| # taz.de -- Barrie Kosky inszeniert „Hercules“: Von Anfang an wird durchged… | |
| > Am Berliner Schillertheater bringt Barrie Kosky die Händel-Oper | |
| > „Hercules“ auf die Bühne. Der Inszenierung fehlt es leider an Spannung | |
| > und Herz. | |
| Bild: Sinnbild bürgerlicher Behäbigkeit: das lila Sofa des Bühnenbilds | |
| Händel-Opern erzählen, wie manche Gefühle einen zugrunde richten. Die | |
| diebische Freude des Opernpublikums besteht darin, den Figuren beim | |
| langsamen Anheimfallen an ihre Schwächen zuzusehen, bis sie schließlich an | |
| ihnen zerbrechen – moralisch, dramatisch, menschlich. Händel-Held:innen | |
| leiden unter Lastern wie Ehrgeiz (Xerxes), Narzissmus (Semele) oder | |
| Misstrauen (Saul). | |
| Bei „Hercules“, dem meist als szenische Oper aufgeführten Oratorium von | |
| 1744, steht das Laster Eifersucht im Zentrum. Genauer die Eifersucht der | |
| Hercules-Gattin Dejanira, die hier die Hauptfigur ist. Dejanira ist eine | |
| der vielen weiblichen Opernheldinnen, die am Ende stimmgewaltig den | |
| Verstand verlieren. | |
| Die Geschichte, frei nach Sophokles, geht so: Hercules kehrt siegreich aus | |
| dem Krieg zurück und hat die Tochter seines besiegten Rivalen dabei, die | |
| schöne Iole. Seine Frau Dejanira ist geblendet von Gerüchten um Hercules’ | |
| angebliche Untreue. Um ihn zurückzugewinnen, gibt sie ihm ein verzaubertes | |
| Hemd, von dem man ihr weisgemacht hat, dass es alte Liebe wieder zum | |
| Brennen bringt. Stattdessen brennt das Hemd sich in Hercules’ Haut und | |
| Knochen, bis dieser vor lauter Höllenqualen den Tod wählt. | |
| Was ist das eigentlich, Eifersucht? Wie wird die Liebe zum Gift, die | |
| Liebende zur Schlange? | |
| Barrie Kosky hat das Stück zunächst für die Oper Frankfurt und nun für | |
| [1][die Komische Oper Berlin] in ihrer Ausweichbühne im Schillertheater | |
| inszeniert. Normalerweise kann man [2][Barrie Kosky] mit derart | |
| hochdramatischen Händel-Stoffen vertrauen. Aus „Semele“ machte er kurz vor | |
| der Pandemie ein beinahe filmisches Horrormärchen. In seiner Inszenierung | |
| war alles gerade so üppig, so finster und so wahnwitzig, dass es die | |
| Emotionen der Musik perfekt rahmte, ohne sich je vor sie zu schieben. | |
| Abgespeckte Ersatzbühne | |
| Für „Hercules“ gibt es nun, sicher dem neuen Ort geschuldet, eine deutlich | |
| abgespeckte Bühne zu sehen. Im ersten Akt steht da ein plüschiges lila | |
| Sofa, auf den ersten Blick eine rätselhafte Entscheidung. Warum für diese | |
| Geschichte über Macht, Schicksal und Ehre das Sinnbild der bürgerlichen | |
| Behäbigkeit auf die Bühne stellen? Als alle Figuren nach und nach in | |
| Outfits auftreten, sie aussehen wie bei einem Barbecue von | |
| geschmacksverirrten Neureichen, wird klar, dass hier möglicherweise | |
| versucht wurde, eine Telenovela-Atmosphäre aufkommen zu lassen. | |
| Eifersucht, Lügen, Intrigen, da liegt das nahe. Hätte auch klappen können. | |
| Telenovelas leben von dramatischer Musik (passt), von extremen Zooms auf | |
| die Gesichter (wird schwierig auf einer Bühne) und von würdevoller | |
| Contenance, die nach und nach bröckelt. Telenovela-Figuren, genau wie | |
| Händel-Figuren, reißen sich lang am Riemen, um dann im großen Finale | |
| durchzudrehen. | |
| Bei Koskys „Hercules“ allerdings wird von Anfang an durchgedreht. Ab Akt | |
| eins wird da gejauchzt und aufgeheult, Arme gen Himmel und Erde geworfen, | |
| gepurzelt und gerungen, wieder und wieder knallt jemand mit Wucht gegen | |
| eine Bühnenwand – jedes Mal eine unwillkommene akustische Erinnerung daran, | |
| dass dieser antike Palast vorletzte Woche aus MDF-Platten zusammengezimmert | |
| worden ist. Für Drama ist das alles viel zu viel, für eine Farce wiederum | |
| drei Stufen zu brav. | |
| Allen voran mit Körpereinsatz dabei ist die [3][Mezzosopranistin Paula | |
| Murrihy] (Oper Frankfurt) als Dejanira. Vor Murrihy muss man sich verneigen | |
| bei dem, was sie auf der Bühne veranstaltet, während sie obendrein sauber | |
| ihre Arien abliefert. Wenn sie sich doch bloß etwas für den dritten Akt | |
| aufgespart hätte! Ihre Dejanira hat von Anfang an eine derartige | |
| Dachschaden-Energy, dass man beim großen Finale, als sie dann wirklich dem | |
| Wahnsinn verfällt, bloß noch die Schultern zuckt: tja, die Dejanira halt, | |
| immer ein bisschen drüber, die Gute. | |
| Präzision bei Chor und Orchester | |
| Barrie Koskys „Hercules“ ist solider Händel, fast alle Teile sind da: ein | |
| Ensemble, das dem Material weitestgehend gewachsen ist, dazu beispielhafte | |
| Präzision bei Chor (Leitung: David Cavelius) und Orchester (Dirigat: David | |
| Bates). Doch etwas Entscheidendes fehlt. | |
| Im zweiten Akt besingt Dejanira in einer berührenden Arie die schöneren | |
| Tage, als Hercules ihr noch ewige Liebe schwor. Hier wird klar: Diese Frau | |
| ist keine Verrückte. Sie kämpft um ihre große Liebe, um ihre Würde. Dabei | |
| geht sie zu weit. Das ist der dramatische Bogen der Geschichte. Im | |
| „Hercules“ der Komischen Oper fehlt Dejanira das Entscheidende: die Würde. | |
| Deswegen ist da kein langsames Anheimfallen, kein schleichender Niedergang. | |
| Und damit leider: kein Drama. | |
| 5 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
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