| # taz.de -- Kreative Zerstörung: Das Gegenteil vom Potjomkinschen Dorf | |
| > Thomas Hirschhorn hat Ruinen in die Bremer Kunsthalle gebaut. Für ihn | |
| > sind sie Zeichen kulturellen, ökonomischen und politischen Versagens. | |
| Bild: Arrangiertes Chaos: Thomas Hirschhorns Zerstörung aus Pappe und Schaumst… | |
| Bremen | taz Mit einer zerstörerischen, „Abschlag“ benannten Intervention | |
| hat Thomas Hirschhorn gerade in der Eremitage St. Petersburgs gewütet, ein | |
| Attentat auf Berlins Schinkel-Pavillon ausgeführt und unter dem Motto „Roof | |
| off (Dach weg)“ den Zentralpavillon der Venedig-Biennale attackiert. Jetzt | |
| ruiniert er die Bremer Kunsthalle. | |
| Seine exklusiv für Bremen gefertigte Skulptur „Nachwirkung“ lässt er | |
| irritierend spektakulär loswuchern: Räume greifend.Aber nicht nur den | |
| dreiteiligen Saal der Großen Galerie will er mit dieser monumentalen | |
| plastischen Geste im Post-Desaster-Design neu inszenieren, sondern auch | |
| eine Idee – die Ruine an sich, wie der Konzeptkünstler sagt. | |
| Er kreuzt bei seinen Erläuterungen gern die revolutionären Gedankenpfade | |
| des italienischen Marxisten Antonio Gramsci, der in revolutionärer Emphase | |
| die Zerstörung als kreativen Akt postulierte. So sieht auch Hirschhorn | |
| seine Kunst der Ruinierung als Ansporn zur Neuordnung des Realen. | |
| Bis zu Hirschhorns Aufschlag in der Kunsthalle durchflutete kuschelig | |
| warmes Sonnenlicht den Skulpturen-Salon. Jetzt wird der Besucher | |
| schweißtreibend von brachial grellen Kunstlicht-Spots erquickt. Es riecht | |
| frisch renoviert: Farb- und Klebstoffdüfte hängen in der Luft, die von | |
| keiner Klimaanlage mehr groß verwirbelt werden, da Böden, Decken, Wände | |
| höhlenartig grau verkleidet und gegen das ursprüngliche Erscheinungsbild | |
| abgedichtet sind. Nur ein Überwachungskameraauge und das Notausgangsschild | |
| lugen noch hinein. | |
| Auf den ersten Blick überwältigt der Schein als Wirklichkeit: Der Besucher | |
| meint, mitten in einem von Krieg, Erdbeben, Verfall oder | |
| Bauingenieursfehlern zerstörten und dann vernachlässigten Bunker zu stehen. | |
| Vielleicht war er mal ein gut gesichertes Museumsdepot, das den | |
| Zusammenbruch der Zivilgesellschaft nicht überlebt, aber einige | |
| Meisterwerke über die Katastrophe gerettet hat. | |
| Fünf wertvolle Beispiele der Kunsthallensammlung hängen noch an den Wänden, | |
| aus denen ansonsten Kabel, Rohre und Stahlträger ragen. Damit es | |
| abenteuerlich unübersichtlich wird, arrangiert Hirschhorn weitere | |
| Ruinen-Elemente. Der Fußboden verunsichert als angeschrägt knarziger | |
| Stolperfallen-Parcours. Deckenverkleidungen und Leuchtstoffröhren baumeln | |
| herab, Durchbrüche sind entstanden, Treppen weggebrochen und eingestürzte | |
| Altbau-Fassaden zu Betonklotzbergen gruppiert. | |
| Einige Artefakte deuten auf menschliche Nutzung hin: Verkohlte | |
| Lagerfeuerhölzer knuddeln in einer Ecke, programmatische Graffiti-Sprüche | |
| und Totenköpfe wirken wie Höhlenzeichnungen eines Spray-Artisten. Aber die | |
| Illusion der Raumverwandlung wird bewusst gebrochen. Auf den zweiten Blick | |
| erkennt jeder, Bauschutt und Geröll sind hohl, bestehen aus frisch | |
| gefalteten, roh zusammengeklebten Kartons. | |
| Der Schweizer Hirschhorn hat das Szenario generalstabsmäßig in seiner | |
| Wahlheimat Paris geplant, alle Einzelteile dort hergestellt und nun in | |
| Bremen so implantiert, dass alles ganz deutlich gebastelt aussieht. | |
| Warum dieser Billigheimer-Charme? Da wird Hirschhorn theoretisch. „Ich bin | |
| kein Ruinenfreak“, behauptet er. Die Form seiner „Nachwirkung“ sei zwar d… | |
| der Ruine – aber die Ästhetik des architektonischen Raumes, also seine | |
| Wahrnehmung, sei die des Potjomkinschen Dorfes. Also der offensichtliche | |
| Versuch, eine gesellschaftliche Situation durch ein Bühnenbild zu | |
| verbergen. | |
| Nur dass Hirschhorn eben nicht wie 1787 der Reichsfürst Grigori | |
| Alexandrowitsch Potjomkin der Zarin den katastrophalen Zustand Neurusslands | |
| mit hübsch bemalten Prospekten verstellt, sondern den entgegengesetzten Weg | |
| geht: Er legt den Zustand der Gesellschaft offen, indem er ihn auf die | |
| katastrophale Spitze treibt – mit der Ruine als Metapher für zerstörte oder | |
| zu zerstörende Sinnarchitektur unseres Daseins. | |
| Ob es nun die Ruinen Ägyptens, antiker Theater, Detroiter Autofabriken oder | |
| Atomreaktoren in Tschernobyl und Fukushima, zerbombte Häuser des | |
| Gaza-Streifens, Sprengungen des Weltkulturerbes von Palmyra sind – „jede | |
| Ruine hat ihre Geschichte“, sagt Hirschhorn, sie sei immer Zeichen für | |
| politisches, kulturelles, menschliches, ökonomisches Versagen. Und so könne | |
| man auch bei seinen Kunst-Ruinen überlegen, was vorher war, warum es nicht | |
| mehr ist – und was nun sein soll. | |
| Die applizierten Gemälde sind schräg gehängt, weil ein Neunfang mit einer | |
| neuen Perspektive auf die guten alten Sinnfragen einhergehen muss, mit | |
| denen die guten alten Werke Hirschhorns Kunst aufladen sollen. | |
| Deswegen wurde das kleinformatige „Friedhofstor“ (1825/30) von Caspar David | |
| Friedrich ausgewählt. Der sei, erklärt Hirschhorn, wie er selbst, kein | |
| romantischer Verklärer des Vergangenen, sondern ein moderner Extremist, das | |
| Friedhofstor daher auch kein Friedhofstor, sondern eine Ruine, die den | |
| Blick in den unermesslichen Himmel, die Endlosigkeit des Universums und | |
| damit Fragen nach dem Unbegrenzten, Unfassbaren, der Ewigkeit eröffne. | |
| Ein fast schon utopischer Entwurf ist Oskar Schlemmers „Komposition mit | |
| vier Figuren“ (1936). „Wie diese Vereinzelten aus einer gesichtslosen | |
| grauen Masse heraustreten, Verantwortung für eine kommende Zeit übernehmen, | |
| darin sehe ich eine Hommage an den Widerstand, an etwas das Sinn macht“, | |
| sagt Hirschhorn. | |
| Ebenso liebt er Franz Marcs „Reh im Blumengarten“ (1913), weil es so tapfer | |
| versuche, das eigene Verschwinden zu verhindern im total abstrakten Kampf | |
| der Formen und Farben. Das hat Arnold Böcklins „Abenteurer“ (1882) schon | |
| hinter sich. Skelette pflastern seinen einsamen Weg. Stolz-müde hockt er | |
| auf einem todmüden Pferd – und für Hirschhorn sieht es so aus, als ob er in | |
| existenzieller Verlorenheit noch mal ganz von vorn über seine Bestimmung | |
| räsoniere: für was es sich zu leben, kämpfen, sterben lohne. | |
| Solche Appelle sind kleine, widerständige Sinninseln in Hirschhorns großem | |
| Katastrophen- und Zerfallsszenario. Ihm liegt der Zauber des Aufbruchs | |
| inne. Das ist der Sinn der Ruine. Wer den mit so meisterlich ironischem | |
| Ernst zu gestalten weiß, der darf, der muss auch Kunsthallen ruinieren. | |
| NaN NaN | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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