsdam, wo Seehausbesitzer das Ufer für die | |
Allgemeinheit sperren. | |
Dialektisch betrachtet ist so etwas doch nur logisch. | |
Wenn die städtebauliche Abgrenzung auch im Kopf passiert, hören Leute auf, | |
sich dafür zu interessieren, was woanders passiert. Und das Fortkommen ist | |
nur noch auf die eigene Person begrenzt. Das ist schlimm - nicht das | |
Townhouse. Genauso wie nicht die Person Thilo Sarrazin so schlimm ist, | |
sondern der Zynismus und das Technokratentum, das aus seinem Buch spricht. | |
Aber mit Zynismus kann man kein Weltbild gestalten. Die Kulturbrauerei | |
steht als Vision für ein anderes Menschenbild, das ich vertrete. Ich | |
befasse mich gerne mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Aber die wenige | |
Zeit, die mir neben der Architektur bleibt, will ich nicht mit dem Studium | |
von solchen Gedanken verschwenden. | |
27 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
Nina Apin | |
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Theater Berlin | |
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