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# taz.de -- Ein Film als Kunstwerk: Die Ikone der Coolness
> Für die einen ist der Film „Letztes Jahr in Marienbad“ ein Meisterwerk,
> für die anderen Langeweile pur. Was denn nun? Dem geht die Kunsthalle in
> Bremen nach.
Bild: Latente Verfremdung: Schauspieler wie Statuen in symmetrischer Akkuratess…
Bremen taz | Die Augen sind müde aufgerissen und fixieren mehr die
Grauzonen im Inneren denn die Außenwelt. Die Gesichter sind gekrönt von
streng frisiertem Haar. Dazu ranke Körper. Separat werden die Figuren in
prachtvollen Gärten, Sälen und Fluren arrangiert. Streng reguliert ist die
Geometrie der Gesten. Alles wirkt abschreckend verheißungsvoll:
selbstverständlicher Reichtum, lässig genossene Macht, seelenlose
Schönheit, schmerzfreier Narzissmus. Das ist keine Edelmarkenwerbung, das
ist Filmgeschichte.
In einem Grand Hotel alter Schule ließ Alain Resnais 1961 sein Filmpersonal
durch Sein und Zeit irren: „Das letzte Jahr in Marienbad“ heißt das
Oscar-nominierte Werk. Der Film trägt einen intensiven Dialog mit der
Kunstgeschichte in sich und kann einen ebensolchen beim Zuschauer auslösen.
Als Ikone der Coolness hat der Film auch zeitgenössische Künstler zum
Arbeiten animiert. Das alles will die Ausstellung der Kunsthalle Bremen
zeigen.
## Brachial kantige Sachlichkeit
Gerade hat sich die Kunsthalle ein zukunftsfrisches Corporate Design auf
den historischen Leib schneidern lassen. Am Puls der Zeit zwischen
Tradition und Moderne vermitteln, anhand populärer Medien Kunstspuren von
einst bis heute verfolgen und multimedial der Vergreisung des Publikums
entgegenwirken, das sind so Marketing-Stichworte dazu.
Dem Schriftzug wurden jedenfalls alle Serifen wegradiert, das Logo ist aus
seinem schwarzen Geviert befreit worden. Der Eigenname wird nun in brachial
kantiger Sachlichkeit behauptet: In Großbuchstaben steht da „Kunst“,
kleiner und beziehungslos darunter notiert ist „Halle“ und „Bremen“ bil…
winzig die Basis des grafischen Schriftbildes. Was das inhaltlich bedeutet,
soll die aktuelle Schau zeigen.
Kunsthallen-Chef Christoph Grunenberg hat die Ausstellung „Letztes Jahr in
Marienbad. Ein Film als Kunstwerk“ kuratiert und nimmt damit einen
Klassiker als Ausgangspunkt, den Multiplex-Besucher und Kinofilm-Streamer
gar nicht mehr kennen. Kritiker adelten das dank Drehbuchautor Alan
Robbe-Grillet vom Geiste des Nouveau Romans durchdrungene „Meisterwerk“
sofort nach seiner Premiere 1961 – andere wählten es als „hoffnungslos
verkopftes Kunstprodukt“ unter die zehn langweiligsten Filme der
Kinogeschichte. Es stimmt ja: Jede Einstellung wird wie ein Fotokunstwerk
abgefeiert, jede Kamerafahrt schier endlos zelebriert.
Resnais montierte Szenen, die keine Handlung ergeben und verzierte mit
Dialogen, die keinen Sinn ergeben. Haben sich die beiden namenlosen
Hauptfiguren letztes Jahr in Marienbad kennengelernt, fand eine
leidenschaftliche Affäre, Vergewaltigung oder gar nichts statt? Was der
Mann behauptet, verneint die Frau, lässt gestisch aber immer wieder den
Hauch einer alten Sehnsucht aufschimmern und bald sind erinnerte und
imaginierte Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr auseinanderzuhalten.
Der Film lebt von der Schönheit der Oberflächen des Dekors und der Mimen.
Wie ein Ingenieur bringe Resnais beides zusammen, sagt Kunsthallen-Chef
Grunenberg. Beispielsweise, wenn Schauspieler wie Statuen in der
symmetrischen Akkuratesse eines Barockgartens stehen, lange Schatten werfen
– während Buchsbäumchenkegel schattenlose, abstrakte Zeichen sind. Solch
latente Verfremdungen sollen für eine surreale Atmosphäre sorgen und die
leerlaufende Perfektion der Inszenierung mit Bedeutung aufladen. Exakt so
funktioniert ja auch Werbung für all das, was superteuer ist und den
verlockenden Ruf des Überflüssigen hat: Luxus ist cool.
Ein ganzer Ausstellungsraum wird diesem Phänomen gewidmet. Man sieht wie
die Band Blur den „Marienbad“-Ästhetizismus für ihr Musikvideo „To the …
kopieren. Und man staunt über Fotostrecken aus Lifestyle-Magazinen, die
genau dasselbe tun. Erschreckend pompös gibt sich eine Modenschau von Karl
„Cool“ Lagerfeld: Er ließ die Gartenszene im Pariser Grand Palais nachbauen
und von seinen Kreationen umflattern, die auf die Filmkostüme Coco Chanels
verweisen.
Alain Resnais betonte einst, von der Renaissancemalerei eines Piero della
Francesca inspiriert worden zu sein, dessen Werke leider in Bremen nicht zu
sehen sind. Laut Grunenberg schätzte der Regisseur auch die belgischen
Surrealisten, René Magrittes silhouettenhafte Melonenmänner und vor allem
die weiblichen Aktfiguren des Paul Delvaux, die durch perspektivisch
verschrobene Tempellandschaften traumwandeln. Beides ist in der Kunsthalle
zu sehen – kontrastiert von Giacomettis Platzskulptur „La forêt“ (1950):
sechs voneinander isolierte Metallfiguren, eine cooler als die andere.
Resnais‘ Film wird zwei Säle lang mit Videoschnipseln, Plakaten, Fotos und
vergilbten Rezensionen vorgestellt. Auch das mit Regienotizen veredelte
Drehbuch ist zu sehen sowie ein Diagramm, mit dem das Script-Girl
versuchte, Ordnung in die verschachtelte Erzählweise zu bringen.
Beeindruckend, wie zu den filmtheoretischen Auseinandersetzungen prominente
Beispiele zeitgenössischen Künstlerns assoziiert werden.
Film sei ein Spiel mit der Zeit, wie Grunenberg Resnais gern zitiert – und
entsprechend verspielte Videoinstallationen in der Kunsthalle aufbauen
ließ. Cindy Shermans Film-Stills dürfen nicht fehlen. Und Resnais‘
leidenschaftslose Art, Ornamentprunk ins Bild zu holen, entdeckt Grunenberg
bei Jeff Koons. „Sinn der Formen“ betitelt er den Themenkomplex und zeigt
das kitschgold glänzende Vexierbild einer Muschel im Rokokokleid, das all
denjenigen, die ein paar Meter Abstand halten, auch den Werktitel in
Umrissen zeigt: „Christ and the lamb“ – entstand 1988 für die
„Banality“-Serie.
Es gibt auch direkte Auseinandersetzungen mit Resnais‘ Werk. Marie Harnett
zeichnet Filmszenen en miniature mit Bleistift nach. Der Künstler Pavel
Büchler zeigt pausenlos ein Standbild aus „Marienbad“, um das Bild in die
Mattscheibe einzubrennen – so reflektiert er, laut Ausstellungsführer, über
die Dauerhaftigkeit von Zeit. Bevor die nun wieder Langeweile evoziert,
fährt Kota Ezawa schnell seinen Computer hoch und übersetzt Szenen wie die
anfangs beschriebene in seinen reduzierten Comicstil – was die Figuren noch
cooler wirken lässt. Eine wirklich konsequent durchdachte Schau zur
Imagewandel-Premiere der Kunsthalle.
1 Dec 2015
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Kunsthalle Bremen
Film
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Fotografie
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Kulturpolitik
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