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# taz.de -- Festspiele Bayreuth: Der Brandstifter
> In seiner Inszenierung der „Meistersinger“ setzt sich Barrie Kosky mit
> Wagners Antisemitismus auseinander. Und setzt damit Maßstäbe.
Bild: Auf der Bühne ist bei Kosky die antisemitische Hölle los
Dauerregen bei 10 Grad Außentemperatur auch in Franken sorgte am Dienstag
für ziemlich lustige Bilder frierender Damen mit Dekolleté am Arm standhaft
Haltung wahrender Herren von Bedeutung. Nicht wirklich schöne Bilder der
Schönen und Wichtigen also diesmal vor dem Festspielhaus. Im Saal jedoch
war eine Aufführung zu sehen, die Maßstäbe setzen könnte, nicht nur für
dieses eine Stück, sondern für das Gesamtwerk des Komponisten und
Schriftstellers Richard Wagner.
Er wollte beides sein als Prophet einer Kunstwelt. Er war es wirklich und
Barrie Kosky nimmt ihn ernst und die Dinge beim Wort. Deshalb dürfen wir
uns nicht einmal unbeschwert dem Genuss des Vorspiels hingeben, das völlig
zu Recht in den Programmen von Symphoniekonzerten steht. Es ist ein großes
Stück Musik und Philippe Jordan lässt es so spielen, wie es sich gehört.
Niemals pompös, sondern feingesponnen klingt es aus dem überdeckten Graben
herauf, aber auf der Bühne ist schon jetzt die Hölle los. Das ist hier
keine Redensart, sondern die Wahrheit, historisch beglaubigt, mit
Leuchtschriften zitiert Kosky aus Tagebüchern und anderen Dokumenten.
Alles beginnt in der Villa „Wahnfried“. Hermann Levi, der jüdische
Dirigent, hat seinen Besuch angekündigt, auch Franz Liszt kommt vorbei.
Cosima hat Migräne, der Hausherr muss noch mit den Hunden Gassi gehen,
kommt dann aber auch bald herein in den Prachtsaal aus Gold und Brokat,
vollgestopft mit Sesseln, Polstern, Nippes und Gemälden. Jetzt geht es nur
noch um ihn, ständig werden neue Luxuswaren angeliefert, Schuhe, ein
Seidenschal, Parfums, noch ein Porträt der schönen Cosima. Levi und Liszt
sitzen verkniffen daneben. Er ist nun mal der Größte. Liszt spielt auf dem
Flügel das Orchestervorspiel mit, sofort muss Wagner selbst in die Tasten
hauen, viel großartiger als sein Gast, der gefeierte Magier des Klaviers
In Wirklichkeit spielte Wagner das Instrument miserabel, sagen
Zeitgenossen. Pantomimen füllen die Bühne, über die man herzlich lachen
kann und die beiläufig Koskys Kunst der Personenführung zeigen. Wagner,
Cosima, Liszt und Levi werden singen. Selbst mit ihnen, die so was gar
nicht können müssen, gelingt ein Theaterspiel, vom dem andere nur träumen
können.
## Wagner lässt beten
Aber Böses zieht auf, die Kirchenszene des ersten Aktes beginnt. Wagner
lässt Kerzen bringen, knien und beten. Levi kann nicht mitmachen, wird
vertrieben, aber er wird wiederkehren als Sixtus Beckmesser. Er, der nur
Regeln kennt, die er nicht versteht, wird die Hauptrolle spielen und die
einzige Figur bleiben, die komisch ist. Denn sie scheitert großartig.
Johannes Martin Kränzle singt und spielt mit bedrückender Dichte und
Präsenz einen verzweifelt kämpfenden Mann. Dass er wirklich nicht singen
kann, ist niemals lächerlich, es führt nur in Situationen melancholischer
Resignation.
Beckmesser ist Koskys Maßstab der Menschlichkeit. Am Ende des ersten Aktes
schiebt die Bühnenbildnerin Rebecca Ringst Wagners Salon zurück und
verschließt den Guckkasten mit der Rückwand des Verhandlungssaals der
Nürnberger Prozesse gegen die Kriegsverbrecher der Nazis. Am Rand hängen
die Flaggen der Siegermächte, auf dem Stuhl des Angeklagten sitzt Michael
Volle, der überragende Sänger des Hans Sachs, Schuster und Meistersinger
der Zünfte von Nürnberg.
## Kosky trifft den Kern
Der Vorhang fällt. Koskys Pointe trifft den Kern. Wagner wollte mit den
„Meistersingern“ seine eigene Kunst reflektieren. Wie soll man messen, was
„unermesslich“ ist, lässt er den Schuster singen. Mal trägt er seinen
Wagnerhut, mal nicht, wir kennen ihn aus seiner Privatwohnung.
Nur ist nichts privat an dieser Spiegelfigur. Sie ist ein Brandstifter.
Wagner sitzt vor dem Tribunal in jenem Nürnberg, das er als sein deutsches
Mittelalter fantasiert hat, weil Kosky die Unschuldsvermutung gegen das
Werk, die wir uns angewöhnt haben, wenn es um Wagner geht, nicht hinnimmt.
Kosky führt drastisch vor, dass Musik und Text selbst gegen Fremdes,
Anderes zielen, nicht nur, aber vor allem das tatsächlich jüdische
Geistesleben in ganz Europa.
Für den zweiten Akt hat Rebecca Ringst den Boden des Gerichtssaals mit Gras
ausgelegt. Es kommt zum Showdown zwischen Sachs und Beckmesser. Die Parodie
endet in einem Bild unmittelbaren Grauens. Die anderen Meistersinger sind
gekommen, mit Sachs zusammen gröhlen sie wie eine Bande von Hooligans. Ein
Riesenballon entfaltet sich aus dem Dunkel dieser Nacht, er zeigt die
Fratze des Judengesichts aus den einschlägigen Nazizeitungen. Auch
Beckmesser trägt jetzt diese Maske. Der Nachtwächter ruft, der Ballon sackt
in sich zusammen, der Vorhang fällt.
Danach ist der Nürnberger Gerichtssaal voll möbliert. Wagner/Sachs bringt
einem jungen Mann das Meistersingen bei. Weil diese Rolle von Klaus Florian
Vogt gesungen wird, ist das Ergebnis eines jener Meisterwerke, die Richard
Wagner nun mal hinterlassen hat. Kosky hört genau zu. Die Schönheit
verhöhnt Beckmesser. Ein Urteil spricht das Gericht nicht. Es zieht sich
zurück, einsam muss Volle Wagners Selbstverteidigung zu Ende singen:
„Verachtet mir die deutschen Meister nicht.“ Nein, gerade Kosky will das
nicht. Mehr Respekt hat dieses Werk noch nie gefunden. Wenige Buhs, spürbar
nachdenklicher Applaus im Festspielhaus.
27 Jul 2017
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
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