# taz.de -- Vergessene Filme zum Wiedergucken: „Filmgeschichte korrigieren“ | |
> Samstag beginnt das Filmfestival „Cinefest“ mit dem Thema „Menschen im | |
> Hotel“. Die Organisatoren haben lange vergessene Filme in den Archiven | |
> ausgegraben | |
Bild: Wird als Eröffnungsfilm beim Cinefest gezeigt: „Hotel Adlon“ von 1955 | |
taz: Herr Bock, warum zeigen Sie in diesem Jahr beim Cinefest nur | |
Hotelfilme? | |
Hans-Michael Bock: Bei mir auf dem Schreibtisch lag eine Filmzeitschrift | |
mit dem Titelbild zu Wes Andersons Film „Grand Hotel Budapest“. Das war der | |
Funke. Zuerst waren meine Kolleginnen etwas zögerlich, aber als wir dann | |
anfingen darüber nachzudenken, was dazu alles passen würde, wurden sie | |
immer begeisterter. | |
Welche Filme kamen Ihnen in den Sinn? | |
Bock: Dazu passte vieles, quer durch die Filmgeschichte. Der Titel ist ja | |
schon ein Knoten. „Menschen im Hotel“ war 1927 in Deutschland ein | |
Bestseller von Vicki Baum, aber die erste Adaption wurde 1931 unter dem | |
Titel „Grand Hotel“ mit Greta Garbo in Hollywood gedreht. Vicki Baum hat | |
dann im Exil in Amerika eine aktualisierte Fassung des Romans mit Nazis und | |
Widerstandskämpfern geschrieben, die 1943 als „Hotel Berlin“ auch verfilmt | |
wurde. Und den zeigen wir auch. | |
Erika Wottrich: Der Film ist fast vergessen, obwohl er oft mit „Casablanca“ | |
verglichen wurde. Aber mit dem Kriegsende hat die Zeit ihn schon kurz nach | |
der Uraufführung schnell überholt. Wir haben eine 16-mm- Kopie von ihm | |
gefunden. | |
Was steht noch auf dem Programm? | |
Bock: Wir haben auch ein deutsches Remake von „Menschen im Hotel“ mit Heinz | |
Rühmann und Gerd Fröbe dabei, das auf das Wirtschaftswunder umgepolt wurde. | |
Das zeigt ja auch, dass sich diese Grundstruktur, die Vicki Baum in den | |
20er-Jahren entwickelt hat, von einem Hotel, in dem sich Menschen aus | |
vielen Ländern und verschiedener sozialer Herkunft begegnen, quer durch die | |
Filmgeschichte trägt. | |
Wottrich: Der Episodenfilm „Hotel Adlon“ von Josef von Baky aus dem Jahr | |
1955 wird am Samstag als Eröffnungsfilm gezeigt. Dann läuft der Film „In | |
der glanzvollen Zeit des Hotel Adlon“ von Percy Adlon, der ein Urenkel des | |
Gründers ist. | |
Verstehen Sie sich als Bewahrer des filmhistorischen Erbes? | |
Wottrich: Wir wollen die Filmgeschichte ein wenig korrigieren. Große Teile | |
der deutschen Filmgeschichte sind so gut wie vergessen. Von den Archiven | |
haben wir immer wieder gehört, dass sie so viele tolle Filme hätten, aber | |
immer nur nach „Caligari“ und „Metropolis“ gefragt würde. | |
Könnte man sagen, dass Sie als Archäologen des Films arbeiten? | |
Wottrich: Der Begriff passt sehr schön, weil wir ja auch viel recherchieren | |
und danach forschen, wann und wo welcher Film lief. Wir versuchen Filme | |
auszugraben, von denen man viel liest, die aber lange keiner gesehen hat. | |
Aber wir sind nicht die, die nach Argentinien fahren, um dort nach alten | |
Filmrollen zu suchen. | |
Bock: Oft ist das Nachfragen bei bestimmten Archiven der wichtigste | |
Schritt. Wenn wir da hartnäckig bleiben, entdecken die oft zu ihrer eigenen | |
Verwunderung, was sie überhaupt alles haben. Wir kitzeln die Entdeckungen | |
aus ihnen heraus. | |
Bei welchem Film ist Ihnen das gelungen? | |
Wottrich: Wir haben jahrelang nach der deutschen Kurzfassung von Casablanca | |
gesucht. Es gab 1952 eine Synchronfassung, bei der die Nazis | |
rausgeschnitten wurden. Wir hatten einen Hinweis bekommen, dass es eine | |
Kopie bei der Kinemathek in Berlin geben sollte. Da habe ich dann | |
nachgefragt. Die hatten sie auch, meinten aber, das wäre mit 80 Minuten | |
eine unvollständige Kopie. Später fragt dann einer der Mitarbeiter der | |
Kinemathek, wo wir diese Fassung denn gefunden hätten. | |
Murnaus „Der letzte Mann“ zeigen Sie zusammen mit einem Remake. Wie haben | |
Sie das denn entdeckt? | |
Bock: Das ist ein ziemlich vergessener Film mit Hans Albers und Romy | |
Schneider aus dem Jahr 1955, bei dem ebenfalls viel umgebaut wurde. Albers | |
spielt da einen Oberkellner und Romy Schneider ist eine Hotelerbin, die von | |
der Verwandtschaft raus geekelt werden soll. Da hatten wir wieder große | |
Schwierigkeiten bei der Suche und gefunden habe ich ihn dann zuerst in | |
Frankreich in einer Romy-Schneider-DVD-Box. | |
Bemerkenswert an Ihrer Veranstaltung ist auch, dass neben einem Kunstfilm | |
wie „Letztes Jahr in Marienbad“ ein Genreklassiker wie Kubricks „Shining�… | |
und ein „Schmuddelfilm“ wie „Das Gelbe Haus am Pinnasberg“ gezeigt werd… | |
Wottrich: Solche Mischungen machen uns Spaß und das Triviale ist ja das, | |
was sich die Leute im Kino angeguckt haben. Beim „Pinnasberg“ ging es auch | |
um den Hamburgbezug, aber er fällt thematisch ein bisschen raus. | |
Es geht um ein Stundenhotel, das gilt ja gerade noch. | |
Wottrich: Bei der Recherche kam heraus, dass einige Kritiker „Shining“ als | |
eine Art Remake von „Marienbad“ sehen. Wenn man sie jetzt nebeneinander | |
anschaut, fällt tatsächlich auf, dass es bei beiden diese Fahrten durch die | |
labyrinthischen Gänge gibt und viel erzählt wird ja auch in „Shining“ | |
nicht. So kommen dann immer wieder die Klammern zusammen. | |
12 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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