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# taz.de -- Theater wieder moralische Anstalt: Weltretter mit Hasenherz
> Im Stück „Planet der Hasen“ diskutieren in Bremerhaven zwei Nager mit
> ihrem jungen Publikum, wie mit der drohenden Klimakatastrophe umzugehen
> ist.
Bild: Als Strafe für den Überfluss droht der Weltuntergang: arme reiche Hasen
BREMERHAVEN taz | Ein Sternmarsch durch Bremerhaven zum Elbinger Platz.
Dorthin, wo die Bundestraßen 6 und 212 einander vielspurig umgarnen, wo
sich mit dem (Hoch-)Haus der Handwerkerschaft eine architektonische Sünde
zu denen der autogerechten Stadtplanung gesellt. Dorthin, wo die Diktatur
des Verkehrs kaum Menschen duldet. Am Ziel der kleinen Demonstrationszüge
residiert seit 2011 das Junge Theater Bremerhaven (JUB).
Heute strömen aus Osten, Nordwesten und Süden Kindergruppen herbei. In
Zweierreihen marschieren sie und halten Pappplakate hoch. „Rettet das
Klima, dann seid ihr prima“, steht darauf. Es sind Bilder zu sehen, auf
denen der blaue Planet nach CO2-reduzierter Luft lechzt. Eisbären weinen,
Bäume trauern, Superhelden warten auf ihren Einsatz.
Wohl durch Lehrer und Eltern befeuert, aber nicht nur fremdgesteuert wirkt
die gemalte Empörung, dass Erwachsene die Zukunft der Kinder schädigen,
indem sie Maßnahmen verweigern, den menschengemachten Klimawandel in einem
erträglichen Ausmaß zu halten.
So wird das JUB geentert, das extra dazu eingeladen hatte. Das Theater ist
winzig, aber vital. 50.000 Euro bekommt es jährlich aus städtischer
Förderung, 100.000 Euro dank des Solidaritätseuros, der auf jede Karte der
Stadttheaterveranstaltungen geschlagen wird, sowie weitere 100.000 Euro von
Sponsoren. Stellen für drei Theaterpädagoginnen, Leiterin Tanja Springer,
einen Veranstaltungstechniker und zwei Schauspieler werden davon
finanziert, die pro Spielzeit vier Premieren, ungezählte Projekte an
Schulen sowie Spielklubs für Kinder und Jugendliche realisieren.
## Demonstrierende Kinder
An diesem Tag demonstrieren unter anderem fünfte Klassen der Oberschule
Geestemünde und vierte der Amerikanischen Schule. Auf den Spuren eines
Trends der Zeit: Schüler schwänzen ihren Unterricht und protestieren gegen
die Untätigkeit der Regierungen, während Wissenschaftler extreme
Wetterbedingungen und Lebensmittelknappheit vorhersagen, auch vom
Klimawandel als Ursache für Migrationsbewegungen und Kriegen um Wasser oder
Land sprechen.
Bremerhaven ist da ein idealer Aufklärungsort. Im Klimahaus haben viele der
Kinder schon die Möglichkeit genutzt, das Problem von der
wissenschaftlichen Seite vermittelt zu bekommen. Jetzt gilt es im Theater
darüber nachzudenken, wie damit umzugehen ist.
Mit diesem Auftrag schrieb Tina Müller das Zwei-Personen-Stück „Planet der
Hasen“, dessen Uraufführung JUB-Leiterin Tanja Springer inszenierte. In
einer Szenerie, die auf die 1970er-Jahre Bezug nimmt, in denen erstmals
über die Sättigung der Erdatmosphäre mit CO2 durch das Verbrennen von
Kohle, Öl und Benzin sowie die Abholzung der Regenwälder diskutiert wurde.
Psychedelische Blubberbilder sind zu sehen, dazu erklingt der Synthiepophit
„Popcorn“.
Iris Holstein baute für die Assoziation ewiger Sommerurlaub so eine Art
Tropical Island im Kita-Format auf die Bühne. Bewohnt wird sie von zwei
Nagerdarstellern, die mit Omaperücke und Osterhasenohren geschmückt
ADHS-Symptome spielen. Die gesamte Aufführungsstunde über absolvieren sie
ein Fitnessprogramm auf Turnmatten, Trampolin und aufgeblasenen Badeinseln.
Beide schwärmen dabei vom Spießertraum: nicht arbeiten, nur konsumieren.
Aufs Stichwort regnen Gummibärchen vom Himmel. Gebratene Hähnchen flögen in
hungrige Münder, stets verfügbar seien die neuen 4-D-Computerspiele, heißt
es. Gerade angeliefert wurden aktuelle Bademode, die Pupsgeräusche von sich
gibt, und ein Mantel aus Kuscheltieren.
## Im Schlaraffenland
„Ich habe alles, was ich will, und bekomme auch, was ich noch so will“,
sagt einer der Hoppler. Bedauert nur, dass nie Zeit ist, mal zusammen etwas
zu spielen, und immer wieder dieser Stress aufkommt, alles gleichzeitig
genießen zu wollen. Mit anderen Worten: ein Beispiel des westeuropäischen
Lebensstils. Wohlstandverwahrlosung.
Als Folge beziehungsweise Strafe steht die Behauptung im Raum, in zehn
Tagen explodiere die Welt. Was tun? Einfach einbuddeln? Nein! Häsin 1
(Johanna Martin) hält inne und räsoniert: „Hat schon mal jemand gefragt,
wie sich das anfühlt, mit solchen Perspektiven aufzuwachsen?“ Ihre
Schlussfolgerung: Einfach alles ignorieren und es sich die restliche
Lebenszeit gutgehen lassen.
Hase 2 (Leon Wieferich) ist eher der Anpackertyp. Rappt ein paar
Widerstandsreime. Und möchte mal so richtig krass aufrütteln über den
Zustand des Planeten. Wohl so wie die 16-jährige schwedische
Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg das mit ihren Aktionen versucht. Hase
2 hat daher auch große Weltretterideen, aber ein kleiner Mümmelmann wie er
kann die nicht allein realisieren.
## Aufforderung zum Handeln
Nun kommt die Botschaft: Alle Hasen sollten aus ihrer Vereinzelung
heraustreten und gemeinsam aktiv werden. Das Startsignal klopft Hase 2 mit
der Hinterpfote auf den Boden – all die jungen Hasenversteher im Publikum
trampeln mit. Anschließend gefragt, was sie gegen die nahenden Katastrophen
tun können, sind Antworten zu hören wie: einkaufen von Sachen aus der
Region, weniger Auto fahren, auf Flugreisen verzichten, kein Fleisch essen.
Bestens vorbereitet ist diese angehende Jugendbewegung
also.
Als Lob werden die korrekten Aussagen aufgenommen, geloopt, mit einem Beat
unterlegt – nun dürfen alle auf die Bühne toben und tanzen. Motto: „Der
große Knall kommt nicht, wenn wir zusammenhalten.“
Dank putzig humorvoller Regie, quicklebendiger Darsteller und interaktiver
Aktionen haben die Kinder den arg pädagogischen Text angenommen. Der aber
an seiner Begründung des Klimawandels scheitert. Lässt die Autorin doch
verkünden: „Wenn du wirklich etwas tun willst, musst du die Gier besiegen.“
Gemeint ist Konsumgier.
Wie die unseren Planeten zugrunde richtet, wusste beim Nachgespräch niemand
der Schüler zu beantworten. Im Stück wird das auch nur behauptet, nicht
ausgeführt. Der Solidarisierungsappell aber fiel auf fruchtbaren Boden:
Irgendwie sahen die Kinder nach der Aufführung stolzer mit ihren Plakaten
aus, die sie zurück ins Stadtleben trugen.
15 Mar 2019
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Theater
Schwerpunkt Klimawandel
Theater Bremerhaven
Umweltverschmutzung
Politische Bildung
Weltuntergang
Gesellschaftliche Teilhabe
Schwerpunkt Fridays For Future
Oper
Leonard Cohen
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