# taz.de -- Emine Sevgi Özdamar im Theater: Eine wilde Lebensreise | |
> Nuran David Calis inszeniert Emine Sevgi Özdamars gewaltigen Roman „Ein | |
> von Schatten umgrenzter Raum“ in Köln. Schön sind die Momente der Stille. | |
Bild: Immer auf Achse: Zwischen Istanbul, Berlin, Bochum und Paris spielt sich … | |
Wenn überhaupt, kann es wohl nur Nuran David Calis gelingen, diesen | |
[1][gewaltigen autobiografischen Roman] von Emine Sevgi Özdamar auf eine | |
Bühne zu bringen: einen Lebensroman, der zugleich eine Abrechnung mit | |
türkischer Geschichte und deutscher Diskriminierungspraxis ist sowie die | |
Glückserzählung einer künstlerischen Selbstermächtigung. | |
Es ist nicht irgendeine Bühne, sondern das Carlswerk des Kölner | |
Schauspiels, wo diese Uraufführung am besten aufgehoben scheint: jene | |
Interims-Schauspielstätte in einer Fabrikhalle vermeintlich auf der | |
„falschen“ Kölner Rheinseite, im oft Problemviertel genannten Mülheim, | |
direkt neben der Keupstraße mit ihrer einst abgeschotteten türkischen | |
Community – und den Traumata vom NSU-Nagelbombenattentat. | |
Es war Regisseur Calis, der dies im Jahr 2014 mit dem dokumentarischen | |
Theaterstück „Die Lücke“ nachhaltig aufgearbeitet hat, [2][unter Mitwirku… | |
Betroffener.] Immer noch läuft „Die Lücke“ im Spielplan, es gibt vorher | |
launige, richtig großartige Führungen durch Moscheen, Bäckereien, | |
Shisha-Bars der Straße. | |
„Wir wurden hier durch das Schauspiel zum ersten Mal wirklich gesehen, es | |
hat alles verändert“, sagt heute noch Meral Sahin, Vorsitzende der IG | |
Keupstraße. Und so läuft wie selbstverständlich auf zwei Bildschirmen die | |
türkische und englische Übersetzung mit an diesem Abend, der 756 | |
Romanseiten in knapp zwei Theaterstunden kondensiert. | |
Weil das Leben eine im Idealfall lange Reise ist, hat Bühnenbildnerin Anne | |
Ehrlich einen alten, großen halbierten Eisenbahnwaggon sehr stimmig zum | |
Zentrum der Bühne gemacht. Emine Sevgi Özdamar blickt von dort aus hinaus, | |
mit Kajalstrich unter den Augen, langen schwarzen Haaren, schwarzem | |
Ledermantel, sie raucht, sie erinnert sich. | |
## Kreativ, unerschrocken, fokussiert | |
Gespielt wird sie in Köln von gleich drei Schauspielern, identisch | |
gekleidet: Michaela Steiger, die etwas ältere Frau. Kristin Steffen, die | |
jüngere. Und der männliche Schauspieler Daron Yates, wie um die | |
Geschlechterklischees sprengende Selbstermächtigung der großen Autorin zu | |
verkörpern. | |
Doch erst einmal flieht sie dreißigjährig vor der türkischen | |
Militärdiktatur, Krähen prophezeien ihr das Verschwinden ins Nichts: „In | |
der Ferne wird der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen“. Was soll eine | |
ehrgeizige Schauspielerin im Deutschland der 1980er Jahre anfangen, wo | |
Türkinnen höchstens Putzfrauen werden? | |
Doch Emine Özdamar ist kreativ, unerschrocken und fokussiert. Sie wird | |
Assistentin von Benno Besson an der Berliner Volksbühne, geht mit ihm zum | |
Festival nach Avignon, macht Zeichnungen von den Proben, näht Puppen, die | |
dann Vorlage für Kostüm und Maske werden, obwohl sie von ständiger | |
Prekarität und Abschiebeangst gequält ist. | |
Sie macht Kunst aus allem, sogar aus der damaligen Diskriminierungspraxis | |
an deutschen Theatern: als Mitarbeiterin von Matthias Langhoff verkleidet | |
sie sich spontan als schwangere Putzfrau und läuft über die Bühne, wird | |
Teil des Stücks, blitzschnell wirft sich Kristin Steffen die Utensilien | |
über. Um im nächsten Augenblick von Erinnerungen an die Heimat, ihre | |
Familie, die Gewalt in der Türkei, den Völkermord an den Armeniern | |
heimgesucht zu werden. In der Türkei zeigt ihr die Mutter Schuhkartons | |
voller Tötungsmeldungen: „In diesem Land leben nicht wir, sondern die, die | |
uns töten wollen.“ | |
## Feuerwerk an Bühnenmitteln | |
Regisseur Nuran David Calis entzündet ein Feuerwerk an Bühnenmitteln. Im | |
Waggonfenster sieht man eine der Emines an einem Schminktisch den Spiegel | |
beschreiben, im Hintergrund tackert stets eine Schreibmaschine: bald | |
beginnt die Schauspielerin, die alles in Kunst verwandelt, mit dem | |
Schreiben von Stücken, dann Romanen, sie gewinnt den Bachmannpreis, | |
[3][später den Büchnerpreis.] Wenn die eine Emine erzählt, wie Krähen vom | |
Leben in der Fremde warnten, schwingen die beiden anderen im Hintergrund | |
schwarze Krähenflügel. | |
Calis spielt Nina-Hagen-Songs ein, lässt Piaf- und Dylan-Songs singen, | |
eröffnet immer neue Bühnen- und Soundräume: Hubschrauber kreisen, die | |
Schauspieler karikieren Theatergrößen, gehetzt rasen sie durch die | |
Monolog-Massen, sprechen seltsam burschikos-aufgesetzt. Geradezu grotesk | |
deplatziert wirkt es, wenn in einem Atemzug erzählt und illustriert wird, | |
wie Armenier auf Todesmärsche geschickt werden – und direkt danach | |
Namedropping aus der Theaterszene der 1980er Jahre erfolgt. | |
Schön ist allerdings, wenn sich Momente der Stille auf den Spielinseln | |
ergeben, etwa im Inneren des drehbaren Waggons, auf einem orientalischen | |
Teppich, auf einem Bett, wo einst ein Liebhaber Özdamar vor der Angst | |
rettete, wieder in die Türkei zurückzumüssen. | |
Das ist er nämlich, jener „vom Schatten umgrenzte Raum“, ein existenzieller | |
Ort der Besinnung, auch im Leben von Özdamar. In ihrem Roman erzählt sie, | |
wie sie nicht in Ländern, sondern in den kleinsten Dingen lebt. Wie | |
Glücksmomente, Ängste, Privates und Politisches sich überlagern. Wenn | |
dieser Theaterabend noch etwas gebraucht hätte, dann mehr Mut und Ruhe, | |
diese kleinen Dinge zu betonen. | |
11 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Dorothea Marcus | |
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