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# taz.de -- Internationaler Tag der Putzfrau: Die mit dem Staub tanzt
> Der Jahrestag ist ein Anlass, die oft unsichtbare, schlechtbezahlte und
> harte Arbeit von Frauen endlich anzuerkennen.
Bild: Schulen, Hotels, Fabriken. Alles wird geputzt, doch die Putzkräfte bleib…
Liebe Putzfrauen, alles Gute zum Ehrentag. Feiert ihr eigentlich? Meiner
Mutter war nie nach Party zumute. Sie war Mitglied in einer Putzkolonne der
Gesamtschule in Berlin-Rudow. Gesamtschulen in den 1970ern waren graue,
hässliche Asbestbauten, in denen um die 2.000 Schüler*innen jeden Tag Dreck
machten, der durch türkische Putzfrauen entfernt werden musste.
Zur Putzkolonne meiner Mutter gehörten sechs Frauen, denen ich manchmal bei
der Arbeit zuschauen durfte, wenn ich krankheitsbedingt nicht zur Schule
gehen konnte. Bemerkenswert, wie meine Mutter ein riesiges Bohnergerät
durch die Räume fahren konnte, ohne zu jammern.
Das war der angenehme Teil ihrer Arbeit. Ihre Hauptaufgabe bestand darin,
Erbrochenes von den Klowänden zu scheuern und Kackereste aus den
Kloschüsseln zu entfernen. Das sah ich als Kind nicht. Dafür sah ich nur
die tollen Seiten des Jobs: Sechs Frauen, die es sich im Pausenraum für
eine halbe Stunde gemütlich machten, über ihre Männer und Kinder lästerten
und sich Milchpulver von Aldi in den Kaffee löffelten.
Es gab jedes Mal Gebäck aus den Küchen dieser Frauen, jeden Tag brachte
eine andere Kollegin etwas mit. Die Hände dieser Frauen waren rot und
runzlig von den Putzmitteln. Doch sie konnten trotzdem noch backen, kochen
und Kinderköpfe streicheln. Manchmal wurden sie sogar mit Nivea-Creme
eingerieben. Aber das war nur manchmal: Nivea, das war Luxus.
Die türkische Putzfrau war lange das Klischee der türkischen Frau in
Deutschland. Was diese Frauen vor ihrem Leben in Deutschland gemacht
hatten, warum sie nun putzten und warum sie sich nicht [1][einen anderen
Job suchten, der ihnen Anerkennung und ausreichend Geld brachte,] war mir
lange nicht klar. Und es scheint auch all jene nicht zu interessieren, die
sich mit dem Gebiet der Arbeitsmigration beruflich beschäftigen. Die
Unsichtbarkeit bleibt, auch heute noch.
## Die Unsichtbarkeit der Putzfrau
Eine Ausnahme bildet dazu Emine Sevgi Özdamar, eine der bekanntesten
deutschtürkischen Autorinnen. „Mich interessiert die Putzfrau und ihre
Geschichte“ sagte sie in einem Interview. Als kleine Anekdote am Rande sei
hier eine Rezension zum Theaterstück „Lieber Georg“ zu erwähnen, in der s…
stumm die Rolle der türkischen Putzfrau innehatte. Der Rheinische Merkur
schrieb im Februar 1980 dazu: „Die sehr beschäftigte türkische Putzfrau ist
wahrlich eine türkische Gastarbeiterin.“ Kein Wort davon, dass sie in dem
Stück als Regieassistentin fungierte. Die Unsichtbarkeit der Putzfrau
überträgt sich eben auch auf die Schauspieler*innen.
Meine Mutter putzte, weil es der Job war, den alle ihre Freundinnen
ausübten. Sie putzte, weil es damals sehr leicht war, an diese Jobs zu
kommen. Wenn einem die Stelle nicht gefiel, dann hatte man, zack, die
Möglichkeit, gleich am Folgetag per Mundpropaganda einen anderen Putzjob zu
finden.
Wir waren umgeben mit einer ganzen Armada von Putzfrauen, die im
Morgengrauen Schulen und Krankenhäuser säuberten oder nachmittags in
Fabriken, Arztpraxen und Büros putzten. Aber in den historischen
Rückblicken zu Gastarbeitern tauchen ihre Geschichten kaum auf.
Der einmillionste Gastarbeiter war ein Mann, Armando Sa Rodrigues aus
Portugal, dem auf dem Kölner Hauptbahnhof 1964 [2][ein Mofa als
Gastgeschenk überreicht wurde.] Das Bild findet sich in nahezu allen
Schulbüchern. Betrachtet man die Arbeitsmigration aber aus der Perspektive
der Geschlechter, finden sich nur wenig Informationen über die Frauen, die
damals kamen.
Laut der Bundesanstalt für Arbeit gehörten meine Mutter und ihre
Kolleginnen zu den 706.000 ausländischen Frauen, die 1973 in der
Bundesrepublik Deutschland registriert waren. Interessanterweise arbeiteten
Anfang der 70er Jahre nur 29 Prozent aller westdeutschen Frauen, dafür
waren aber mit rund 55 Prozent mehr als die Hälfte aller in der
Bundesrepublik lebenden ausländischen Frauen erwerbstätig. Das hatte
Gründe.
## Kollektiver Traum der Rückkehr
Vielfach glaubten alle „Gastarbeiterinnen“ an den kollektiven Traum der
Rückkehr und verfolgten so ihr Ziel, möglichst viel anzusparen, um damit
wieder in ihr Land zurückzukehren. Ihre Kinder ließen sie bei Verwandten
zurück, um sie, vielleicht, einmal im Jahr wiederzusehen.
Viele der Kolleginnen meiner Mutter gingen noch vor der Arbeit am Fließband
putzen und schrieben abends Briefe an diejenigen, die sie zurück ließen.
„Kofferkinder“ nannte man ihre Kinder. So wie die Koffer, die stets für
alle sichtbar in den Wohnzimmern thronten und auf die Abreise warteten, die
nie eintrat. Kindergartenplätze, Tagesmütter und Krippen waren in den 70er
und 80er Jahren für diese Frauen kaum erschwinglich. Auf wenige Stunden
begrenzte, schlecht bezahlte Arbeit war also eine der wenigen
Möglichkeiten, sich nicht für einen Vollzeitjob am Fließband hinzugeben –
mit der Gewissheit, abends selbst die Kinder ins Bett zu bringen.
Aber zurück zum Ehrentag. Die Putzfrauenmütter meiner Generation schauen
auf mickrige Rentenbescheide und freuen sich für ihre Töchter, wenn sie
nicht mehr selbst putzen müssen, sondern putzen lassen. Die Putzfrau als
Statussymbol – [3][auch in der taz wurde das kontrovers diskutiert.]
Frauen, die Vollzeit arbeiten, und Putzfrauen beschäftigen – in linken
Kreisen eher ein No-Go.
Meine Freundinnen in der Türkei schauen mich mitleidig an, wenn ich
erzähle, wie ich meinen Arbeitsalltag mit Kindern ohne fremde Hilfe
organisiere. Ihre Haushalte werden von georgischen, kurdischen,
aserbaidschanischen und philippinischen Frauen organisiert. Die stummen,
putzenden „Gastarbeiter*innen“ unserer Generation haben auch wieder Kinder,
mit denen sie nun über Onlinedienste wie Skype und WhatsApp Kontakt halten.
Sie sind die Kofferkinder der next generation.
## Was darf nicht fehlen?
Über WhatsApp fragte ich auch die einzige Putzfrau in meinem
Bekanntenkreis, Agnieszka, was ich unbedingt in diesen Text schreiben muss.
Früh am Morgen, bevor sie zur Arbeit geht, schreibt sie zurück: „Schreib,
dass das ein harter Job ist. Ich kenne viele Frauen, die wie ich seit
Jahren als Putzfrau arbeiten. Sie haben Probleme mit dem Rücken und Rheuma.
Meine Hände sind so geschwollen, ich kann keine Ringe mehr tragen.“
Agnieska ist studierte Buchhalterin. Ihre Ausbildung wird hier nicht
anerkannt. Derzeit wünscht sie sich einen festen Job für 20 Stunden die
Woche, wegen der Kinder. Viele Arbeitgeber wollen sie schwarz beschäftigen,
sie lehnt das ab.
Meiner Mutter guckt mich erschüttert an, als ich ihr von dem Tag der
Putzfrau erzähle. „Ist doch alles Quatsch“, ruft sie und schaut einfach
weiter Nachrichten im türkischen Fernsehen. Sie denkt, dass ich ihre Arbeit
romantisiere, während ich sie nach ihrer Arbeit ausfrage. „Schreib’ das
ruhig rein“, sagt sie. Mach ich, Mama.
Weiße Rosen schenkt man den Putzfrauen heute wohl zum „Weltputzfrauentag“.
Meine Mutter und Agnieska hätten sich bedankt.
8 Nov 2017
## LINKS
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## AUTOREN
Ebru Tasdemir
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