# taz.de -- Tanz aus Israel und USA in Berlin: Aufgelöst ins Federleichte | |
> Ikonen der Tanzgeschichte: Die Berliner Festspiele zeigen die Batsheva | |
> Dance Company und Stücke der 2017 verstorbenen US-Choreografin Trisha | |
> Brown. | |
Bild: Szene aus „Momo“ von Ohad Naharin. Kurz zitieren die Tänzer:innen ei… | |
Es ist eine traurige und schmerzerfüllte Welt und doch voll Hunger nach | |
Leben, in die das Tanzstück „Momo“ von der Batsheva Dance Company führt. | |
Drei Tage lang war das ausgezeichnete Ensemble aus Israel damit zu Gast in | |
der Reihe Performing Arts Season im Haus der Berliner Festspiele. [1][Mit | |
erhöhtem Sicherheitsaufwand, das ist leider notwendig geworden seit dem | |
Terrorakt der Hamas im Oktober 2023.] | |
Ein Jahr zuvor, im Dezember 2022, hat der Choreograf Ohad Naharin, seit | |
1974 bei der Batsheva Dance Company und seit 1990 ihr künstlerischer | |
Leiter, „Momo“ in Tel Aviv herausgebracht. Es ist ein Stück von hoher | |
Energie und Intensität, begleitet von Musik von [2][Laurie Anderson] und | |
dem Kronos Quartett und von Philip Glass. Ein Element bildet eine Gruppe | |
von vier Männern, mit nacktem Oberkörper und in Militärhosen, die sich oft | |
synchron bewegen, manchmal aber auch Figuren bilden, in denen die einen die | |
anderen auffangen und tragen. | |
Sie zitieren traditionelle Tänze, führen einen exakten Drill fast als | |
Karikatur vor, wirken manchmal agressionsgeladen, dann wieder suchen sie | |
die Berührung, wenn auch nur mit der Spitze des Kinns. Man denkt bei ihren | |
vielen Szenen des Gruppenzusammenhalts nicht nur an eine militarisierte | |
Gesellschaft und deren Folgen für die Konstruktion von Männlichkeit, | |
sondern auch an ein Zusammenleben, das Identität immer wieder über Rituale | |
stiftet. | |
Diese vier sind in „Momo“ umgeben von sieben Individualisten, Frauen und | |
Männern, die kaum zur Gemeinschaft werden, uns aber ihren Lebenswillen, den | |
Hunger nach Erfahrung, den erotischen Appetit, entgegenschleudern. Die | |
Wellen, die verführerisch durch ihre Körper laufen, die langen Linien, die | |
sie mit jeder Bewegung in den Raum zeichnen, zeugen von der Suche nach | |
mehr, nach Weite, nach Kontakt – das Bühnenbild aber ist begrenzt von einer | |
dunklen Mauer. Diese sieben, die sich zeigen und spreizen und gesehen | |
werden wollen, sie könnten für das Bild einer hedonistischen und queeren | |
Szene stehen. Beide Gruppen stehen permanent unter Spannung, Momente des | |
Loslassens oder der Ruhe finden sie nicht. | |
Es ist komplex und raffiniert, wie Ohad Naharin die Wege der geschlossenen | |
Vierergruppe mit den zerstreuten Aktionen der sieben Solist:Innen | |
verschränkt. Er baut dabei auch beeindruckende und symbolgeladene Bilder, | |
etwa wenn die vier Männer irgendwann die hintere Wand hochsteigen: die | |
emotionale Berührung aber, das Gefühl von nie gestilltem Lebenshunger, | |
kommt vor allem aus den virtuosen und doch weichen Bewegungen. | |
## Zwei Seelen eines Wesens | |
Wie sich die eine Gruppe zu anderen verhält, ob sie sich bedingen, ob sie, | |
wie es in der Stückankündigung heißt, die „zwei Seelen“ eines Wesens sin… | |
das bleibt offen für die Interpretation. | |
Die Performing Arts Season ist eine langgezogene (von Oktober 2024 bis | |
Januar 2025) Gastspielreihe im Haus der Berliner Festspiele, die neben | |
Theater und Performance eben auch großen Tanzensembles eine Bühne bieten. | |
Das gibt es sonst nur beim Festival Tanz im August in Berlin. Diesmal waren | |
mit [3][Anne Teresa De Keersmaeker,] [4][Lucinda Childs] und [5][Ohad | |
Naharin] Ikonen der Tanzgeschichte mit Weltruhm geladen. Eine von ihnen | |
wird noch erwartet. Vom 23. bis 25. Januar kommt die Trisha Brown Dance | |
Company mit drei Stücken und einem Workshop-Programm. | |
[6][Trisha Brown starb 2017] und war ihre letzten Lebensjahre an Demenz | |
erkrankt. Ihre Company arbeitet weiter, überliefert ihre Stücke, | |
unterrichtet, und nimmt auch den Faden der in den 1970 Jahren entstandenen | |
spektakulären Outdoor-Performances wieder auf. So war letztes Jahr in | |
Hamburg „Man walking down the side of a building“ zu sehen, eine | |
Performance für einen Tänzer, der mit Bergsteigerausrüstung an einer | |
Fassade herabläuft. | |
Die New Yorker Company tourt im Januar durch Belgien, Deutschland und | |
Spanien. Ins Haus der Berliner Festspiele bringt sie eine Choreografie mit, | |
„Glacial Decoy“, die 1979 entstand, als Brown nach ihren Arbeiten im | |
Stadtraum für eine Bühne arbeitete. Künstlerischer Partner war Robert | |
Rauschenberg, von dem schwarzweiße Fotografien den Hintergrund bilden. Es | |
ist eine amerikanische Ikonografie, von Billboards, Wassertürmen, | |
Windrändern, schweren Landmaschinen, vernachlässigten Ecken der Stadt und | |
leeren Landschaften. Sie wechseln in einem mit maschinellen Geräuschen | |
begleiteten Takt. Und davor laufen immer wieder neu aus den Kulissen ins | |
Bild fünf Tänzerinnen, pendeln und drehen sich, ziehen sich zurück. Ihre | |
Kostüme sind transparent, sie hüpfen federleicht, variieren den Rhythmus | |
spielerisch. Alles, was in Rauschenbergs Bildern festgefahren und | |
stillgestellt zu sein scheint, lösen sie auf in eine mühelose | |
Beweglichkeit. | |
19 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Israelische-Kuenstlerin-Ruth-Patir/!6060288 | |
[2] /Konzeptalbum-von-Laurie-Anderson/!6032174 | |
[3] /Choreografie-zu-Vivaldi/!6043784 | |
[4] /!5780991&s=Lucinda+Childs&SuchRahmen=Print/ | |
[5] /!237430&s=Ohad+Naharin&SuchRahmen=Print/ | |
[6] /Nachruf-auf-Choreografin-Trisha-Brown/!5392782 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
## TAGS | |
Zeitgenössischer Tanz | |
Berliner Festspiele | |
Choreografie | |
Ästhetik | |
Tanz | |
Tanz | |
Pina Bausch | |
Zeitgenössischer Tanz | |
Tanz im August | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Situation der freien Tanzszene: Passen Sie sich den Gegebenheiten an | |
Die Berliner Tanzszene ist von Sorgen schwer gebeutelt seit den | |
beschlossenen Kürzungen. In der AdK erteilte sie Kultursenator Joe Chialo | |
Nachhilfe. | |
Tanztage Berlin: Allein und auf sich gestellt | |
Den Kürzungen zum Trotz halten die Sophiensæle an den Tanztagen fest. Die | |
Einsamkeit junger Künstler:innen spiegelt sich teils in den | |
Produktionen. | |
Tanzperformance zu Ehren von Pina Bausch: Nicht von den Klischees regulieren la… | |
Wiederbegegnung: „Kontakthof – Echoes of ’78“ am Tanztheater Wuppertal | |
vergegenwärtigt die Philosophie von Pina Bausch und bricht mit einem Tabu. | |
Choreografie zu Vivaldi: Zu Zeiten out of control | |
Vom Zerbrechen der „natürlichen“ Ordnung erzählt ein Tanzstück von Anne | |
Teresa De Keersmaeker und Radouan Mriziga. Deutschlandpremiere war in | |
Berlin. | |
Festival Tanz im August: Ein Spiel ums Überleben | |
In Berlin hat das Festival Tanz im August begonnen. Die Suche nach Utopien | |
und die Entwicklung migrantischer Identitäten ist häufiges Thema. |