# taz.de -- Benachteiligte Jugendliche abholen: Am Anfang war Theater | |
> Mit dem Projekt „Theater – Ja!“ arbeiten Schulen und Theater in | |
> Bremerhaven erfolgreich an der gesellschaftlichen Teilhabe | |
Bild: Jugendtheater zum Klimawandel: „Planet der Hasen“ im Jungen Theater B… | |
BREMERHAVEN taz | Brennpunkte muss man in Bremerhaven nicht lange suchen. | |
Jedenfalls hatten Schulamt und Junges Theater keine Schwierigkeiten, | |
geeignete Teilnehmer für ihr Kooperationsprojekt „Theater – Ja!“ zu find… | |
Um sozial benachteiligte Jugendliche geht es da, deren Familien nicht nur | |
finanziell andere Sorgen haben als die kulturelle Teilhabe an der | |
Gesellschaft. Und Tanja Springer, die Leiterin [1][des Jungen Theaters | |
(JUB!)], sagt so schlicht wie bitter: „In Bremerhaven kommt jede Schule | |
dafür infrage.“ Begonnen hat das Projekt im vergangenen Schuljahr an sechs | |
Schulen, gerade startet die zweite Runde. Zwei Theaterpädagoginnen besuchen | |
Schulen, die ihr kulturelles Profil schärfen wollen und dem Projekt Platz | |
im Stundenplan schaffen können: ob nun als AG oder Projekteinheit, | |
Hauptsache verbindlich – und ohne Noten. | |
Bereits zum zweiten Mal dabei ist die Pestalozzischule in | |
Bremerhaven-Mitte. Schulleiterin Rebekka Schlüter zeigt sich nicht nur aus | |
ästhetischen Gründen begeistert, sondern betont vor allem, was Theater auch | |
grundsätzlich zu Bildung und Persönlichkeitsentwicklung beitragen kann: | |
Aufmerksamkeit, Teamarbeit, Textverständnis – ganz zu schweigen vom Mut, | |
sich auf die Bühne zu stellen. | |
Umgekehrt spricht Theaterintendant Ulrich Mokrusch mit Nachdruck vom | |
pädagogischen Anspruch des Projekts. „Das ist echt knallharte | |
Bildungsarbeit“, sagt er und verweist auf die regelhaften Nachbesprechungen | |
der Theaterbesuche, die Berge von Unterrichtsmaterialien und die enge | |
Zusammenarbeit mit Lehrkräften bis hin zum Konferenzbetrieb der | |
Bildungseinrichtungen. Insgesamt beschäftigt das Bremerhavener Theater | |
heute fünf Pädagog*innen. Dass zwei außerhalb des Hauses in Schulen tätig | |
sind, ist eine bundesweite Besonderheit. Auch, dass in Bremerhaven | |
Flatrate-Karten gezielt an Kinder ausgegeben werden, ist alles andere als | |
selbstverständlich. | |
Dass Schule und Theater die Verzahnung von Bildung und Kultur wechselseitig | |
betonen, ist nicht nur konzeptionell wichtig. Es geht auch ums Geld. | |
Bildung ist Ländersache und aus der senatorischen Behörde in Bremen kam | |
nichts für „Theater – Ja!“. Finanziert hat’s nun die Kommune, über Mi… | |
zur Ganztagsbetreuung. Damit das funktioniert, war ein bisschen Glück und | |
viel Flexibilität der Schulen nötig. Dass Bremerhavens Schuldezernent | |
Michael Frost zugleich auch für die Kultur zuständig ist, hat sicher | |
ebenfalls geholfen. Trotzdem sähe Mokrusch die Kulturvermittlung gern als | |
anerkannte Bildungsarbeit. | |
## In Bremerhaven besonders hart | |
Seit einem Jahr finden sie nun jedenfalls statt: Theaterprojekte in zwei | |
bis vier Wochenstunden sowie Aufführungsbesuche in Stadttheater und JUB!. | |
Zum Schuljahresende stehen auch eigene Produktionen der Schüler*innen an: | |
Die Amerikanische Schule hat im vergangenen Schuljahr etwa Maurice Sendaks | |
Kinderbuchklassiker „Wo die wilden Kerle wohnen“ auf Kinderängste befragt. | |
Mit der Produktion „Verdammt!“, haben Schüler*innen der Gorch-Fock-Schule | |
ihren unmittelbaren Alltag künstlerisch bearbeitet. Was genau in diesem | |
Jahr passiert, wird sich erst im Projekt entwickeln. Theaterpädagogin | |
Ludmilla Euler bezeichnet sich dann auch als „Theaterfinderin“, wenn sie | |
zusammen mit den Jugendlichen an Stoffen und Ausdrucksformen arbeitet. | |
Und das ist gerade in Bremerhaven nicht immer ganz einfach, wo Armut und | |
Sprachbarrieren überdurchschnittlich hoch sind. Es ist kein Geheimnis, dass | |
hier viele Schulen hart an der Belastungsgrenze arbeiten. Für „Theater – | |
Ja!“ fangen die Probleme schon mit der Lesekompetenz an: Im Projekt wird | |
teils mit von Schauspieler*innen eingesprochenen Tonaufnahmen gearbeitet. | |
## 90 Prozent Auslastung | |
Eingebettet ist „Theater – Ja!“ in ein größeres Partnerschaftsprogramm,… | |
dem 26 Schulen teilnehmen. Bereits die neuen Lehrkräfte, um die sich | |
Bremerhaven bekanntlich händeringend bemüht, werden zum Einstand ins JUB! | |
eingeladen – in der Hoffnung natürlich, dass sie mit ihren Schüler*innen | |
wiederkommen. Man setze da auf den „Schneeballeffekt“, sagt Tanja Spinger. | |
Minimalziel ist, dass die Jugendlichen wenigstens ein bis zwei Mal pro Jahr | |
ins Theater gehen. Wahrscheinlich sieht es in der Praxis sogar sehr viel | |
besser aus. Abschließend ausgewertet sind die Zahlen zwar noch nicht, aber | |
dennoch freut sich das JUB! über rund 90 Prozent Auslastung in der | |
vergangenen Spielzeit. Das ist mindestens ein starkes Indiz für die | |
Zugkraft der Partnerschaft von Schule und Theater. | |
Und natürlich geht es um mehr, wenn Schulleiterin Rebekka Schlüter von | |
Schüler*innen erzählt, die stolz vorm dem Stadttheater stehen, in dem ihr | |
Stück gespielt wurde. Der Kontakt mit dem Kulturbetrieb sei, so die | |
Projektmacher*innen, ein Ausdruck von Integration in die Gesellschaft. Und | |
das nicht erst über die Generationen, sondern auch ganz unmittelbar: Wenn | |
hier die Kinder auch ihre Eltern mit ins Theater nehmen. | |
27 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.stadttheaterbremerhaven.de/junges-theater/ | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
## TAGS | |
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