| # taz.de -- „Moses und Aron“ in Oper Bonn: Der Kern ist der Verzicht | |
| > Grandioses Bildertheater: In der Reihe „Fokus ’33“ bringt die Oper Bonn | |
| > Arnold Schönbergs Opernfragment „Moses und Aron“. | |
| Bild: Chor des Theater Bonn, Vocalconsort Berlin, Tina Josephine Jaeger (Ein ju… | |
| Arnold Schönbergs Opernfragment „Moses und Aron“ hat es ins Repertoire der | |
| klassischen Moderne geschafft. Seine puren Dimensionen freilich brauchen | |
| eine besondere Kraftanstrengung. In der Oper Bonn passt das Werk in deren | |
| ambitionierte Reihe „Fokus ’33“, auch wenn es erst 1957, also Jahre nach | |
| dem Ende der Nazi-Herrschaft, in Zürich szenisch uraufgeführt wurde. | |
| Der österreichische Jude und musikalische Avantgardist Arnold Schönberg | |
| (1874–1951) passte ins Feindbild der braunen Barbaren. Der | |
| alttestamentarische Diskurs des von Schönberg selbst verfassten Librettos | |
| natürlich auch. Hier sucht Moses obsessiv und geradezu verzweifelt nach den | |
| passenden Worten, um seinen Gott, dem Volk, das bislang zu vielen Göttern | |
| gebetet hatte, ohne Bilder verständlich zu machen. | |
| Lorenzo Fioroni (Regie), Paul Zoller (Bühne) und Sabine Blickenstorfer | |
| (Kostüme) suchen mit ihrer Inszenierung selbst nach einer Abstraktion. Was | |
| sie finden ist ein Decrescendo der Bühnenopulenz, um dem Diskurs zwischen | |
| den Brüdern Moses und Aron und vor allem Moses’ Vehemenz auf die Spur zu | |
| kommen. Alles beginnt in einer überdimensionierten Puppentheaterästhetik. | |
| Mit dem Blick aus einer Höhle in den Himmel. Die Brüder sind zunächst unter | |
| Puppenköpfen verborgen. Moses hütet Schafe. Der Dornbursch brennt. Und eine | |
| schlichte Es-werde-Licht-Glühbirne könnte ein Platzhalter für die Stimme | |
| des Gottes sein, mit dem bislang allein Moses auf vertrautem Fuße steht. | |
| Der Vorhang öffnet und schließt sich zwischen den Szenen wie ein Zoom. Die | |
| Revolte, die Moses in die Wüste treibt, findet dann in einem Bilderrahmen | |
| als Szenerie aus dem 19. Jahrhundert statt und ähnelt eher einem Tumult an | |
| der Börse. Der Kern ist der Verzicht auf den szenischen Bilderzauber, der | |
| in anderen Inszenierungen beim Tanz um das Goldene Kalb entfesselt wird. | |
| ## Tanz um das Goldene Kalb | |
| Hier sind es nicht die von Moses Alleingelassenen, die außer Rand und Band | |
| geraten und sich ihre alten Götter zurückholen. Hier ist es Moses, der mit | |
| sich und seinem Gott ringt. Äußerlich sieht es nach einer Melange aus | |
| Zerstörungswut und kreativem Schub eines Künstler aus. Der Sänger Dietrich | |
| Henschel geht in dieser Sprechrolle ins körperliche Extrem. Bis die Zehn | |
| Gebote beisammen sind, fallen in einer Kammer immer wieder Gegenstände von | |
| oben auf ihn herab. Er zerstört sie, er verletzt sich, legt alle Sachen ab, | |
| beschmiert sich mit Farbe und malt mit seinem Körper die Wände voll. | |
| In diesem expressiven Ringen mit sich wird der Tanz um das Goldene Kalb auf | |
| die andere Seite des Konfliktes zwischen den beiden Brüdern gespiegelt. Der | |
| lebendige, traktierte Körper von Moses „ersetzt“ gleichsam die | |
| Gesetzestafeln aus Stein. Bleibt die Frage, ob die Gottesgewissheit von | |
| Moses so unerschütterlich ist, wie er glauben will. | |
| Aber auch bei Aron (den Martin Koch überzeugend singt) bleiben Zweifel an | |
| der Überlegenheit seiner pragmatischen Argumente. Wenn Moses zurückkehrt, | |
| empfängt ihn Aron inmitten von toten, blutbefleckten Dummys. Für ein | |
| Also-sprach-Moses-Donnerwetter fehlen dem hier die Zuhörer. Sein finales „O | |
| Wort, du Wort, das mir fehlt!“ wird so zum Ausdruck purer Verzweiflung. Er | |
| legt sich wie ein Kind zusammengerollt auf die Seite. | |
| Am Ende war es zwar grandioses Bildertheater, das Fioroni bietet. Aber | |
| eins, dessen Faszination sich aus der Grenzüberschreitung zum | |
| „Nichtmehrbebildern“ speist. „Moses und Aron“ bleibt als Oper eine offe… | |
| Frage, die von keiner Inszenierung wirklich beantwortet, sondern nur ans | |
| Publikum weitergereicht werden kann. Für den durch Vocalconsort Berlin | |
| verstärkten Chor, [1][das Beethovenorchester] und seinen Chef Dirk Kaftan | |
| und natürlich für alle Protagonisten war die Antwort des Publikums für | |
| ihren Kraftakt ganz zu Recht geschlossener Beifall. | |
| 12 Dec 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Joachim Lange | |
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