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# taz.de -- Volkskunde im linken Kulturzentrum: In den Wagner gequatscht
> Im Bremer Schlachthof-Theater zerlegen Julian Meding und Jasper Tibbe
> Wagners „Tristan und Isolde“ mit Unbehagen aus echtem Interesse.
Bild: Bild von der „Tristan“-Uraufführung 1865: Liebe, Tod und überwälti…
Wenn Sie nun lesen, dass im Schlachthof-Theater heute Abend Wagner gegeben
wird, dann ist ja klar: Da ist was faul. Denn auch wenn der
Ein-Mann-Betrieb im Frühjahr ordentlich aufgerüstet hat – das Orchester für
„Tristan und Isolde“ bekämen Sie da auch ohne Instrumente nicht rein. Und
überhaupt: Völkischer Bombast im alternativen Kulturzentrum?
Die Performer Julian Meding und Jasper Tibbe haben etwas anders vor.
„Tristan und Isolde“ laufen vom Band und werden regelmäßig unterbrochen. …
stehen die beiden auf der leeren Bühne und erzählen: was sie wollten von
dem Stoff, wie aufregend das zwischendurch war – und wie schmerzhaft. Wegen
Wagners Vernichtungsideologie, aber auch weil das Nachsingen selbst geübte
Sänger an die Grenzen treibt.
Die Form ist der Oper gar nicht so fremd. Man kennt das von den
Dramaturgeneinführungen im Foyer, bevor der Vorhang aufgeht. Hier ist das
Suchen nach Assoziationen, Verweisen und Kontexten zur Kunstform erhoben.
Manchmal ironisch gebrochen, aber doch authentisch. Die beiden meinen es
ernst mit ihrem Wagner, sind fasziniert und haben sich auch tatsächlich
überwältigen lassen.
Eben das macht diese Musik ja aus, wie sich heute Abend selbst von CD noch
nachfühlen lässt. Die Ouvertüre im Dunkeln, hier in Carlos Kleibers
Einspielung von 1982 mit der Staatskapelle Dresden, wühlt einen ja auf.
## Thema: „Erlösung durch Vernichtung.“
Als das Bremer Theater vor einem Jahr seinen Parsifal spielte, ließ sich
Regisseur Marco Štorman im Programm zitieren: „Dann ist man erschrocken
über sich selbst, dass man so überwältigt wird.“ Das war im Großen Haus am
Goetheplatz, im winzigen Schlachthof-Theater wird dieser Schrecken nun
reflektiert.
Meding rattert trocken die Eckdaten runter. Komponiert: zwischen 1857 und
1859. Uraufgeführt: 1865. Stoff: keltische Sage. Thema und Intention:
„Erlösung durch Vernichtung.“
Das klingt ein bisschen nach Vorverurteilung und tatsächlich: Dass Wagner
kein Antisemit sei und dass seine Musik damit eh nichts zu tun habe –
darauf lassen sich Meding und Tibbe gar nicht erst ein. Bei der Recherche
hätten ihnen darin ja selbst Wagnerfreunde zugestimmt.
Ihre Frage ist nun aber, ob man das als Hörer wegdenken kann, ob das
historischer Ballast ist und ob die Kunst – wie so oft behauptet – wirklich
größer ist als ihr antisemitischer Verursacher.
Beantworten soll sich das heute Abend der Zuschauer, die Performer geben
nur das Material an die Hand. Vor allem sind das Texte von den politischen
Rändern: Alain Badiou und Slavoj Žižek von links (zugegeben: beide nicht
gerade frei von autoritären Phantasien), Heinrich Heine oder RAF-Anwalt und
späterer Rechtsaußen-Promi Horst Mahler.
Der kommt hier mit seinem „Erweckungserlebnis“ schwülstig zu Wort: „Eines
der Verdienste von Otto Schily ist, dass er mir die Gesamtausgabe von
Hegels Werken ins Gefängnis gebracht hat.“ Meding liest das mit
finster-kratziger Stimme über die Musik. Ein dramatischer Moment
vermeintlichen Begreifens, nach dem plötzlich alles ganz anders, wahr und
richtig ist.
Gesagt hat Mahler das in das in Birgit Schulz’Kinodokumentationsfilm „Die
Anwälte“ von 2009. Und da klingt er ganz anders. Ruhig und vorsichtig
erzählt er da, betont beiläufig. Meding interpretiert also, versucht wie
aus dem Wagner das herauszukitzeln, was Erweckung ausmacht: Hingabe,
Unterwerfung und Liebe, die mit dem Tod in eins fällt. Und das Urteil, wie
gesagt, das bleibt dem Publikum und seinem Blick auf die meistens leere und
immer dunkle Bühne.
Termine: 22. und 23. September, 20 Uhr, Schlachthof Bremen
22 Sep 2017
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
Richard Wagner
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Bremen
Oper
Antisemitismus
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