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# taz.de -- Tanzperformance zu Ehren von Pina Bausch: Nicht von den Klischees r…
> Wiederbegegnung: „Kontakthof – Echoes of ’78“ am Tanztheater Wuppertal
> vergegenwärtigt die Philosophie von Pina Bausch und bricht mit einem
> Tabu.
Bild: Die Tanzenden in Wuppertal: Einst und jetzt
Der knarzige Ton alter Schellacks mit Tango, Walzer und auch mal mit
Boogie-Woogie, er hat das Stück „Kontakthof“ von Pina Bausch schon immer
begleitet. Etwas von Wehmut, etwas von Nostalgie nach einer kaum noch
erreichbaren romantischen Gefühlswelt konterkarierte die Szenen in einem
alten Ballsaal, wo die Begegnungen zwischen Männern und Frauen oft etwas
von einem gnadenlosen Schaulaufen hatten, einer Vermessung und zynischen
Begutachtung.
In der 1978 entstandenen Choreografie traten Männer und Frauen wie zwei
Teams gegeneinander an. Es ging um Zärtlichkeiten und ihr schnelles Kippen
in Aggression, um Distanz und Nähe, die niemals lange anhält, um
Berührungen und um Dominanz zwischen den Geschlechtern.
„Kontakthof – Echoes of ’78“ heißt nun ein ungewöhnliches Experiment,…
das Tanztheater Wuppertal auf Anregung [1][von Salomon Bausch, dem Sohn von
Pina Bausch], gewagt hat. Wie wäre es, wenn die Tänzerinnen und Tänzer von
damals das Stück heute noch einmal tanzen würden? Pina Bausch selbst hegte
diese Idee.
## Archivmaterial gesichtet
Meryl Tankard aus Australien, die in der Originalfassung mitwirkte, lange
ein Star des Tanztheaters von Pina Bausch war und später selbst
Choreografin in Australien wurde, hat alte Archivaufnahmen des damals
dreistündigen Werks gesichtet, Szenen komprimiert und mit neun der ehemals
20 Tänzerinnen und Tänzer „Kontakthof – Echoes of ’78“ entwickelt.
Es ist eine Rekonstruktion, die mit dem Vergehen der Zeit zwischen damals
und heute arbeitet. Die Tanzenden begegnen im flackernden schwarz-weißen
Filmmaterial ihrem früheren Ich. Sie lassen sich noch einmal mitreißen, in
den langen Bewegungsketten, wenn sie nacheinander in einem Reigen von
kleinen Gesten diagonal über die Bühne streben.
Oder, wenn sie, auf Stühlen sitzend, Arme und Beine vorschnellen lassen,
als liefen sie ihren Partner:innen hinterher, um sie festzuhalten. Aber
sie markieren auch die Lücken der Tänzerinnen und Tänzer, die nicht mehr
leben, deren Stühle auf der Bühne leer bleiben, die nur im Archivmaterial
noch erscheinen können.
## Verlangen und Demut
Meryl Tankard schiebt sich auf dem Hintern sitzend über die Bühne, aber nur
im darüber projizierten Film sieht man die Beine von Jan Minařik (2022
gestorben), an den sie sich ranrobbte, bis er wieder einen Schritt von ihr
wegtrat. Ein Bild von Verlangen und Demut, das wehtat.
Oder, Tankard steht allein im Ballsaal, fast still, aber doch mit den
Händen langsam nach den Berührungen tastend, die wir nur im geisterhaften
Film sehen können, wo alle zehn Männer des Ensembles sie umringen, stupsen,
an die Nase fassen, ihre Schultern massieren, über ihren Bauch streichen.
Eine Szene, die immer von großer Ambivalenz war, die Grenze zwischen
Zärtlichkeit und Übergriffigkeit vielfach kreuzend. Und jetzt nur noch als
der Schatten von einem ehemaligen Kampfplatz existiert.
Das hat etwas von einer Seánce, einem Umgang mit Abwesenden, einem Requiem
für die Gegangenen, in dem die Erfahrungen vom Altern, von Abschiednehmen,
Verlust und Trauer gut aufgehoben sind.
## Von Älteren getanzt
Es gibt Szenen in der Aufführung jetzt, die wirken, als hätte [2][Pina
Bauschs Stück] schon immer darauf gewartet, von älteren Menschen getanzt zu
werden. Einige Paare halten sich im Arm und drehen sich eng und innig;
andere umarmen nur die Luft und sind allein und einsam. So war es schon
1978, aber nun sind die Lücken größer geworden.
Was so sichtbar wird, ist eine Qualität der Stücke von Pina Bausch. Sie
reichern sich an mit den Erfahrungen ihrer Performer und verändern sich
dabei auch. Sie entwarf eine Bewegungssprache, in der alltägliche Gesten
und tänzerische Muster auf eine Art zusammenkommen, die die Ausführenden
oft etwas über sich selbst erfahren und ausdrücken lässt, was vorher nicht
greifbar war.
„Konktakthof“ wurde auch schon von Amateuren getanzt und jedes mal neu zum
Bild einer Generation und ihrem Umgang mit den Spannungen zwischen den
Geschlechtern: einmal von Teenagern, einmal von „Damen und Herren ab 65“,
wie der gleichnamige Film von Lilo Mangelsdorff hieß.
## Wildenhahns Bausch-Doku in restaurierter Fassung
1982 begleitete der Dokumentarfilmer Klaus Wildenhahn Pina Bausch und ihr
Ensemble zwei Monate bei den Proben zu ihrem Stück „Walzer“. Der Film „W…
tun Pina Bausch und ihre Tänzer in Wuppertal“ wurde vor Kurzem erst in
einer vom Förderprogramm Filmerbe digitalisierten und restaurierten Fassung
im Kino Arsenal in Berlin wiederaufgeführt.
Salomon Bausch war zur Entstehungszeit gerade geboren, Pina Bausch hat
während der Proben das Baby oft auf dem Arm und entwickelt mit ihren
Tänzern Szenen, die an das Körpergefühl von Mutter und Kind andocken. Das
ist eines der vielen Beispiele, die Wildenhahn mit Erstaunen beobachtet:
Wie sich aus Fragen der Choreografin nach körperlichen Erfahrungen neue
Formen der Übermittlung von Emotionen entwickeln.
Als kurzen Prolog stellte Wildenhahn seinem Film einen Beitrag von Waldemar
Hirsch voran, einem damals schon alten Tanzkritiker, der an Pina Bauschs
Arbeit hervorhob, dass sie das Spektrum des tänzerisch Erzählbaren um viele
Facetten erweitert habe. Bei ihr müssen die Tänzer nicht, wie so oft im
Ballett, im Alter von dreißig Jahren abtreten. Erst mit vierzig sei der
Mensch so weit, Not, Elend, Leid aus eigener Erfahrung darstellen zu
können, meinte Hirsch, der voller Enthusiasmus über Pina Bausch sprach,
deren Stücke dafür eben offen seien.
## Es wird nie sentimental
Das könnte man fast auch als einen Prolog für „Kontakthof – Echoes of ’…
nehmen. Nie wird die Aufführung sentimental; und in keinem Moment erliegt
sie der sportiven Verführung, dass hier Senioren beweisen wollten, wie
jugendlich sie noch sind. Diese Peinlichkeit, auf der die Werbewelt einen
Großteil ihrer Versprechen aufbaut, bleibt einem hier erspart.
Kurz vor der Pause nimmt jede, jeder der Tanzenden das Mikro zur Hand und
stellt sich vor. Die Beteiligten sind inzwischen von 72- bis fast
80-jährig. Lutz Förster ist dabei, der das Tanztheater Wuppertal nach Pina
Bauschs Tod 2009 ein paar Jahre geleitet hat (2013–2016), elegant und
selbstironisch, wie man ihn aus seinen Rollen kennt.
Josephine Ann Endicott ist dabei, die sich an ihren spitzbübischen
Koketterie in ihren Auftritten früher begeistert, aber auch oft die Strenge
und Dominante spielte. Seit 1997 ist sie an der Wiederaufnahme zahlreicher
Produktionen von Pina Bausch beteiligt. Auch John Giffin hat Werke von
Bausch rekonstruiert. Und Beatrice Libonati tanzt mit, die 2024 in Paris
eine Neuinszenierung von Bauschs „Blaubart“ geleitet hat.
## Es muss nicht so früh enden
Tänzerkarrieren, das ist leider auch mehr als vierzig Jahre nach Waldemar
Hirschs Statement noch immer wahr, dauern oft nur wenige Jahre. Die These
oder vielmehr das Klischee, dass sie notwendigerweise um das vierzigste
Lebensjahr enden müssten, ist Quatsch, trägt aber dazu bei, dass ihre
Perspektiven spärlich bleiben.
Der Cast von „Echoes“ dagegen ist ein guter Beleg für die möglichen
Weiterentwicklungen: Fast alle haben entweder eigene Choreografien
entwickelt, Compagnien gegründet oder nächste Generationen ausgebildet und
an der Weitergabe von Stücken gearbeitet.
Indem „Kontakthof – Echoes of ’78“ eine gängige Praxis widerlegt, ist …
auch ein gesellschaftspolitisch relevantes Stück. Es erhebt zwar keinen
lauten Protest gegen die Altersdiskriminierung in der Gesellschaft und im
Kulturbetrieb. Aber es atmet den Geist des Möglichen, der weit hinausreicht
über eine Praxis, die sich von Klischees regulieren lässt.
2 Dec 2024
## LINKS
[1] /Pina-Bausch-Ausstellung-in-Bonn/!5287062
[2] /Zum-10-Todestag-von-Pina-Bausch/!5605719
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Pina Bausch
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Retrospektive
Choreografie
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Zeitgenössischer Tanz
Schwerpunkt Klimawandel
Der Hausbesuch
Pina Bausch
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