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# taz.de -- Opern-Premiere in Bremerhaven: In der Fremde ganz bei uns
> Mit „Madama Butterfly“ hat das Bremerhavener Theater einen
> Opern-Dauerbrenner an den Start gebracht. Nicht überraschend, aber
> sehenswert.
Bild: Sehenswert: Madama Butterfly.
Bremen taz | Was tun mit einer Oper, die allein in dieser Spielzeit, allein
in Deutschland, in rund einem Dutzend Theatern auf dem Spielplan steht? Und
dann auch noch mit Premiere an Weihnachten, wie bei der „Madama Butterfly“,
die Regisseurin Beatrice Lachaussée am Stadttheater Bremerhaven auf die
Bühne zu bringen hatte? Sagen wir es so: Überraschungen sind zum Fest
erlaubt, aber man darf es nicht übertreiben.
Lachaussée gelingt es, und das ist ein angemessenes Maß an Überraschung,
das Premierenpublikum mitzunehmen auf eine Reise in eine gar nicht so
fremde Welt. Mit einer klugen Inszenierung, die die offensichtlichste
Deutung subtil unterwandert – dass nämlich Frauen vor allem Opfer sind und
Männer nicht sehr selten Schweine, zumal in der Oper.
Das Problem mit einer Gesellschaftsordnung, die für Frauen immer ein
bisschen weniger übrig hat als für Männer, wird dabei gar nicht
wegdiskutiert. Natürlich ist der Marineleutnant Pinkerton ein Schuft. Aber
zum einen verhält er sich immerhin nach dem Buchstaben des Gesetzes, wenn
er die junge Geisha Cio-Cio-San, eben Madama Butterfly, auf Zeit heiratet.
Was ja nichts anderes ist als notdürftig verhüllte Prostitution.
Zum anderen und nicht zuletzt ist das in Lachaussées „Madama Butterfly“
auch Cio-Cio-San durchaus bewusst, deren Festhalten am Traum vom
gemeinsamen Leben mit Pinkerton in Amerika, also der gesellschaftliche
Aufstieg, geradezu wahnhafte Dimensionen bekommt. So pflegen die beiden
ungleich Liebenden ihr jeweiliges Kalkül – und scheitern in
unterschiedlicher Intensität. Bei Pinkerton genügt es am Ende immerhin noch
für aufrechte Reue, während sich Cio-Cio-San umbringt – mit dem Dolch, den
sie vom Vater bekam.
## Nachhilfe in japanischer Körpersprache
Zuvor hat sie, um sich herzurichten für den vermeintlichen Ehemann, beinahe
sämtliche Insignien ihrer Herkunft aus ihrem Umfeld verbannt, sodass sie
Pinkertons amerikanischer Gattin (und ein bisschen übrigens auch Melania
Trump), mit der er nach Jahren zurückkehrt, auf den Hut gleicht.
1904 uraufgeführt ist „Madama Butterfly“ nach einem holprigen Start längst
zum unverzichtbaren Bestandteil des Repertoires avanciert. Nicht nur auf
Puccini übte die exotische Kulisse der Story, die John Luther Long 1898
aufgeschrieben hatte, offenbar großen Reiz aus – und Lachaussée nimmt das
gern für die Optik mit.
Kazuyo Nozawa und Chieko Fumikura-Fuhrmann haben den Darstellern gar
Nachhilfe in japanischer Körpersprache erteilt, und Nele Ellegiers hat
farbenprächtige Kostümierungen und ein geradezu zenmäßig reduziertes
Bühnenbild mit beweglichen, halbtransparenten Wänden geschaffen, die von
hohen Betonwänden überragt werden.
In diesem fast schon kühl anmutenden Raum seziert Lachaussée die
Interessenlagen der Figuren, die sich derweil auch ohne kulturellen Überbau
erschließen. Aber der Kunstgriff, eine west-östliche Liebesgeschichte zu
erzählen, ist ja nicht zuletzt eine Fortschreibung des Klischees von sich
anziehenden Gegensätzen.
## Lebemann mit strahlendem Tenor
Die äußerliche Verlegung des Konflikts ins Exotische macht hier aber auch
Mechanismen sichtbar, die so fremd nicht sind. Was beispielsweise an dem
fiesen Goro (MacKenzie Gallinger) zu beobachten ist, der im Grunde ein
Zuhälter ist. Unverhohlen preist er seine „Damen“ mit einem Faltblatt an.
Dass sich die beiden Frauen Pinkertons als Cio-Cio-Sans ultimative
Selbstverleugnung optisch identisch gekleidet begegnen, zeigt die
psychologische Dimension der kulturellen Integration.
Trotz grauer Kulisse und fieser Männer – oder genau deswegen – nimmt die
Geschichte das Publikum emotional durchaus mit, was Lachaussée sorgfältig
ins Bild setzt. Intensiv ausgespielt die Szene, in der Cio-Cio-San mit
Suzuki und dem Kind (Clarissa Madoka Shiga, alternierend: Naomi Kihenanea
Gallinger) auf das Schiff wartet, das Pinkerton zurückbringen soll.
Und auch musikalisch wird hier einiges geboten. Costa Latsos gibt den
Lebemann mit strahlendem Tenor hinreißend gedankenlos, Judith Kuhn verleiht
der Titelrolle eine Intensität, die das Wahnhafte der Figur andeutet,
anstatt sie als bloßes Opfer zu zeigen. Außerdem ist vor allem Patrizia
Häusermann als Suzuki hervorzuheben, die ihre Rolle auch darstellerisch
innig gestaltet, Alexandru Aghenie ist als Konsul Sharpless das bürgerliche
Gewissen Pinkertons, mit eleganter Zurückhaltung, die im Zweifel auch in
Feigheit mündet. Die Bremerhavener Philharmoniker unter Marc Niemann
liefern eine zupackende Orchestrierung, der Chor erweist sich als
spielfreudig. Und auch in den kleineren Rollen ist dieser Abend gelungen.
Weitere Vorstellungen: Sa, 5. 1., Do, 10. 1., Sa, 19. 1., je 19.30 Uhr,
Stadttheater Bremerhaven
4 Jan 2019
## AUTOREN
Andreas Schnell
## TAGS
Oper
Inszenierung
Theater Bremerhaven
Theater
Deutsche Oper
Flucht
Islamismus
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