| # taz.de -- Premiere in der Deutschen Oper: Am Ende gut abgefüllt | |
| > Die Deutsche Oper Berlin zeigt eine 15 Jahre alte Rekonstruktion von | |
| > Jaques Offenbachs unvollendeter Oper „Les Contes d’Hoffmann“. | |
| Bild: „Hoffmann“ an der Deutschen Oper | |
| Enrique Mazzola hat in Berlin zwei der großen Opern von Giacomo Meyerbeer | |
| dirigiert, mit denen die Deutsche Oper in den letzten Jahren an das im | |
| wagnerianischen Deutschland verpönte Berliner Genie des musikalischen | |
| Welttheaters erinnern wollte. Beide, „Vasco da Gama“ und „Le Prophète“, | |
| wurden unter seiner Leitung zu Höhepunkten der jeweiligen Saison. Jetzt ist | |
| Mazzola mit einem anderen Verehrer von Meyerbeer an die Bismarckstraße | |
| zurückgekommen: mit Jaques Offenbach und seiner letzten Oper „Les Contes | |
| d’Hoffmann“. | |
| Sie beruht auf Erzählungen des Berliner Kammergerichtsrats E. T. A. | |
| Hoffmann und gilt als schwer spielbares Fragment, weil Offenbach den | |
| letzten Akt nicht mehr zu Ende komponieren konnte. Aber Mazzola kümmert | |
| sich nicht um dieses Problem, er nimmt die Musik ernst, die überliefert | |
| ist, und findet darin eher den dramatischen Ton von Meyerbeer als den | |
| gewohnten Champagner-Klang von Offenbachs Operetten. Sogar die Barcarole | |
| des vierten Akts ist kein viraler Ohrwurm mehr. Zu hören ist vielmehr ein | |
| unwirklich zartes, jenseitiges Flüstern eines Traums der Lust, das sanft in | |
| den vollen Klang zweier Frauenstimmen hineingleitet und dann still | |
| verklingt. | |
| Zauberhaft, doch nicht verwunderlich, weil die Barcarole ja ursprünglich | |
| die Ouvertüre von Offenbachs romantischer, aber erfolgloser Oper „Die | |
| Rheinnixen“ war. Offenbach muss genau gewusst haben, was für ein | |
| Meisterwerk ihm damals, 1864, eingefallen war, und baute es ein in seinen | |
| letzten Versuch, doch noch die große Oper zu schreiben, deren Vorbild er | |
| bei Meyerbeer sein Leben lang bewundert hatte. Das ist ihm wirklich | |
| gelungen, findet zumindest Enrique Mazzola und gibt mit großem | |
| Orchesterklang die Bühne frei für riesengroße Arien und Ensembles der | |
| größtmöglichen Oper, die man sich denken kann. | |
| ## Hält sich an den Wortlaut des Manuskripts | |
| Für das Theater, das dazu gehört, fand er in Laurent Pelly, dem | |
| französischen Regisseur und Kostümbildner, einen Mitstreiter im Geiste. | |
| Pelly hatte 2003 in Lausanne mit einer Rekonstruktion des Werks die Kritik | |
| begeistert, in der das Fragment des letzten Akts ebenfalls kein Problem | |
| ist. Denn wie Mazzola hielt er sich einfach an den Wortlaut des | |
| Manuskripts. Dann kann man sich das Ende denken. | |
| Es geht höchst aktuell, selbstreferentiell und postdramatisch nur um die | |
| Kunst und das Geld, die nie zusammenkommen. Ein Dichter ertränkt deshalb | |
| sein Leid im Alkohol. Volltrunken spaltet er die Opernsängerin, die er | |
| liebt, in drei Fantasien auf: einen Automaten für die Koloraturen, eine | |
| Todkranke für die Lyrik und eine Hure für die Lust. | |
| Christina Pasaroiu singt alle drei mit so überragender Vollendung, dass die | |
| Premiere am Samstag immer wieder durch spontanen Szenenapplaus unterbrochen | |
| wird. Auch als lebende Primadonna aus Hoffmanns Erzählung „Don Juan“ tritt | |
| sie am Ende auf, aber das hilft nichts, weil der immer noch besoffene | |
| Dichter auch seinen Widersacher, den Geldsack und Spießer Lindorf, in drei | |
| Teufel aufgespalten hatte, die ihm zuvor seinen Rausch verdarben. Alle drei | |
| singt Alex Esposito mit ebenso bezwingendem Höllenbass, dass selbst Irene | |
| Roberts mächtiger Mezzosopran als Muse und treu sorgender Freund nichts | |
| mehr retten kann. | |
| ## Trunksüchtiger Wirtshaus-Literat | |
| Tragisch? Nein, Thilo Reinhardt stellte 2007 an der Komischen Oper die | |
| Diagnose narzisstischer Liebesunfähigkeit, Barrie Kosky folgte 2015 mit | |
| einer von der Bühnenfigur getrennten Sprechrolle eines trunksüchtigen | |
| Wirtshaus-Literaten. Beides hat in Pellys Version Platz, weil das Werk | |
| beides in sich enthält. | |
| Offenbach war wie die gesamte Pariser Intelligenz fasziniert von diesem | |
| deutschen Fantasten mit seinen Gespenstern einer schwarzen Romantik, wurde | |
| selbst aber nicht zum Romantiker. Er nahm die Lust an magischen Abgründen | |
| der Seele so kühl zur Kenntnis wie alle anderen Manieren seiner | |
| Gesellschaft. Es sind Träume aus Bier und Wein, wie schon die erste | |
| Chornummer seiner Oper verkündet. Ihre Romantik ist ein einziges, | |
| rauschendes Besäufnis. | |
| Diese enorm überzeugende Interpretation vollendet Pelly mit einem | |
| Bühnenbild, das nichts verzaubern will. Chantal Thomas stellt | |
| verschiebbare, in matte Farben getauchte Kulissen in den Raum, die | |
| Schauplätze öffnen und schließen, Pellys Kostüme erinnern an die | |
| Entstehungszeit des Werks. Nichts daran ist neu. Die Inszenierung ist jetzt | |
| 15 Jahre alt, das Werk schon 138 Jahre. Beides ist einfach nur sehr gut | |
| gemacht und der Deutschen Oper sei gedankt, dass sie daran nichts ändern | |
| wollte. Mehr noch: Sie hat Enrique Mazzola ab sofort zum „ständigen | |
| Gastdirigenten“ ernannt. Gut so. | |
| Wieder am 5., 9., 15. Dezember 2018 | |
| 4 Dec 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Niklaus Hablützel | |
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