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# taz.de -- Festspiele in Bayreuth: Routine aufbrechen
> Streit belebt – das gilt auch für die Festspiele in Bayreuth. Es zeigte
> sich wieder beim „Ring des Nibelungen“ in der Regie von Valentin Schwarz.
Bild: Wo bekommt man schon solch vokale Kraftpakete wie Andres Schager als Sieg…
Wenn in Bayreuth ein Ring auf dem Spielplan der Festspiele steht, dann ist
der natürlich das Zentrum. Allein schon wegen der Masse an Musik und
Aufwand. Außerdem ist er beim Publikum beliebt fürs Interaktive.
Wagnerianer knöpfen sich besonders gerne die Regisseure vor. Vor allem,
wenn diese das Diktum des Festspielgründers „Kinder, macht Neues!“ szenisch
beim Wort nehmen und gegen den Strich inszenieren.
Auch in diesem Jahr rufen mehr oder weniger sachkundige Politiker wieder
nach mehr Öffnung der Festspiele, nach Transparenz und Diversität. Und
übersehen dabei, wie weit sich Deutschlands einzige echte Weltmarke in
Sachen Hochkultur unter Leitung von Richard Wagners Urenkelin schon
verändert hat.
So wurde gleich mehrfach (in Herheims „Parsifal“ und [1][Koskys
„Meistersingern“]) das braune Kapitel der eigenen Geschichte offensiv
thematisiert. Wie selbstverständlich wurde gerade das zweite Debüt einer
Dirigentin („Tannhäuser“) gefeiert. Hier werden technische Innovationen
(wie im [2][AR-Brillen-Parsifal]) ausprobiert.
Ideen hat die Festspielchefin jeden Menge, man müsste sie nur machen
lassen. Doch sie muss ein Unternehmen auf Kurs halten, bei dem viele
ziemlich rigide mitreden und entscheiden wollen und es strukturell auch
können. Wenn dann, wie in diesem Jahr, partout kein Skandälchen im Vorfeld
zu haben ist, dann werden eben ein paar ohne jahrelange Wartezeit (ganz
offiziell) zu kriegende Karten zum Menetekel des Untergangs stilisiert …
## Katharina Wagner wagt einiges
Künstlerisch riskiert Katharina Wagner eine Menge. Vom eigenwilligen
Altstar (Frank Castorf) bis zum jungen, noch unbekannten Regietalent
Valentin Schwarz. Dass das nicht jedem gefällt, ist klar. Dass man auf dem
Grünen Hügel musikalische Spitzenqualität erwarten darf – und die längst
auch wieder fast durchgängig bekommt –, versteht sich fast von selbst.
Zumindest in diesem Punkt waren sich die Zuschauer auch beim ersten
Durchlauf des [3][aktuellen Rings von Valentin Schwarz] vom Vorjahr einig.
Nach jedem Abend wurden die Protagonisten gefeiert. Auch der junge
finnische Dirigent Pietari Inkinen, der sich im vorigen Jahr noch vertreten
lassen musste, wurde jetzt mit seiner Ring-Lesart am Anfang noch ermutigt,
ab „Walküre“ aber gefeiert.
Als sich nach der „Götterdämmerung“ auch der Regisseur und sein Team dem
Publikum stellten, waren die erwartbaren Buhrufer natürlich zuverlässig zur
Stelle. So verbissen wie im vorigen Jahr fielen die Attacken aber nicht
aus. Natürlich ist Schwarz bei seiner Grundidee geblieben. Aber er hat die
Chance genutzt, die die gerne beschworene „Werkstatt Bayreuth“ bietet. Bei
der Personenführung in der Arbeit mit seinen fabelhaften, teils neu
eingestiegenen Darstellern. Aber auch szenisch.
Nach dem Vorgänger-Ring von Castorf, der das [4][Scheitern großer Utopien
bildmächtig durchdekliniert] hatte, bricht der Österreicher die Erzählung
vom Untergang der Götterwelt beim Kampf um die Macht (für die der Ring
steht) konsequent auf Menschenmaß herunter und macht daraus eine Art
Familiensaga. Dabei kommen in der Ausstattung von Andrea Cozzi (Bühne) und
Andy Besuch (Kostüme) zwar etliche Utensilien, die eigentlich wie der Ring
(also das Gold) selbst dazugehören, abhanden. Dafür gibt es zusätzliches
Personal und ein eigenes System von optischen Leitmotiven.
## Kampf um den Nachwuchs
Ein kleines, leuchtendes Walhall-Pyramiden-Modell taucht immer wieder auf,
der Hut von Wotan oder der Schal des Riesen. Vor allem aber wird der Ring
vom Schmuckstück zu einem Menschen. Bei Schwarz sind Wotan und Alberich
nicht nur zwei Seiten einer Medaille, sondern bekämpfen sich im Video schon
als Embryos im Mutterleib. Um ihren Machtanspruch zu sichern, setzen beide
auf ihren Nachwuchs. Alberich kidnappt vom Swimmingpool weg Klein-Hagen,
den er dann freilich wieder an Wotan rausrücken muss. Schließlich wächst
der bei Fafner (hier eine Art superreicher Bauherrenfiesling, dem alle um
ihn herum den Tod wünschen) heran.
Diesen Handlungsstrang hat Schwarz dem Drehbuch von Wagner hinzugefügt und
(wenn man sich drauf einlässt) spannend durchgezogen und jetzt noch mal
klarer zu Ende geführt. Auch Wotan kennt in der Nachwuchsfrage keine Tabus.
Schon das Zwillings- und Liebespaar Siegmund und Sieglinde ist das Resultat
eines Seitensprungs. Bei deren Sohn Siegfried setzt Schwarz noch einen
drauf und macht Wotan selbst zu dessen Erzeuger.
Dass dann Brünnhilde und Siegfried ihrerseits in einer Kleinfamilie mit
Kind leben, versteht sich da fast von selbst. Das klingt schräg – ist es
auch. Aber es ist eine These, die nicht so weit von Wagners
Untergangsvision entfernt ist, wie es scheint, wenn man es liest. Wer
bereit ist, sich auf die Binnenlogik dieser Erzählung einzulassen, wird
allemal spannend unterhalten.
Dazu gehört auch, dass in diesem Jahr ganz am Ende im eiskalten
Neonröhren-Feuerzauber ein erhängter Wotan den Untergang seiner Welt wie
ein optisches Ausrufezeichen abrundet.
## Brillante Besetzung
Die packende Gesamtwirkung dieses Rings liegt natürlich zu einem Großteil
auch am (Um-)Besetzungsgeschick der Festspielchefin. Wo bekommt man schon
in einer Produktion vokale Kraftpakete wie Andreas Schager als Siegfried
und einen so prachtvoll tönenden Wotan wie Tomasz Konieczny. Oder eine so
intensiv und frei gestaltende Brünnhilde wie Catherine Foster (die schon im
Vorgängerring brillierte).
Wo können schon Klaus Florian Vogt als Siegmund und Elisabeth Teige als
Sieglinde zusammenfinden, oder Christa Mayer als Fricka (und als Waltraute)
oder der unverwüstliche Georg Zeppenfeld als Hunding so überzeugend
vorführen, wie wortverständlicher Wagnergesang geht. In diesem Jahr
beeindruckten besonders auch Mika Kares als Hagen und Aile Asszonyi als
Gutrune mit ihrer Verbindung aus Spiellust und stimmlicher
Prachtentfaltung.
Das Protagonisten-Ensemble und der Chor wurde durchweg – ganz zu Recht –
immer wieder bejubelt. Dass die szenische Umsetzung beim Publikum
umstritten bleibt, ist kein Nachteil und bei Überschreibungen nicht anders
zu erwarten. Im Vergleich mit der Lesart, die [5][Dmitri Tchernjakow an der
Staatsoper in Berlin] durchexerziert hat, muss sich die von Schwarz in
Bayreuth jedenfalls nicht verstecken.
2 Aug 2023
## LINKS
[1] /Festspiele-Bayreuth/!5429636
[2] /Eroeffnung-der-Festspiele-in-Bayreuth/!5946530
[3] /Ring-Inszenierung-in-Bayreuth/!5867990
[4] /Finale-Bayreuth/!5061978
[5] /Archiv-Suche/!5884009&s=Ring+Staatsoper&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Joachim Lange
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