| # taz.de -- Erinnerung an Komponisten Georg Kreisler: Auf keinen Fall Österrei… | |
| > Das Schauspiel Frankfurt erinnert an den Komponisten Georg Kreisler. | |
| > Seine Lieder über das Fortbrodeln der braunen Suppe sind traurig aktuell. | |
| Bild: Torsten Flassig als Georg Kreisler in „Heute leider Konzert!“ im Scha… | |
| Beginnen wir ganz klassisch, mit Goethes „Erlkönig“: „Wer reitet so spät | |
| durch Nacht und Wind?“ Aber Moment, da geht es doch um einen Vater auf | |
| einem Pferd, was die Leser:innen nachhaltig irritieren könnte. Denn | |
| warum nutzt er kein Auto? Vielleicht klappt es ja mit Schiller besser: „Zu | |
| Dionys dem Tyrannen schlich / Damon, den Dolch im Gewande …“. Stopp, das | |
| geht nun gar nicht. Schließlich kann man Leser:innen ebenso wenig | |
| „Terrorlyrik“ zumuten. Und so geht dieses Spiel über Minuten – ein Autor | |
| will etwas einlesen und eine Stimme aus einem Lautsprecher interveniert, | |
| stets übrigens mit dem Hinweis: „Wir wollen natürlich keinerlei Zensur auf | |
| Sie ausüben.“ | |
| Diese Satire über bedrohte Kunstfreiheit firmiert unter dem Titel „Das | |
| klassische Gedicht“, zu dessen Autor das Schauspiel Frankfurt eine eigene | |
| Soiree ins Programm genommen hat: [1][Georg Kreisler]. | |
| Geboren 1922 in Wien, wächst er behütet in einem jüdischen Elternhaus auf, | |
| bis ihn das Naziregime zur Emigration in die USA zwingt. Dort wirkt er mal | |
| als Schauspieler, mal als Dirigent. Im Herzen aber ist er Komponist und | |
| Sänger, und zwar einer von der bissigsten Sorte. | |
| Unentwegt hält er mit seinen Werken gerade den Kleinbürger:innen, den | |
| Ewiggestrigen und Opportunist:innen den Spiegel entgegen. Wenn ein | |
| Anwalt in einem seiner Songs durch die Gassen seiner Heimatstadt flaniert, | |
| trifft er nach dem Krieg auf sehr kuriose Pazifisten, beispielsweise den | |
| Buchhändler Hammerschlag, der einst Thomas Manns Bücher verbrannte und sie | |
| nun wieder im Schaufenster stehen hat. | |
| ## „Es hat sich nichts geändert“ | |
| Oder einen zuvor noch eifrig den Hitlergruß predigenden Deutschlehrer, der | |
| noch immer an derselben Schule unterrichtet. „Es hat sich nichts geändert“, | |
| lautet daher das desillusionierende Fazit. | |
| Traurigerweise scheint es völlig anschlussfähig für unsere Gegenwart. Was | |
| hätte man aus Kreislers galliger Gesellschaftskritik in einer Ära | |
| wiedererstarkenden Antisemitismus und des Gaza-Kriegs nicht alles | |
| herausholen können? | |
| Leider verschenkt die Regisseurin der Premiere von „Heute leider Konzert!“, | |
| Martha Kollwitz, das Potenzial. Zwar kommen die Gassenhauer des Musikers | |
| allesamt vor, und auch in einer erstklassigen Interpretation durch den | |
| Pianisten Yuriy Sych sowie den Darsteller Torsten Flassig. Gleichwohl mutet | |
| die Aufführung historistisch und damit weitestgehend aus der Zeit an. | |
| Zwischen Kaffeehaustischen, altem Garderobenständer und vor weißem Vorhang | |
| tauchen wir szenisch in das beginnende 20. Jahrhundert ein. | |
| Es herrscht Varieté-Stimmung. Hier und da schmücken Schwarz-Weiß-Clips die | |
| Szenerie. Man sieht die „Hollywood“-Buchstaben über L. A. oder | |
| Originalaufnahmen Kreislers. Abgesehen von einem wiederkehrenden, | |
| melancholischen Lied, das die triste Akzeptanzhaltung der Neuen | |
| Sachlichkeit („Was sagt man zu den Menschen, wenn man traurig ist? Nichts“) | |
| zum Ausdruck bringt, plätschert dieser Abend demnach wohltemperiert vor | |
| sich hin. | |
| ## Die Texte haben noch immer Sogkraft | |
| Was wirkt, sind allem voran die Texte selbst. Sogkraft entfalten sie noch | |
| immer aufgrund ihrer eingängigen Form. Ententanzmäßige Rhythmen, gepaart | |
| mit kalauernden Paarreimen, sorgen für Komik und holen derweil die | |
| Tradition der österreichischen Schmähdichtung in die Metropole am Main. | |
| Hinter den brav mit Lackschuhen und der Anzughosen ausgestatteten | |
| Protagonisten meint man Ödön von Horváth, Thomas Bernhard und sogar | |
| Elfriede Jelinek zu erkennen, in deren Riege sich Kreisler mit einem späten | |
| Brief von 1996, gerichtet an die Kulturbehörden, übrigens auch selbst | |
| einordnete. Man solle ihn bloß von den Gratulantenlisten herunternehmen: | |
| „Auf keinen Fall bin ich Österreicher, denn im Jahre 1945 wurden die | |
| Österreicher, die 1938 Deutsche geworden waren, automatisch wieder | |
| Österreicher, aber diesmal nur diejenigen, die die Nazizeit mitgemacht | |
| hatten. Da ich kein Nazi war, müsste ich bei Gericht um meine | |
| österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen.“ | |
| Dass der Faschismus kein Momentum war, sondern im kollektiven Bewusstsein | |
| weiterlebt, davon gibt mithin der bekannteste Text des Autors Kunde, | |
| nämlich [2][„Tauben vergiften im Park“]. Nur auf der oberflächlichen Ebene | |
| mag es in dieser walzerseligen Frühlingsjause um die hygienische | |
| Beseitigung der titelgebenden Schädlinge gehen. Darunter sind unliebsame | |
| Menschen gemeint, weswegen man den Text auch als eine Kritik an jedweder | |
| „Verniedlichung von Auschwitz“ verstehen kann. | |
| Diese Deutung teasert Torsten Flassig nur an. Dabei hätte man genau an | |
| derartigen Stellen die Tiefe und Aktualität von Kreislers Werk | |
| herausarbeiten können. Er begegnet uns in „Heute leider Konzert“ | |
| stattdessen als verstaubte Büste im Regal. Man steht davor und denkt sich: | |
| nett anzusehen. | |
| 15 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Björn Hayer | |
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