# taz.de -- Flüchtlinge in Bremen: Kultur als Kontaktpunkt | |
> Wie viel Kultur steckt in der Willkommenskultur für Flüchtlinge? Die taz | |
> fragt bei einschlägigen Bremer Institutionen nach ihrem Engagement für | |
> Integration. | |
Bild: „Die Schutzbefohlenen“ am Bremer Goetheplatz: Aus Pappfiguren sind l�… | |
BREMEN taz | Das klassische Konzept der Bedürfnis-Pyramide weist der Kultur | |
ein eher nachrangigen Platz in der Hierarchie des Überlebensnotwendigen zu. | |
Aber ist es nicht gerade für Menschen, die in Turnhallen leben, der Zugang | |
zum städtischen Leben samt seiner kulturellen Institutionen immens wichtig | |
– zumal im Herbst und Winter? Die taz hat einschlägige Institutionen | |
gefragt, welche spezifischen Angebote sie auf die Beine stellen. | |
Viele Stadtteil-Einrichtungen sind über runde Tische in die | |
Flüchtlings-Integration eingebunden. Wie aber steht es mit den großen | |
Kultur-Tankern? Am Goetheplatz hat das Engagement verschiedene Ebenen. | |
Stücke wie „Die Schutzbefohlenen“ oder „Verbrennungen“ positionieren s… | |
inhaltlich, die Reihe „Weltbilder“ thematisiert die Bandbreite der | |
Herkunftsländer. Sind das Angebote, die auch von Flüchtlingen selbst | |
besucht werden? | |
## „Das sollte selbstverständlich sein“ | |
„Wir haben viele Kontakte in die Unterkünfte“, sagt Schauspiel-Dramaturgin | |
Simone Sterr. Mitglieder des Theater-Freundeskreises kaufen Karten und | |
holen Flüchtlinge zu Vorstellungen ab. Das Haus ist selbst ein | |
internationaler Betrieb: Nicht nur der syrische Mitarbeiter aus der Maske, | |
auch viele andere übernehmen persönliche Patenschaften. Übermorgen gibt es | |
im Theater ein Frauencafé, gedacht als Schutzraum. „Das alles sollte | |
selbstverständlich sein“, betont Sterr, „wir wollen damit nicht werben.“ | |
Kostenlose Führungen sind für die Kunsthalle Teil ihrer Aktivitäten, „um | |
Flüchtlingen im Stillstand, in der Traumatisierung und im Gefühl der | |
Fremdheit zu begegnen“. Man wolle, sagt Direktor Christoph Grunenberg, | |
„positive Erfahrungsräume bieten, in denen sich Flüchtlinge und Bremer | |
näherkommen“. Konkret geschieht das seit September beispielsweise durch ein | |
mit Lidice-Haus und Wagenfeld-Schule entwickeltes Projekt, bei dem eine | |
meterhohe Freilichtskulptur entsteht. Schon seit dem vergangenen Jahr | |
organisiert die Kunsthalle zusammen mit der AWO wöchentliche Mal-Workshops | |
mit Flüchtlingen. | |
## „Keine Kapazitäten“ | |
„Bei uns gab es noch keine konkreten Anfragen“, sagt hingegen Claudia Rosen | |
von den Kunstsammlungen in der Böttcherstraße. Daher habe man auch keine | |
Führungen oder ähnliches für Flüchtlinge erarbeitet. Käme nicht auch ein | |
proaktives Vorgehen in Frage? „Dazu fehlen uns leider die Kapazitäten“, | |
sagt Rosen. In der Tat ist die frühe vorhandene Stelle einer | |
Museumspädagogin im kleinen Team nicht mehr besetzt. | |
Die Kultureinrichtungen in Bremen-Nord bieten Praktika für Flüchtlinge und | |
oftmals kostenlose Eintritte. „Wir erleben allerdings“, sagt Malte Priesser | |
vom Kulturbüro, „dass die Flüchtlinge ungern etwas umsonst in Anspruch | |
nehmen, sondern sich ihren Möglichkeiten entsprechend beteiligen möchten“. | |
Er sei „positiv überrascht“, dass die Präsenz von Flüchtlingen im | |
Bremen-Norder Kulturleben „relativ groß“ sei. | |
Geradezu prädestiniert für spezifische Angebote ist das Deutsche | |
Auswandererhaus in Bremerhaven. Seit Anfang 2015 führt es mit Syrern und | |
Afghanen ein Oral-History-Projekt durch. Von anderen Häusern unterscheidet | |
sich die Einrichtung auch dadurch, dass einige ihrer Führer Arabisch und | |
Türkisch sprechen. Das sehr persönliche Engagement der | |
Museums-MitarbeiterInnen zeigte sich auch bei einer hausinternen | |
Kleiderspendenaktion. | |
## Tanzwerk: Alle Kurse kostenlos | |
Problematisch ist oft die Diskrepanz zwischen Hilfsbereitschaft und | |
Schwellenangst, beziehungsweise physischer Entfernung. Die Shakespeare | |
Company wirbt deshalb unmittelbar in Unterkünften für einen „Crashkurs“. | |
Konsequent agiert auch das im Lagerhaus ansässige Tanzwerk: Seit April sind | |
sämtliche Kurse für Flüchtlinge kostenlos, 20 nutzen das bereits. Die | |
Weserburg hat alle Träger von Bremer Flüchtlingsunterkünften angeschrieben, | |
um die dort lebenden Kinder zu Kreativ-Nachmittagen einzuladen. | |
Logistische Unterstützung wollen die Bremer Philharmoniker für das Syrische | |
Exil-Orchester leisten. Musikpädagogische Aktivitäten für Flüchtlinge gebe | |
es derzeit jedoch nicht, sagt Sprecherin Barbara Klein. | |
## „Geht vor Ort noch nicht“ | |
Mit der „Musikwerkstatt on tour“ verfügen die Philharmoniker über ein | |
mobiles Format, um Kinder Instrumente ausprobieren zu lassen – warum nicht | |
auch in Unterkünften? „Wir stehen in den Startlöchern“, sagt Klein, zum | |
Beispiel für das Blumenthaler Containerdorf. Derzeit würden dessen Träger | |
jedoch signalisieren, dass ein Einsatz der Orchesterpädagogen vor Ort noch | |
nicht organisiert werden könne. Klein: „Die müssen dafür erstmal den Kopf | |
frei kriegen.“ | |
In Bremerhaven hingegen finden am Theater bereits Instrumentenbau-Workshops | |
statt. Einige Musiker gestalten „Willkommenskurse“, die Musiktheater-Sparte | |
hat ihr Konzert-Format „Abenteuer Klassik“ speziell für Flüchtlinge | |
„geöffnet“. Zu den Konzerten seien zwar nur wenige gekommen, sagt Tanja | |
Spinger vom Stadttheater, die insbesondere mit dem Jungen Theater | |
Bremerhaven (JUB!) in den vergangene Monaten ebenfalls zahlreiche | |
Aktivitäten auf die Beine gestellt hat – „aber die, die da waren, waren | |
mehr als begeistert“. | |
Was machen die Privaten? Bei Theaterschiff, Packhaus-Theater oder dem | |
Theater im Kulturcentrum Alte Molkerei in Worpswede gibt es keinerlei | |
Reaktionen oder Angebote für Flüchtlinge. „Das macht auch wenig Sinn bei | |
unserem Programm“, sagt deren Sprecher Eggert Peters nüchtern. Bei | |
Nachfragen würde man jedoch „nicht ablehnend“ reagieren. | |
Podimsdiskussion zum Thema: „Was braucht es, um anzukommen?“ Samstag, 18 | |
Uhr, Schwankhalle. Anschließend zeigt steptext die Produktion „THE DESERT“ | |
15 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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