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# taz.de -- Gudarzi am Nationaltheater Mannheim: Götter, wo seid ihr nur?
> Das neue Stück von Amir Gudarzi am Nationaltheater Mannheim spannt einen
> Bogen der Repression, von Schöpfungsmythen bis zu Marsbewohnern.
Bild: „Als die Götter Menschen waren“ von Amir Gudarzi
Im Falle einer globalen Sintflut – wer wäre da wohl der
vertrauenerweckendste Noah? Wenn nicht [1][Trump], dann ganz klar [2][Elon
Musk]. Als wir ihm bei einer KI-manipulierten Lobrede auf seine eigenen
Weltraumschiffe per Video zuschauen, ist die Story im Stück „Als die Götter
Menschen waren“ längst zu Ende. Dem E-Auto-Hersteller und Propheten in
Personalunion sei Dank! Denn überhaupt erst durch ihn konnten einst
zumindest [3][die Reichen auf den Mars] gerettet werden.
Unter ihren Nachfahren ist auch Eva. Nachdem sie auf Filmmaterial aus der
„alten“ Welt stößt, beginnt sie das Erlösertum des Technikgenies kritisch
zu hinterfragen. Mitunter trifft sie auf die irakischstämmige Ingenieurin
Ištar (bestechend gespielt von Sarah Zastrau), die sich in einer
[4][Tesla-Fabrik] mit Giftmüll konfrontiert sieht.
Doch ihr Schicksal ist längst nicht das einzige desillusionierende. Zwar
erfreut sich Johnny (Larissa Voulgarelis) an seinem neuen Lebensmittelpunkt
Wien, hat jedoch noch die Traumata aus Aleppo im Gepäck. Derweil bemüht
sich der Exil-Kurde und Lieferant Mazlum (Leonard Burkhardt) vergebens um
eine [5][Betriebsratsgründung bei Amazon].
Was die Figuren mit ihrem literarischen Schöpfer Amir Gudarzi gemein haben,
sind einschneidende Migrationserfahrungen. 1986 in Teheran geboren, verließ
er 2009 infolge der gescheiterten Proteste gegen die Präsidentschaftswahl
sein Land und fasste in Österreich Fuß. Ähnlich seinen Helden hatte er es
anfangs nicht leicht, wie [6][sein berührendes Romandebüt „Das Ende ist
nah“] (2023) dokumentiert.
## Selbsterhaltungsdevise des Heimatlosen
Flüchtet sein autobiografisch angelehnter Protagonist anfangs noch vor
[7][dem theokratischen Schreckensregime], sieht er sich in den
Flüchtlingsheimen der Alpenrepublik neuen Formen der Gewalt ausgesetzt. Sie
reichen von der gesellschaftlichen Ausgrenzung bis hin zu Machtkämpfen
unter den Asylbewerbern selbst. „Du bist erschöpft, du bist am Ende. Aber
du musst trotzdem weitermachen, weiterkämpfen“, lautet daher die
Selbsterhaltungsdevise des Heimatlosen.
Inzwischen haben ihn die Wege als Hausautor ans [8][Nationaltheater
Mannheim] verschlagen, wo auch die Uraufführung seines aktuellen Dramas
stattfindet. Nur leider unter einer beklagenswerten Regie. Obwohl „Als die
Götter Menschen waren“ viele Szenenwechsel und Bilder bereithält, obwohl es
mit der Repression ein überzeitliches und damit vielfältig anknüpfbares
Thema anbietet, erweist sich FX Mayrs Realisierung als hilf- und
einfallslos.
Das Debakel beginnt bereits mit seltsamen Kostümen. Wohl eher ungewollt an
Hidschābs erinnernd, die für viele die Unterdrückung von Frauen
repräsentieren, treten die fünf Schauspieler:innen in den ganzen Körper
verhüllenden Mänteln mit schwarzen Zotteln auf. Wenn sie sie mal ablegen,
fragt man sich: Wofür stehen sie? Für die doppelten Identitäten zwischen
Herkunfts- und Fluchtland? Oder gar für die Verbindung zwischen den
Erdenbewohnern und den Herrschern des Himmels?
Diese Annahme erscheint, wenn überhaupt, noch am plausibelsten, zumal
Gudarzi seine kritische Menschheitsschau mit einer alten Schöpfungssage,
dem 1800 v. Chr. entstandenen Atrabasi-Epos aus Mesopotamien, unterlegt.
Seuchen wie Hungersnöte werden darin erwähnt, und ebenso die Götter, die
die Menschen als Arbeitssklaven erschaffen – nur um sie im vorliegenden,
ironischen Text aufgrund ihres Lärms baldmöglichst wieder in den Orkus zu
schicken.
## Inszenierung mutet ausgelutscht an
Zwischen den sich abwechselnden Szenen um Ištar, Mazlum und Johnny feiern
sich die metaphysischen Narzissten selbst. Oder sie tanzen bisweilen zu
Elektrobeats. Diese akrobatischen Intermezzi erschließen sich genauso wenig
wie die seltsamen Fransenoutfits oder der immer wieder gänzlich willkürlich
in den Raum geblasene Bühnennebel. Allenfalls fungieren die Choreografien
noch als Dekor und sorgen für einen kurzen Stimmungswechsel zwischen den
ansonsten weitestgehend monologischen Texten der drei Menschen.
Die Inszenierung will offenbar hip sein und mutet doch oft ausgelutscht an.
Etwa wenn die Marsbewohner in – ach – so noch nie gesehenen Neonanzügen auf
vor einem durch zwei Farben erahnbaren Horizont auftreten. Da die gesamte
Aufführung selbst nicht weiß, was sie mit einem ambitionierten und
vielschichtigen Drama anfangen soll, wird dieser richtungslose und ins
Nirgendwo zielende Blick zur unglücklichen Metapher für diesen Abend.
Umso mehr muss man sich an Gudarzis Text halten und traurig-schönen
Wendungen wie „Ich bin eine gehende Wunde, die seit Jahren offen ist“ im
Innern jenes Gewicht verleihen, das man ihnen seitens der Regie nicht
gegeben hat. Genau dann wird man der existenziellen Aussage des Werks
gewahr: Geschichte wiederholt sich, als endlose Verletzung.
30 Jan 2024
## LINKS
[1] /Verleumdungsprozess-gegen-Trump/!5988264
[2] /Elon-Musks-Drogenkonsum/!5982197
[3] /Physiker-und-Raumfahrtpionier-Musk/!5214394
[4] /Streik-in-Schweden-und-Elon-Musk/!5978802
[5] /Ausbeutung-bei-Amazon/!5980811
[6] /Amir-Gudarzi-Das-Ende-ist-nah/!5959978
[7] /Theaterstueck-zu-iranischer-Geschichte/!5978193
[8] /Theaterstueck-ueber-Klassismus/!5938869
## AUTOREN
Björn Hayer
## TAGS
Theater
Mannheim
Exil
Flucht
Postmigrantisch
Bühne
Theater
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