# taz.de -- Theater über Theater: Eine Manege voller Narzissten | |
> Herbert Fritsch inszeniert im Schauspiel Stuttgart Nis-Momme Stockmanns | |
> „Das Portal“. Das vergnügliche Chaos ist nicht nur eine Finte auf das | |
> Theater. | |
Bild: Reinhard Mahlberg, Celina Rongen, Valentin Richter und Peer Oscar Musinow… | |
An diesem Theater weiß man Bescheid: „Jeder Zuschauer, den die Bühne | |
verzweifelter in die Welt zurück entlässt, ist ein Gewinn für die Kunst.“ | |
Ja, so eine Aufführung soll markerschütternd sein, allein schon angesichts | |
des unermesslichen Herzbluts in den einzelnen Produktionen. | |
Schauen Sie doch nur, mit welch Verve der Regisseur Emre Kuşburnu, | |
bravourös gespielt von Valentin Richter, einer ach so dilettantischen | |
Schauspielerin den bühnentauglichen Verzehr eines Sandwichs erklärt | |
(unbedingt den französischen Akzent auf der letzten Silbe ‚wichhhhhh‘ | |
beachten!). Immer wieder setzt sie neu an, vergeblich. „Du hast keinen | |
Bezug mehr zum Sandwich auf archaischer Ebene […]; kau indifferent!“, weist | |
sie der Exzentriker zurecht. Dass man sich in diesem exquisiten Haus trotz | |
Kränkungen noch liebevoll „Tüss“ statt „Tschüss“ sagt, gehört natü… | |
guten Gusto. | |
Der Hurz-Sound eines Hape Kerkeling ist unverkennbar! Schließlich haben wir | |
es bei der Inszenierung von Nis-Momme Stockmanns Text „Das Portal“ mit | |
einer Betriebssatire zu tun, die in der bekannt [1][schrillen Ästhetik | |
Herbert Fritschs] Drive aufnimmt. Also Vorhang auf, diesmal ein wirklich | |
roter wie aus früheren Zeiten! | |
Gewahr werden wir da einer Manege voller Narzissten, Dandys und | |
Möchtegern-Genies. Allen voran der Chefdramaturg, dessen Jobprofil den | |
meisten Figuren völlig unklar ist, greift nach Höherem und strebt aus | |
eigennützigen Erwägungen den Sturz des Intendanten Elias Geldoff an. | |
Hommage oder Persiflage? | |
Indem er dessen neues Stück manipuliert, stürzt er by the way noch dessen | |
Autor in eine Sinnkrise. Von den Hunderten Seiten reiner Interpunktion | |
sowie Publikumsbelehrung bleibt sodann allein eine „quecksilbrige | |
Verwechslungskomödie“ übrig. Man weiß nicht, will sie nun „Hommage oder | |
Persiflage“ sein? | |
Abseits dieser schmalen und tragisch mit einem Wasserbruch endende Handlung | |
bestechen an diesem Abend die klamaukigen Einzelszenen. Oft finden mehrere | |
zugleich auf dem Parkett statt, unterlegt mit pseudoavantgardistischem und | |
herrlich vom Harlekin Charlie Casanova arrangiertem Pianogeklimper. Nein, | |
das ist doch Kunst, hier ist jeder Augenblick Kunst, Kunst, Kunst! Und die | |
erlaubt doch alles, weil sie frei ist, oder nicht? Also auch dass der | |
Dramaturg einer Nachwuchsdarstellerin die Hand um die Schulter legt, | |
nachdem er zuvor die eigene politische Korrektheit hübsch im verbalen | |
Schaufenster platziert hat. | |
Und wer sich an die vergangenen Debatten um zumeist männlichen | |
[2][Machtmissbrauch in einigen Kulturinstitutionen] erinnert, dürfte | |
überdies so einiges in dem abgehobenen Intendanten wiedererkennen. Genau in | |
jenen meisterlich überzeichneten Parodien macht sich die Dringlichkeit des | |
Werks bemerkbar. Provokativ und mit stets leichtfüßiger Gebärde decken | |
Fritsch und Stockmann die kleinen und großen Risse in der gläsernen | |
Zivilisations- und Moraldecke des Theaters auf. | |
Wie bei Wes Anderson | |
Da sich diese scheinheilige Welt allein auf Glanz und Glamour gründet, | |
tragen ihre Protagonisten Kostüme mit aufgemalten Anzügen, bewegen sich und | |
sprechen so artifiziell, als wären sie direkt einem Wes-Anderson-Film | |
entsprungen. Mal hüpfen sie herum, mal trapsen sie im Pinguin-Stakkato – | |
ein vergnügliches Chaos, das sich ebenso in den Hintergrundprojektionen | |
spiegelt. Verschiedene stereometrische Formen bildet das Licht ab, | |
selbstredend abstrakt und gemäß dem Ton der hier versammelten Granden: | |
kandinskymäßig. | |
In dieser Groteske ausschließlich eine Finte auf das Theater zu sehen, | |
griffe zu kurz. Denn Fritschs Setting versteht sich auch als | |
allgemeingültige Reflexion über eine sich in Blasen und Echokammern | |
abschottende Gesellschaft, eine, die den Blick nach außen sinnbildlich | |
durch das Portal verlernt hat. Ihr raunt diese grandiose Premiere zu: Führt | |
eure Diskurse, aber rüstet ab, beweist vor allem ein wenig mehr Mut zur | |
Selbstironie. Alles andere wäre, um zum Schluss einer Figur das Wort zu | |
geben, ähem, nur „prätentiös“. | |
23 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Björn Hayer | |
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