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# taz.de -- Opernuraufführung in Bremen: Hier wird nicht getaucht
> Davor Vinczes Kammeroper „Freedom Collective“ will schönsten
> B-Movie-Stoff erzählen. Die Regie von Heinrich Horwitz weiß das zu
> verhindern.
Bild: Zwischendurch wird die Szene zum Dancefloor, in dem Publikum und Statiste…
Mitten im Stück führen Text und Musik zu einem illegalen Rave. Während das
Orchester schweigt und die Elektronik die etwas stumpfen Beats so eines
Underground-Events einspielt, verwandelt sich die Bühne tatsächlich für
wenige Augenblicke in einen Dancefloor. Auf dem ist nicht zu unterscheiden:
Wer ist Publikum, wer Statist? Das geht aber, zum Glück, schnell wieder
vorbei.
Direkt hinein in eine futuristisch-dystopische Halbwelt lockt Davor Vinczes
Kammeroper „Freedom Collective“ ihr Publikum. Nach einer Uraufführung in
Gelsenkirchen Anfang des Jahres ist sie – [1][gemäß der Logik des
bundesweiten Musiktheater-Förderprogramms „NOperas!]“ – nun für drei Ta…
in Bremen zu sehen.
Als Eckpunkte des düsteren Plots erscheinen im Textbuch illegale,
gefährliche Fights, neuartige Drogen sowie ein schwunghafter Organhandel,
bester B-Movie Stoff also. Eng am englischsprachigen Libretto von
Aleksandar Hut Kono komponierend, verwandelt die [2][Partitur] dessen etwas
wirre Erzählung in eine mal voran drängende, mal geradezu meditative Musik
von schön abgemischten Klangfarben.
Weniger durch harmonische Originalität, als durch ihre ausgetüftelte
Polyrhythmik vermag sie regelrecht Herzrasen zu verursachen. Einem fein
austarierten, vielfarbigen Schlagwerk müssen Piccolo, Klarinette, Trompete
und Posaune sowie Streichquintett Paroli bieten in geradezu bösartig
gegeneinander gesetzten Läufen aus Tri- bis Quindeolen, also 15
gleichlangen Noten auf einen Schlag.
## Träumerische Akzente
Manchmal setzen Harfe und Synthesizer dazu träumerische Akzente. Durch
diese derart auseinanderstrebende Welt ohne festen Halt lotst der famose
Premil Petrović das auf der Bühne platzierte Ensemble mit heiterer
Gelassenheit. Dass das sauschwer ist, merkt man kaum: Sein Dirigat wirkt
mühelos und leicht.
Unter seiner Leitung klingt, was die Instrumentalist*innen abliefern,
unterhaltsam flockig wie feinste Salonmusik. Nur halt eine, die jede
Orientierung verweigert. Als echter Unglücksfall für diese Produktion
erweist sich leider [3][Heinrich Horwitz]. Mit der Regie betraut, hat
Horwitz lieber was ganz anderes, eigenes machen wollen.
Statt einen Technoclub einfach als Ort einer zentralen Szene zu nutzen – so
wie in einer Mozart-Oper eine Dorfkapelle Hochzeitstänze aufspielt –, hat
die Inszenierung kurzerhand das ganze Werk in einen hinein verlegt.
Nebenher soll die Location aber auch eine Gamehalle sein, damit sich im
derart der Oper übergestülpten Setting irgendwie doch noch ihre Handlung
unterbringen lässt.
Das offenbar dringend gewollte Eintauchen in den Club soll dadurch erreicht
werden, dass die Bühne von hinten zu betreten ist und ihn dann Publikum und
Sänger*innen einmal durchqueren. Der gewünschte Effekt wird aber nicht
erreicht, Alltagslogik beherrscht unmissverständlich die von Horwitz
beschworene [4][Heterotopie]: Getränke mitzunehmen ist zwar erlaubt, aber
nicht in Gläsern, nur in Plastikbechern oder Flaschen. Auch frei bewegen
darf man sich im Prinzip, allerdings unter rigider Anleitung.
Letztlich führt diese Art Freiheit dazu, dass fast alle in die
Zuschauerreihen strömen, um sich bequem hinzusetzen, während der Rest sich
auf der Raumbühne ein bisschen fehl am Platze fühlen kann – oder besonders
verwegen. Peinlich überambitioniert wirkt der Einfall, an drei Stellen die
Smartphones des Publikums miteinzubeziehen.
Auch nicht gerade immersionsfördernd: Statt das vorzügliche
Sänger*innenquartett in die vom Textbuch vorgesehenen Interaktionen zu
verstricken, stellt Horwitz es, dem grundlegenden Einfall treu, auf je eine
von Magdalena Emmering errichtete Gaming-Plattform, also jede Person auf
ihre eigene Guckkastenbühne. Auf der muss sie dann durch Wischgesten
vorgeben, in ihre Virtual Reality abzutauchen.
Die wiederum wird durch Videoanimationen dargestellt, geschaffen von Rosa
Wernecke. Grafisch erinnern sie ein wenig an die Figuren aus dem
Ego-Shooter „Counter-Strike: Condition Zero“, herausgekommen im Jahr 2004.
Allerdings waren die Bewegungen der Spielfiguren damals [5][schon weniger
hölzern], als sie jetzt hier erscheinen.
## Texttafeln ersetzen szenisches Erzählen
Weil die Regie nahezu sämtliche theatralen Mittel aus den Händen gegeben
hat, muss sie auf Stummfilm-Texttafeln in Englisch und fehlerhaftem Deutsch
zurückgreifen, um klar zu machen, was sie hätte szenisch erzählen müssen –
hätte sie sich nicht wichtiger genommen, als das Stück.
Über diese Tafeln erfährt man also, dass die korrupte Chirurgin Zsuzsi, die
skrupellose Box-Promoterin und (laut Programmheft)
Ernährungswissenschaftlerin Fan, der prollige Coach Karl sowie der
talentierte Kämpfer Andrei wechselseitig und überkreuz persönliche,
geschäftliche, sexuelle und erotische Abhängigkeiten entwickelt haben.
Weshalb sie mitunter in fast beiläufigem Rezitativ-Stil streiten: „I want
you to leave her!“, sprechsingt Nerita Pokvytyte als Zsuszi ihren Lover
Karl an; der ist noch immer mit Fan verheiratet. Christoph Heinrichs
begütigender Bariton dagegen: Wir brauchen sie doch noch. Aber da kann
Zsuszi nur lachen, „YOU do!“, ja, du vielleicht!
Schön wird’s, wo Emma McDermott in der Rolle der Fan in den tiefsten Tiefen
ihrer Mezzo-Partie ihre Liebe zu Andrei enthüllt, dem non-binären Kämpfer,
dessen Rolle sich Constanze Jader und Bele Kumberger teilen.
Die Zärtlichkeit des sich anschließenden Duetts vermag Raum, Zeit,
unvorteilhafte Kostüme und saudumme Regiekonzepte einfach wie von
Zauberhand wegzuwischen. Die Magie der Musik ist eben immer noch mächtiger,
als jede VR. Und wer will, kann darin eintauchen.
[Der Name des Librettisten war durch einen Tippfehler entstellt. Das wurde
korrigiert. Wir bitten um Entschuldigung, d.Red.]
3 Apr 2024
## LINKS
[1] /Kindertheater-im-oeffentlichen-Raum/!5938561
[2] https://db-vincze.com/works/
[3] /Doku-Reihe-Futur-Wir/!5887075
[4] /Erstes-Feiern-nach-dem-Lockdown/!5808552
[5] https://www.youtube.com/watch?v=6n5Rh5sOHb8
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
Oper
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Zukunftsvision
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