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# taz.de -- Premiere an der Staatsoper Berlin: Der Schnee von gestern
> Eingeschneit, während draußen die Welt unter- und eine neue Sonne
> aufgeht: In Berlin wurde Beat Furrers „Violetter Schnee“ uraufgeführt.
Bild: Dazu rasend schnelle Bläserskalen: Martina Gedeck in Beat Furrers „Vio…
Ein hell leuchtender Lichtstreifen umrahmt das Rechteck der Bühne. Graue
und grüne Schlieren werden darin sichtbar. Sie gewinnen Umrisse, der
Lichtrahmen ist erloschen und allmählich sind Bruegels „Jäger im Schnee“ …
erkennen. Martina Gedeck betritt in Weiß die halbtransparente Bildwand und
spricht stockend, langsam Silbe für Silbe artikulierend einen Text von
Händl Klaus, der das längst zur Ikone geronnene Bild noch einmal
beschreibt. Aus dem Orchester schießen dazu rasend schnelle Bläserskalen
nach oben, grundiert von dunklen Wolken harmonisch unbestimmbarer,
mikrotonaler Schichten.
Damit ist schon die Grundidee des Stücks umschrieben, das danach fast zwei
Stunden lang ohne Pause schwer daran arbeitet, Stimmungen des Unheimlichen
und Gefährlichen zu erzeugen, so wie Bruegel sie in den vielen, stets
symbolisch deutbaren Einzelszenen seines Bildes gemalt hat. Schon Andrej
Tarkowski ließ sich für seinen Film „Solaris“ davon inspirieren und die
Autoren geben im Programmheft freimütig zu, sich an dieses Vorbild gehalten
zu haben. Auch sie möchten einen fremden, rätselhaften Planeten zeigen.
Nur ist davon nichts zu sehen und zu hören nur, wenn man sich darauf
einlässt, endlos gleitende und flimmernde Klangteppiche für kosmische
Energiefelder zu halten. Kann man machen, muss es aber nicht. Ohne ihm zu
nahe zu treten, darf der in Wien lebende Schweizer Beat Furrer der Richtung
des fraktalen Komponierens zugerechnet werden. Bekannter dafür ist Georg
Friedrich Haas, von dem 2016 „Morgen und Abend“ an der Deutschen Oper zu
sehen war.
## Die Grenzen der Methodik
Auch Furrer, 1954 geboren, hat mehrere Opern geschrieben, vor allem aber
durch zahlreiche Vokal- und Kammermusikwerke auf sich aufmerksam gemacht.
Das ist sehr wohl zu hören. Die schwebend durch den Tonraum gleitenden,
fast unmerklich sich wandelnden Orchesterfarben klingen wunderschön, aber
sie zeigen auch die Grenzen der Methode. Dramatik und individueller
Ausdruck sind ihnen fremd. Es ist Tapetenmusik, kostbar und von erlesenem
Geschmack, aber ohne Bedeutung über das Ereignis des Erklingens hinaus.
Das wäre gar nicht weiter schlimm, weil der Samisdat-Russe Wladimir Sorokin
ohnehin keine Handlung vorsah. Drei Männer und zwei Frauen sind in einem
Haus eingeschneit, derweil draußen die Welt unter- und eine neue Sonne
aufgeht. Der Schnee ist danach violett. Der Tiroler Händl Klaus gab noch
ein weibliches Gespenst hinzu – eben Martina Gedeck, die uns immer wieder
Bruegel erklärt.
Mit Furrers Tongeriesel zusammen könnten daraus sehr wohl Bilder entstehen,
Bilder einer lebensfeindlichen Situation, die schon deshalb kein Drama sein
kann, weil es keine Bilder der uns bekannten Welt mehr sind. Furrer lässt
den Chor dazu einen Vers aus dem Lehrgedicht „De rerum naturae“ von Lukrez
singen, und zwar im lateinischen Original. Er handelt vom immerhin
denkbaren Untergang der damals bekannten Gestirne.
## Kosmische Physik müsste auf die Bühne
Kosmische Physik müsste dafür auf die Bühne, in der die Erde nur noch die
Erinnerung an ein Gemälde wäre. Claus Gut, der Regisseur, tat alles, genau
das zu verhindern. Er will unbedingt ein Kammerspiel aufführen, in dem sich
die Eingeschlossenen irgendwie existenziell entblößen sollen. Das können
sie nicht, weil sie Stereotypen des Alltags sind, darin tatsächlich
Bruegels Jägern vergleichbar.
Sie singen bloß Furrers Töne, das allerdings in makelloser Vollendung. Wir
sind mit Anna Prohaska, Elsa Dreisig, Gyula Orendt, Georg Nigl und Otto
Katzameier wirklich in der Staatsoper angelangt, die das Werk in Auftrag
gab und keine Kosten scheute. Dazu dirigiert Mathias Pintscher die
Staatskapelle, über die man ohnehin nichts mehr sagen muss.
Nur Claus Guth besteht darauf, diesen Glanz der Perfektion in den trüben
Kasten eines möglichst altmodischen Realismus zu sperren. Die kaum
unterscheidbaren Unpersonen müssen ständig in Gefühlen wühlen und
Bedeutsames zu ihrer Lage sagen. Tatsächlich plappern sie nur belanglos
daher, haben ein bisschen Angst und zanken sich auch mal, weil eine zu viel
trinkt, einer gegen die Kälte den Tisch verheizt hat und noch einer meint,
Martina Gedeck sei seine verstorbene Ehefrau.
Zu sehen ist sowieso fast nichts. Alles ist dunkel und neblig. Bruegels
Bild wegen sitzen wir zuerst im Wiener Kunstmuseum (wo es in dieser Welt
hängt). Später hat das eingeschneite Haus Treppen nach oben zu einer
nächtlichen Straße mit Laternen. Sie leuchten hell, zeigen aber nichts
außer den weißen Flocken, die davor herab rieseln. Oh ja, es schneit hier
wirklich, auch noch am Ende, wenn eine blendend weiße Scheibe am Horizont
steht. Die Eingeschlossenen stehen starr im fremden Licht, singen Silben
und vereinzelte Worte, aber im Bühnenportal wehen immer noch irdische
Stürme mit dem Schnee von gestern vorbei. Das Publikum der Premiere hat
trotzdem freundlich applaudiert.
15 Jan 2019
## AUTOREN
Niklaus Hablützel
## TAGS
Staatsoper Unter den Linden
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