# taz.de -- Hörbuch mit Texten von Patti Smith: Patti Smith bestellt Wodka | |
> Über Haupt- und Nebenstraßen: Nele und Angela Winkler lesen Texte von | |
> Patti Smith als erstes Hörbuch des Berliner Theaters RambaZamba. | |
Bild: „Liebe aus. Liebe an.“, Hörbuch des RambaZamba Theaters mit Texten v… | |
Die Stadt, mit der Patti Smith assoziiert wird, ist mit einiger Sicherheit | |
New York; dabei hätte die in Chicago gebürtige Künstlerin gute Gründe, für | |
sich ein historisches Zitat zu adaptieren. „Ich bin eine Berlinerin“ stünde | |
ihr nicht schlecht. | |
Patti Smith, die im New York der frühen siebziger Jahre mit ihrer Mixtur | |
aus impulsiver Lyrik und rauer Rockmusik Punk mitbegründet hat, ist zuletzt | |
im Herbst 2019 in Berlin aufgetreten, in der Gethsemanekirche in Prenzlauer | |
Berg. Wie nah sie sich auch sonst der Stadt fühlt, wird in dem Hörstück | |
„Liebe an. Liebe aus. Mit Patti Smith durch Berlin“ deutlich, das die | |
Schauspielerinnen Nele und [1][Angela Winkler] jetzt für das RambaZamba | |
Theater eingelesen haben. | |
In dem 1990 gegründeten inklusiven Theater auf dem Gelände der | |
Kulturbrauerei, [2][selbst eine Berliner Institution], sollte die Lesung | |
eigentlich stattfinden. Pandemiebedingt war das nicht möglich, dafür bildet | |
das Patti-Smith-Stück den Auftakt der Hörspiel-Reihe „RambaZamba Audio“, | |
die auf der Website des Theaters ohne Zahlschranke aufgerufen werden kann. | |
Eine zweite Produktion ist derzeit in Arbeit. | |
„Liebe an. Liebe aus“ speist sich aus zwei Veröffentlichungen Patti Smiths, | |
dem 1992 erstveröffentlichten Kindheitsbuch „Traumsammlerin“ und „M Trai… | |
von 2015 über die Zeit nach „Horses“, ihrem 1975 erschienenem Debütalbum. | |
„M Train“ ist auch ein Reisebuch, und mit seinem Berlin-Teil eröffnen Nele | |
und Angela Winkler ihr übrigens nur sparsam instrumentiertes Hörstück. Die | |
Stimmen der beiden müssen reichen, und das tun sie auch. | |
## Vortrag bei einer Geheimgesellschaft | |
Patti Smith also kommt nach Berlin und bezieht ein Hotelzimmer, als dessen | |
Standort sie ein Bauhaus-Gebäude im ehemaligen Ostberlin angibt. Ein paar | |
dezente Hinweise später, und es wird klar, Smith hat im Soho-Haus an der | |
Ecke Torstraße/Karl-Liebknecht-Straße eingecheckt. Der Grund ihres Besuchs: | |
Sie soll vor dem Continental Drift Club (CDC) sprechen, einer rätselhaften | |
Geheimgesellschaft, die sich dem Andenken Alfred Wegeners verschrieben hat. | |
Auf den Meteorologen und Polarwissenschaftler Wegener (1880–1930) geht die | |
Theorie der Kontinentalverschiebung zurück. | |
Hand aufs Herz, es spielt keine Rolle, ob es den CDC tatsächlich gibt | |
beziehungsweise gegeben hat, wie Smith nahelegt. Punkrock und | |
Plattentektonik, das ist zu schön, um nach der Wahrheit zu fragen. | |
Patti Smith jedenfalls besucht keine der Berliner Gedenktafeln für Alfred | |
Wegener – sie könnte zwischen der in Halensee und der in Mitte am Spreeufer | |
wählen –, sie läuft den Prenzlauer Berg hoch in Richtung Kulturbrauerei und | |
kehrt im Pasternak ein, einem russischen Restaurant auf der Knaackstraße. | |
Smith nimmt Platz unter den Porträts von Anna Achmatowa und Wladimir | |
Majakowski, des Dichters der Revolution, die Achmatowas Mann Nikolai | |
Gumiljow erschoss. Achmatowa sollte Majakowski zehn Jahre nach seinem | |
Selbstmord andichten. | |
Patti Smith bestellt Kaviar, Wodka und schwarzen Kaffee. Nele Winkler | |
spricht ein Gedicht Achmatowas, es gibt den nachdenklichen, zärtlichen | |
Tonfall des Hörstücks vor: „Die einen scherzen in der Nacht und küssen,/ | |
Die andern trinken, bis der Tag anbricht./ Mit mir verhandelt nächtens mein | |
Gewissen,/ Das klar und unerbittlich zu mir spricht.// Ich sag zu ihm: Wie | |
lang soll ich noch tragen/ Die Last von dem, was längst Vergangenheit?/ | |
Doch es erwidert: So darfst du nicht fragen,/ Denn weder Raum gibt es für | |
mich noch Zeit.“ | |
## New York und London eingeschlossen | |
Patti Smith wird in weiteren Textausschnitten Lou Reed gedenken und am Grab | |
Sylvia Plaths stehen. Das Berlin, von dem hier die Rede ist, schließt New | |
York und London ein, was so ja stimmt und auch umgekehrt gilt. | |
Patti Smith besucht noch den Westberliner Zoo, den sie als geisterhaftes | |
Nebeltheater erlebt, und sie fotografiert auf dem Dorotheenstädtischen | |
Friedhof. Sie kommt viel herum. Wie sie das tut, lässt sich auch am | |
Sprechen der beiden Winklers hören. Bei der Mutter Angela klingt es | |
zuweilen, als ginge es die Hauptstraße entlang. Ihre Tochter Nele ist mit | |
dem Downsyndrom geboren, sie ist also anders gehandicapt als alle anderen. | |
Wenn sie einsetzt, wirkt es manchmal, als ginge es in eine Seitenstraße. So | |
wird aus dem Gehen ein Flanieren. | |
24 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Angela-Winkler-stellt-Buch-vor/!5644570 | |
[2] /Saisonstart-am-Ramba-Zamba-Theater/!5448142 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
## TAGS | |
Hörbuch | |
Theater Berlin | |
Patti Smith | |
Nachruf | |
Lockdown | |
Jazz | |
Hörspiel | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Theater Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachruf auf US-Künstler Dan Graham: Rock'n'Roll und Architektur | |
Der US-Konzeptkünstler und Fotograf Dan Graham ist am Samstag in New York | |
gestorben. Seine Rauminstallationen machten ihn weltberühmt. | |
Der Lockdown als Lyrik: Was reimt sich auf Corona? | |
Der Dichter Fabian Leonhard hat unter dem Hashtag „lockdownlyrik“ Texte | |
gesammelt. Aus 100 von ihnen hat der Trabantenverlag nun ein Buch gemacht. | |
Musiker und Autor Sven Regener über Jazz: „Musik spricht Gefühle an“ | |
Sven Regener erzählt vom Sound seiner Trompete. Warum er mit ihr seine | |
Leidenschaft für Jazz neu entfacht hat, und wann er morgens zu brötzen | |
anfängt. | |
Neues Hörspiel zum NSU-Prozess: Eintauchen in den Schrecken | |
Dem Hörspiel „Saal 101“ gelingt gesellschaftspolitisch ein echter Wurf. Es | |
liefert keine Einordnung, sondern lädt ein, sich ein Urteil zu bilden. | |
Umgang mit dem Sterben: Letzte Worte | |
Judith Grümmer nimmt mit todkranken Menschen Hörbücher auf. Die wollen den | |
Kindern etwas hinterlassen: ihre Rezepte, ihre Geschichten, ihre Stimme. | |
Saisonstart am Ramba-Zamba-Theater: „Unser Erfolg hat viele ermutigt“ | |
Gisela Höhne hat das Theater RambaZamba seit 1990 geleitet. Jetzt übernimmt | |
ihr Sohn Jacob Höhne. Ein Gespräch mit beiden über Politik und Inklusion, | |
Literatur und Pränataldiagnostik. |