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# taz.de -- Tanztage Berlin: Allein und auf sich gestellt
> Den Kürzungen zum Trotz halten die Sophiensæle an den Tanztagen fest. Die
> Einsamkeit junger Künstler:innen spiegelt sich teils in den
> Produktionen.
Bild: Schleicht sich heran, beobachtet heimlich: „Lurker“ von Hanako Hayaka…
Die diesjährigen Tanztage Berlin in den Sophiensælen standen unter einem
schlechten Stern: zwei Monate vor der Eröffnung wurde bekanntgegeben, dass
die Veranstalter*innen aufgrund der Haushaltssperre nur noch die
Hälfte des Budgets zur Verfügung gestellt bekommen. Jetzt kommen noch die
Kürzungen hinzu.
[1][Für das Festival, das seit über 30 Jahren besteht] und zu einem der
bedeutendsten in ganz Europa für junge Künstler*innen zählt, bedeutete
dies: kleinere Formate, kleinere Teams, weniger Gruppenarbeiten und weniger
Premieren. Das Team der Sophiensæle hat es trotzdem geschafft, [2][zehn
Produktionen ins Programm] aufzunehmen und über zwei Wochen hinweg dem
Berliner Tanzpublikum zu präsentieren. So gibt es in diesem Jahr jedoch zum
großen Teil Solo-Performances zu sehen – wodurch das Festival an Qualität
aber nichts einbüßt.
Am zweiten Wochenende wurden also zwei Soli in einem Double Bill
präsentiert: „Lurker“ von Hanako Hayakawa und „Daybreak“ von Shade Th�…
Beide beschäftigen sich auf ganz unterschiedliche Weise mit Außenseitertum
und Entfremdung und üben Kritik an einer Gesellschaft, in der das soziale
Zusammenkommen oft auf kommerzialisierte Angebote oder digitale Plattformen
angewiesen ist.
Ein „Lurker“ ist eigentlich jemand, der*die Nachrichten in Gruppen oder
Chaträumen mitliest, ohne selbst daran teilzunehmen. Ein „Lurker“ lauert im
Hintergrund, im Verborgenen, versteckt sich in den Schatten und beobachtet
heimlich.
So erscheint auch Hayakawas Lurker-Wesen auf der Bühne. In einem
weiß-schwarzen flauschigen Ganzkörperkostüm und einer schlichten Maske
schleicht es sich heran und beobachtet aus hohlen Augen das Publikum aus
sicherer Entfernung. Das allein reicht schon aus, um ein gewisses Unbehagen
zu kreieren.
Von Identität zu Identität
Mit ans Nō-Theater angelehnten Bewegungen schwebt Hayakawa, die aus Japan
nach Berlin gekommen ist, geisterhaft über die Bühne, kommt mal nah ans
Publikum, mal zieht sie sich in die hinterste Ecke des Raumes zurück, um in
absoluter Stille dort zu verweilen. Sie durchwandert mit einer gehörigen
Portion Komik verschiedenste Emotionen und verzieht das Gesicht schelmisch,
staunend, traurig oder schielend. So wandert das Wesen von Identität zu
Identität.
Das meiste passiert in vollkommener Stille, nur zweimal erklingt monotone
Musik, die wie eine Mischung aus Fahrstuhlmusik und Videospiel klingt.
Diese Stille zusammen mit den minimalistischen Bewegungen ziehen die
Performance ein wenig in die Länge, was vielleicht auch als bewusste
Herausforderung angenommen werden kann.
Insgesamt schwankt die Arbeit immer wieder zwischen komisch und
unheimlich-bedrückend. So wirkt der „Lurker“ am Ende doch sehr einsam auf
der weiß-sterilen Bühne. Es stellt sich die Frage, ob er*sie denn
freiwillig im Außen verweilt oder ob es einfach keine Möglichkeit gibt,
dazuzugehören.
Außerhalb von allem leben
Das ist bei „Daybreak“ anders. Hier verkörpert Shade Théret, die in San
Francisco und am HZT in Berlin Tanz studiert hat, die Vagabundin, die der
Gesellschaft den Rücken zudreht. Die Vagabundin hat sich dafür entschieden,
außerhalb von allem zu leben, frei und anonym zu sein und ihren Platz in
den Machtstrukturen der heutigen Welt nicht zu akzeptieren.
Wir sehen in einem kargen Hotelzimmer mit nur einem Fernseher und einem
Ledersessel. Es stapeln sich Teller und auf dem Bildschirm wird genau
dieses Zimmer nochmal abgebildet. Also auch wenn Shade Théret als
Vagabundin versucht sich der Überwachung und der kommerziellen Ausnutzung
ihrer sozialen Bedürfnisse zu entziehen, gelingt es ihr am Ende nicht.
„Daybreak“ bleibt düster, vor allem auch dank der Live-Soundlandschaft von
Lynn Suemitsu, die die bedrückende Atmosphäre steigert.
Die Vagabundin wandert unruhig hin und her, fläzt sich trotzig wieder auf
den Boden. Sie scheint rastlos und gleichzeitig gelangweilt. Das
Hin-und-her-Tigern wird mit der Zeit immer tänzerischer, immer wilder. Die
Bewegungen changieren zwischen grazil und elegant und energetisch. Sie
wirft das rötliche Haar durch die Luft, spielt mit den Muskeln und ist
insgesamt unglaublich cool.
Aber auch wenn hier dem Alleinsein und Außenseitertum mehr
Eigenverantwortung innewohnt als bei „Lurker“, schwingt auch hier immer
eine gewisse Einsamkeit mit. Diese verbindet beide Performances am Ende
miteinander.
Eine Bühne für junge Künstler:innen
Es ist so wichtig, dass „kleine“ Performances wie die von Théret und
Hayakawa gezeigt werden und Festivals wie die Tanztage weiterhin
existieren, um den jungen Künstler:innen eine Bühne zu bieten.
Und es darf dabei auch nicht vergessen werden, wie viele Arbeiten, in die
genauso viel Arbeit hineingeflossen ist, durch mangelnde Förderungen und
schwindende Spielstätten, eben nicht gezeigt werden können. Es darf gehofft
werden, dass die Tanztage auch im nächsten Jahr die Festivalsaison eröffnen
können.
23 Jan 2025
## LINKS
[1] /Tanztage-in-den-Berliner-Sophienslen/!5979892
[2] /Inklusion-und-performative-Kuenste/!6060660
## AUTOREN
Greta Haberer
## TAGS
Tanz
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