| # taz.de -- Tanztage in den Berliner Sophiensælen: Ein Flecken Wiese | |
| > Utopische Orte, sichere Orte: Sie werden zunehmend kleiner in einer Welt | |
| > der Krisen. Das zeigen auch die Tanztage Berlin in den Sophiensælen. | |
| Bild: Mit Elementen des Karnevals arbeitet das Colectivo Malasangre in „Que B… | |
| Ist gerade die Tanzszene darauf spezialisiert, über Geld zu reden? Manchmal | |
| hört [1][Mateusz Szymanówka], Leiter der Tanztage in den Sophiensælen, das | |
| als Vorwurf. Dabei liegt es in seinen Augen deutlich daran, dass in der | |
| Tanzszene noch immer sehr wenig Geld zur Verfügung steht, | |
| Einstiegsförderungen sehr begrenzt sind, viele unter prekären Bedingungen | |
| und unter Selbstausbeutung arbeiten. Es ist frustrierend, meint er, immer | |
| wieder über Geld reden zu müssen, weil viele Künstler:innen im | |
| Fördersystem gar nicht erst ankommen. | |
| Die Tanztage sind seit ihrer Gründung in den 1990er Jahren ein Festival für | |
| junge Choreografen und die Künstler:innen, die nach Berlin gekommen sind, | |
| aber hier noch keine Anbindung an eine Bühne haben. „Emerging artists“, | |
| diesen Begriff, der vor allem markiert, dass sie eine Bereicherung des | |
| schon Bekannten zu werden versprechen, benutzt Mateusz Szymanówka lieber | |
| als „Nachwuchs“. | |
| 240 Projekte haben sich für die Tanztage Berlin 2024 beworben, zuvor waren | |
| es 150. Vor der Einreichung bietet Szymanówka, der auch Dramaturg ist, in | |
| ungefähr 60 Gesprächen eine Beratung an. Ausgewählt für die Tanztage wurden | |
| schließlich zehn Arbeiten. | |
| Unter ihnen ist Rob Fordeyn, 1983 in Gent geboren. Er hat mit bekannten | |
| Choreografen wie William Forsythe und [2][Trajal Harrell] gearbeitet und an | |
| der Deutschen Oper in Berlin als Choreograf für eine Inszenierung von | |
| [3][Ersan Mondtag, „Antikrist“]. Szymanówka ist von seiner Kreativität | |
| beeindruckt, die sich in vielen Kooperationen zeigt; aber Gelegenheit für | |
| eine eigene Arbeit, professionell präsentiert, fehlte eben. Die erhält er | |
| jetzt bei den Tanztagen, in einem Solo „Absolute Beginners“, benannt nach | |
| David Bowie. | |
| ## Reagieren auf Veränderungen | |
| Die Welt verändert sich, gerade scheint das äußerst spürbar. Mit ihr ändern | |
| sich die Motive und Notlagen, die Künstler:innen nach Berlin kommen | |
| lassen, und darauf wollen die Tanztage reagieren. Berlin gilt als eine | |
| queere Stadt, und viele Tänzer:innen, die in ihren Herkunftsländern | |
| Homosexuellen-Feindlichkeit erfahren mussten, suchen hier einen sicheren | |
| Ort. | |
| Angst, die sich mit erfahrener Gewalt im Körper eingenistet hat; Freunde, | |
| die im Gefängnis verschwunden sind, Sorge um die weit entfernt lebende | |
| Mutter, das Gefühl, immer kontrolliert zu werden und sich so unsichtbar und | |
| geräuschlos wie möglich bewegen zu müssen: All das wird in kurzen Texten | |
| angesprochen in der Performance „Que Bolero o En Tiempos de Inseguridad | |
| Nacional“ (Was für ein Bolero in Zeiten nationaler Verunsicherung) vom | |
| Colectivo Malasangre, drei Tänzern aus Kuba, die heute in Marseille und | |
| Berlin leben. | |
| Sie kommen mit kleinen Zelten auf die Bühne, die nicht nur Bilder von | |
| Flucht und Heimatlosigkeit evozieren, sondern sich auch in viele | |
| fantasievolle Requisiten verwandeln, zum Rüschenrock im Karneval werden, | |
| mal wie das Tuch im Stierkampf geschwenkt werden. Das Licht, das von den | |
| glänzenden Pailletten eines Hemdes zurückgeworfen wird und sich in der | |
| Rückwand spiegelt, reicht manchmal für die Stimmung der Sehnsucht. | |
| ## Orte des Schutzes | |
| In ihrem Tanz ist nichts einfach. Sie sehnen sich zurück nach einem Land, | |
| dass mit einer vom Machismo geprägten Kultur und Ritualen der Männlichkeit | |
| queeres Leben stets bedrängte und bedrohte; aber dann auch im Karneval die | |
| Umkehrung feierte. In der Performance selbst bauen die drei an einem neuen | |
| Ort der Gemeinschaft und der Zärtlichkeit, aber das ist nur ein flüchtiger | |
| Ort, klein wie ein Stück Wiese, auf dem sich gerade ein Körper ausstrecken | |
| kann. | |
| Die Clubnacht, der Ballroom, der Catwalk: Diese Szenen spielen als Ort der | |
| Selbstbehauptung und des Schutzes in mehreren Produktionen der Tanztage | |
| dieses Jahr eine Rolle. Darum geht es in „bodyride“ von Anh Khoa Trân & | |
| Christopher Bullen & Felipe Faria & Púca, das zur Eröffnung am 5. Januar | |
| gezeigt wird, oder in „Bravura“ von juan felipe amaya gonzalez, das gegen | |
| Ende, 19./20. Januar läuft. Dort wird der Salsa als Repräsentation | |
| lateinamerikanischer Einwanderungsidentität untersucht, „als ein dichtes | |
| Geflecht von Erzählungen aus der Diaspora, in dem sich Geschichten von | |
| Widerstand, Identität und Erinnerung miteinander verbinden“, wie der | |
| Pressetext ankündigt. | |
| Für 2024 ist die Finanzierung der Tanztage zwar gesichert: Über die | |
| Konzeptförderung der Sophiensæle erhalten sie 120.000 Euro und über den | |
| Hauptstadtkulturfond 115.000. Aber dies gilt nur für ein Jahr. Trägt man | |
| dem Anspruch Rechnung, sich an die Honoraruntergrenzen für die Künstler zu | |
| halten, sieht man den Mehrbedarf, den jede Institution wegen höherer Mieten | |
| und Inflation hat, können die Mittel der Sophiensæle alleine das Festival | |
| nicht tragen. So sieht sich der Kurator weiter in der Situation, über Geld | |
| reden zu müssen. | |
| 4 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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