| # taz.de -- Premiere in der Deutschen Oper: Die Abgehängten | |
| > Kritik der reinen Revolution: Giacomo Meyerbeer bringt in seiner Oper „Le | |
| > Prophète“ die Mechanismen religiöser Demagogie auf die Bühne. | |
| Bild: Die Aufrührer in Giacomo Meyerbeers Oper „Le Prophète“ an der Deuts… | |
| Immer wieder unterbricht spontaner Beifall die Aufführung. Wenn nach | |
| viereinhalb Stunden alles vorbei und gesagt ist, was zu sagen war, will der | |
| Sturm der Begeisterung im Saal gar nicht mehr aufhören. Es war die ganz | |
| große Oper, was an diesem Sonntag in der Bismarckstraße zu hören und zu | |
| sehen war, und beweist vor allem eines: Giacomo Meyerbeer muss zurückkehren | |
| auf die Bühnen der Welt. Seine Konzeption eines Musiktheaters, das in | |
| glanzvoll großem Format und mit wuchtiger Dramatik zentrale Fragen der | |
| Macht und des Glaubens verhandelt, könnte aktueller und moderner gar nicht | |
| sein. | |
| Die Deutsche Oper hat mit neuen Inszenierungen von „Vasco da Gama“ und „D… | |
| Hugenotten“ schon viel getan für diesen großen Musiker und hellwachen, | |
| weitgereisten Geist, begraben in seiner Heimatstadt Berlin und fast | |
| vergessen. Wagner hat ihn aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt, aber | |
| dessen antisemitische Dummheiten allein waren nicht schuld daran. | |
| Meyerbeer, so darf man nach der Premiere von „Le Prophète“ vermuten, war | |
| seiner Zeit viel zu weit voraus. | |
| Nach den Uraufführungen hat das Publikum in ganz Europa seine Werke zwar | |
| gefeiert, aber das lag womöglich nur daran, dass Meyerbeer ein virtuoser | |
| Handwerker der Effekte und der Unterhaltung war. Nachweislich entstand „Le | |
| Prophète“ erst in den Proben. Meyerbeer schrieb alles um für die Stimmen | |
| der Stars und die modernste Bühnentechnik. Sogar die komplette Ouvertüre | |
| landete im Papierkorb. Als Ersatz ist jetzt ein zauberhaft melancholisches, | |
| völlig unbegleitetes Klarinettensolo zu hören. | |
| ## Ohne biedermeierliche Gefühlshuberei | |
| Natürlich begannen Meyerbeers Sinnenreize nach hundertfachen Wiederholungen | |
| auf allen Bühnen der Welt in den zeitgenössischen Ohren zu verblassen, und | |
| man warf ihm „Oberflächlichkeit“ vor. Heute können wir verstehen, warum d… | |
| kein Vorwurf ist. Im Gegenteil liegt gerade darin Meyerbeers Größe. Er | |
| verweigerte sich der biedermeierlichen Gefühlshuberei und privaten | |
| Innerlichkeit seiner Nachfolger ebenso wie Wagners Flucht in mythische | |
| Heldensagen. | |
| Meyerbeer wollte niemanden zu Tränen rühren, er wollte diskutieren. Es ging | |
| ihm um die Sache, um kritische Fragen der Zeit – den Kolonialismus in | |
| „Vasco da Gama“, das Christentum insgesamt in den „Hugenotten“ und die | |
| religiös verbrämte Demagogie in „Le Prophète“. | |
| Opfer sind schon damals die Abgehängten. Meyerbeer war Augenzeuge des | |
| Sturms auf die Tuilerien von 1848 und klug oder auch nur konservativ genug, | |
| sich keine Illusionen über die damals in ganz Europa um sich greifenden | |
| Revolten zu machen. | |
| ## Drei moraltriefende Schwätzer | |
| Mit den bewährten Autoren Eugène de Scribe und Émile Deschamps spiegelte er | |
| den Aufruhr zurück in die Bewegung der Wiedertäufer des 16. Jahrhunderts. | |
| Drei moraltriefende Schwätzer ernennen einen Schankwirt zu ihrem Propheten | |
| und unterwerfen die Stadt Münster ihrer mordlustigen Idee eines | |
| Gottesstaates. | |
| An der Deutschen Oper haben der Regisseur Oliver Py und sein Bühnen- und | |
| Kostümbildner Pierre-André Weitz den Schauplatz in eine Schlafstadt von | |
| heute mit verfallenden Industrie- und Plattenbauten auf einer rotierenden | |
| Drehbühne verlegt. Das passt schon irgendwie, ist aber doch ein arg | |
| schematisch geratener Versuch, ein historisches Werk optisch in die | |
| Gegenwart zu überführen. Allerneuste LED-Bildschirme für Werbung sollen uns | |
| zusätzlich auf die Sprünge helfen. Wenigstens kommt damit ein wenig Farbe | |
| in das Einheitsgrau der Bilder. | |
| Dass es Bilder eines unglaublich reichen, dichten Meisterwerks sind, ist | |
| leider nur zu hören. Erst Enrique Mazzola, der Dirigent, holt diesen so | |
| sehr verkannten Komponisten tatsächlich in die Gegenwart zurück, und zwar | |
| mitten hinein sowohl in das politische wie auch ästhetische Geschehen von | |
| heute. Sie singen, die Populisten, religiösen Terroristen oder wie immer | |
| man sie nennen mag. | |
| ## Bösartiges Martyrium der Betrogenen. | |
| Sie singen Meyerbeer, Mazzola hat den Sängern Derek Welton, Andrew | |
| Dickinson und Noel Bouley gezeigt, was daraus entstehen kann. Man versteht | |
| ihr mörderisches Gerede, weil Meyerbeer ihnen dafür die Melodien gibt, | |
| einfache, nachsingbare Meldien in wiegenden Tanzrhythmen. Wann immer sie | |
| ihren Choral zu blödsinnigen lateinischen Worten im Stil der christlichen | |
| Liturgie anstimmen, liegen Leichen herum. | |
| Volle 16 Minuten lang darf das Volk dann unter den neuen Herren tanzen. Es | |
| ist das große, vierteilige Ballett, das in Paris Pflicht war. Meyerbeers | |
| fröhliche Volkstänze machen daraus ein bösartiges Martyrium der Betrogenen. | |
| Höhepunkt des Werkes ist jedoch das Drama einer Mutter, die erkennen muss, | |
| dass ihr Sohn ein Mörder ist, sie hat das letzte Wort. Clémantine Margaine, | |
| die Mutter, und Gregory Kunde, der zum Schlächter gewordene Prophet, singen | |
| diese Botschaft Meyerbeers so wunderbar und klar, dass sie nicht zu | |
| überhören ist. So klingt politische Musik von heute. | |
| 30 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Niklaus Hablützel | |
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