# taz.de -- Theater in Frankfurt nach Buñuel: Der Blick in den Abgrund | |
> Claudia Bauer inszeniert in Frankfurt den „Würgeengel“ als groteske | |
> Komödie. Peter Licht und SE Struck haben Buñuels Meisterwerk bearbeitet. | |
Bild: Die Hausangestellte Maria (Julia Preuß) wird in Großaufnahme auf den Zw… | |
Es ist schon erstaunlich, wie sich ein cineastisches Meisterwerk des | |
Surrealismus wie [1][Luis Buñuels „Würgeengel“] aus dem Jahre 1962 und | |
unsere Wirklichkeit aufeinander zubewegen können. Zumindest in der neuen, | |
jetzt uraufgeführten Version dieser gleichnishaften Lähmung einer typischen | |
Auswahl von elitären Wohlstandsbürgern, denen es einfach nicht gelingen | |
will, einen Raum zu verlassen. | |
Claudia Bauer (Regie), Andreas Auerbach (Bühne) und Vanessa Tust (Kostüme) | |
haben diese Fassung der berühmten Vorlage [2][von Peter Licht] und SE | |
Struck am Schauspiel Frankfurt jetzt auf die Bühne gebracht. Was die | |
Zuschauer erleben konnten, war die Uraufführung einer Art Komödie, bei der | |
einem das Lachen, wie zu erwarten, im Halse stecken bleibt. | |
Es geht ja nicht einfach darum, dass eine noble Partygesellschaft, die in | |
kleiner Runde eine Spendengala ausklingen lassen will und der Einladung von | |
Fred (Sebastian Kuschmann) und Leonora (Anna Kubin) in ihre | |
Wohnzimmerlandschaft folgt, diese aus unerfindlichen Gründen nicht wieder | |
verlassen kann. Um (so behaupten sie jedenfalls ganz heutig: auf ihren | |
E-Rollern) den Heimweg anzutreten. Oder darum, dass dieses in den | |
Homeofficemodus gefallene Leben von acht Menschen auf engstem Raum eine | |
Eigendynamik entfaltet, bei der nicht viel übrig bleibt von all dem Getue | |
und der ausgestellten Fassade. | |
Hier entpuppt sich der diskrete und eben doch nur oberflächliche Charme der | |
Bourgeoisie alsbald als ein ziemlich indiskreter Egoismus, der in den Kampf | |
ums eigene Überleben übergeht. Da wird sogar die Ermordung des Gastgebers | |
erwogen, weil man ja einen Schuldigen für die eskalierende Situation | |
braucht. | |
Dieser Wechsel in eine Metasprache der Selbstbeschreibung entfaltet mit all | |
den eingebauten Wiederholungsschleifen den Charme eines eigenen Sounds. | |
Claudia Bauer betont diesen noch, indem sie ihren mit Lust an der Komödie | |
spielenden Akteuren die Überakzentuierung eines pointiert ausstellenden | |
Sprechens verordnet. Sie schleudern die pseudointellektuellen Phrasen zur | |
Beschreibung ihrer Unfähigkeit zu handeln geradezu heraus und scheinen | |
deren Wirkung nachzuspüren. | |
## Liebestod aus „Tristan und Isolde“ | |
Dazwischen blitzen dann immer mal Sequenzen des Politik- und Korrektsprechs | |
von heute auf, die – zumindest anfangs – immer wieder für Lacher im | |
Publikum sorgen. | |
Erinnert das (schon wegen der schrillen 70er-Jahre-Kostüme) mitunter an das | |
[3][Herbert-Fritsch-Theater,] so wirken die Gesangseinlagen wie eine | |
Reminiszenz ans Marthaler-Theater. Nachdenkpausen zum Durchatmen. | |
Hinreißend, wie sich Hubert Wild als übersensibler Musiker Johann mit | |
seiner Counterstimme den Liebestod aus „Tristan und Isolde“ vornimmt. Was | |
von den Übrigen als Symptom für geistige Verwirrung diagnostiziert wird. | |
Klug zwischen das Wortschwallturbotheater geschaltet sind auch die in | |
Großaufnahme auf den Zwischenvorhang projizierten Kommentare der | |
Hausangestellten Maria (Julia Preuß). Sie ist im Bündnis mit dem Publikum | |
sozusagen die eingeschleuste Beobachterin eines Experiments. Und sie ist | |
die Vertreterin jener Angestellten, die sich beizeiten davongemacht und den | |
Ort des Geschehens gar nicht erst betreten haben. | |
Zwei Caterer jonglieren zu Beginn ihre Kisten mit so lautstarken wie | |
sinnlosen Kommentaren durch den Zuschauerraum bis an den Fuß jener Treppe, | |
die in den Raum hinter der Gaze mit dem Videogrünzeug führt, und machen | |
sich dann wieder davon. Sie überlassen Maria ihren Job. So, wie die dann | |
überhaupt für alles allein zuständig ist, was man den Gästen anbieten will, | |
aber schon bald nicht mehr anbieten kann. Weil nicht mal mehr die | |
Pappbecherchen für den Schluck Wegchampagner auffindbar sind. | |
## Keine Toilette funktioniert | |
Wenn es nichts mehr zu essen, nichts zu trinken gibt, keine Toilette | |
funktioniert, man sich darin überbietet festzustellen, wer von den | |
Anwesenden am meisten stinkt, kommen dieser Maria ihre praktischen | |
Kompetenzen zugute. Sie findet Wasser in den Leitungen und schwingt die | |
Axt, um da heranzukommen. Sie übernimmt so für kurze Zeit die Macht. | |
Erst, als sie alle die Ausgangsposition des Abends wiederholen, entkommen | |
sie. Zurück ins alte Leben. Und gönnen sich einen Wohlfühlaufenthalt in | |
der Sauna. Auf ein Zeichen von Maria aber senkt sich deren Decke mit den | |
glühenden Röhren immer tiefer auf die Weiter-so-Gesellschaft. Man kann | |
drauf wetten, dass sie nicht entkommen. | |
Auch dieses Schlussbild bleibt aber Teil eines in sich stimmigen | |
Theaterabends, der den „Würgeengel“ durchaus als Stück der Stunde | |
präsentiert. In Frankfurt wird seine „Botschaft“ nicht an die | |
Selbstbespiegelung des Theaters verkauft, sondern mit dessen virtuos | |
zelebrierten Mitteln zum imaginären Spiegel der Selbsterkenntnis. Einem, | |
der auf seine ganz eigene Weise verunsichert. Großartig. | |
22 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Joachim Lange | |
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