# taz.de -- Der letzte Galionsfigurenbastler: Der Schnitzer | |
> Claus Hartmann stellt auf der Weser-Insel Harriersand Galionsfiguren her. | |
> Sie sollen Schiffe samt Besatzung beschützen und waren längst in | |
> Vergessenheit geraten. | |
Bild: Hat die alte Tradition wieder belebt: Figurenschnitzer Claus Hartmann. | |
Claus Hartmann schüttelt leicht entnervt den Kopf. Der Paketbote hat wieder | |
mal den Weg nicht gefunden. Dabei gibt es auf Harriersand mit seinen etwa | |
70 Bewohnern nur eine Straße. Es scheint für die Post trotzdem nicht ganz | |
einfach zu sein, den Resthof zu finden, auf dem Hartmann mit seiner Frau | |
Birgit mit den beiden Kindern lebt und Galionsfiguren schnitzt. | |
Harriersand ist eine Insel. Auch wenn es sich von Osten kommend gar nicht | |
nach Insel anfühlt. Hier sieht die Weser, die die etwa elf Kilometer lange | |
Insel vom Festland trennt, eher aus wie ein Graben. Ein kleiner Seitenarm | |
nur, der bei Ebbe kaum Wasser führt. Seit 1965 führt eine Brücke rüber. | |
Anders im Westen. Dort ist am Festland der Hafen von Brake und die Weser | |
ist schon recht breit. Auf die Insel geht es nur mit der kleinen | |
Personenfähre „MS Guntsiet“. Und das auch nur von Ende März bis Ende | |
Oktober. | |
Hartmann mag es so abgeschieden. Er ist in Deutschland der einzige | |
professionelle Schnitzer von Galionsfiguren, weltweit fallen ihm auch nur | |
eine knappe Handvoll Kollegen ein, die zumindest ab und zu mal welche | |
herstellen. Hartmann fertigt die Figuren nach den Entwürfen seiner Frau an. | |
Seine Werkstatt ist in seinem ausgebauten Bauernhof, da kommt es schon mal | |
vor, dass er gerade nackt vom Strand kommt und zu Hause auf Touristen | |
trifft, die bei ihm ein maritimes Mitbringsel kaufen wollen. | |
Ein touristischer Hotspot ist Harriersand aber nicht gerade. Das Restaurant | |
Strandhalle in der Nähe des Fähranlegers sieht aus, als sei hier seit den | |
siebziger Jahren nicht viel passiert. Auf der Insel gibt es einen | |
Campingplatz, einige Ferienhäuschen, ein paar Höfe und Weiden. Nicht mal | |
eine Kirche gibt es. Die wenigen Kinder auf der Insel fahren mit dem Bus | |
aufs Festland in die niedersächsische Gemeinde Schwanewede zur Schule. | |
„Ich bin am Wasser aufgewachsen“, sagt Hartmann. Mütterlicherseits sind | |
alle Männer der Familie zur See gefahren und Hartmann selbst ist schon mit | |
15 Jahren in den Ferien als Schiffsjunge mitgefahren. 1975 las er in einer | |
Zeitschrift eine Geschichte über zwei Londoner, die angeblich letzten | |
Galionsfiguren-Schnitzer in England. Jene meist aus Holz geschnitzten | |
Figuren, die den Bug von Segelschiffen zieren, den Kurs des Schiffes | |
beobachten und es vor Unglück bewahren sollen – so will es jedenfalls der | |
Aberglaube – waren in Vergessenheit geraten. Ihn aber ließen die Figuren | |
nicht mehr los und sein Berufswunsch stand fest. | |
Nur seine Eltern waren davon nicht begeistert, sie wollten, dass er Medizin | |
studiert. Hartmann schloss eine Ausbildung zum Heilpraktiker ab, arbeitete | |
danach ein Jahr in seinem Beruf, schrieb sich dann fürs Medizinstudium an | |
der Universität Witten/Herdecke ein und machte dort sein Physikum. „Aber | |
ich wollte autonomer sein“, sagt er. Da fielen ihm die Galionsfiguren | |
wieder ein. „Kunst war in der Schule mein bestes Fach und mit Schnitzen | |
hatte ich keine Probleme.“ Fortan lief sein Studium nur noch nebenher. | |
1994 bekam er den ersten Auftrag für eine Galionsfigur – und zwar für das | |
Segelschulschiff „Großherzogin Elisabeth“. Er hatte dem Kapitän selbst ei… | |
Figur vorgeschlagen und damit einen fast vergessenen Brauch wieder zum | |
Leben erweckt. | |
## Weltweiter Kundenstamm | |
Heute verlassen im Schnitt zwei Galionsfiguren pro Jahr die Werkstatt von | |
Hartmann. Und fast alle großen Segler fahren mit seinen Figuren, auch der | |
goldene Adler am Segelschulschiff „Gorch Fock“ stammt von ihm. Hartmanns | |
Kunden sitzen in Monaco, Südfrankreich, der Karibik oder Russland. | |
Von den Galionsfiguren allein leben kann er nicht. 30 bis 40 Prozent des | |
Gesamteinkommens, so schätzt Hartmann, machen die Figuren aus. Er will sich | |
aber ohnehin nicht auf eine Sache festlegen. „Ich will so viel wissen wie | |
möglich. Auch, um in Krisenzeiten für mich und andere sorgen zu können“, | |
sagt er. Er kann Bier brauen, einen Luftröhrenschnitt setzen und beherrscht | |
die Reusenfischerei. Er hat zwar derzeit genug Galionsfiguren-Aufträge, | |
aber wer wisse schon, was die Zukunft parat halte? | |
Das Leben auf Harriersand hat neben der Abgeschiedenheit auch ein paar | |
andere Unwägbarkeiten zu bieten. „2013 stand unten im Haus das Wasser“, | |
sagt Hartmann. Dabei hatte er gemeinsam mit Nachbarn erst einige Jahre | |
zuvor einen Deich um seinen Hof gezogen. Die nächste Deicherhöhung ist nur | |
noch eine Frage der Zeit. | |
Zurzeit arbeitet er unter anderem an einer Galionsfigur aus Eiche für die | |
„Mir“, ein russisches Ausbildungsschiff der Handelsmarine. Sechs Monate | |
Arbeit wird er am Ende wohl reingesteckt haben, so lange braucht er in der | |
Regel für eine Figur. Für Hartmann ist die Figur für die „Mir“ auch eine | |
Art politisches Projekt, schließlich bedeute „Mir“ auf Deutsch übersetzt | |
„Frieden“ oder „Welt“. | |
Denn auch wenn Hartmann im Gespräch eher norddeutsch zurückhaltend ist, | |
wird er beim Thema Russland sauer. Spricht vom „Scheiß-Ukraine-Konflikt“, | |
sieht den US-amerikanischen Imperialismus am Werk, der trotz Absagen an | |
eine Nato-Osterweiterung genau diese betreibe. „Und dann heißt es immer: | |
diese Russen“, sagt Hartmann. „Die Seefahrt war für mich immer etwas | |
Internationales und dieses ‚Mir‘-Projekt ist eine gute Gelegenheit, um das | |
zum Ausdruck zu bringen.“ Probleme wegen der Sanktionen gegen Russland | |
befürchtet er nicht. „Ich glaube nicht, dass es da Schwierigkeiten gibt – | |
und wenn doch, wäre es mir ein Pläsir, sie zu unterwandern.“ | |
Aber letztlich ist sein Handwerk sein Geschäft. „Geld verdienen, ein gutes | |
Produkt abliefern, das ist auch wichtig“, sagt Hartmann. Und über einige | |
seiner Kunden möchte er möglichst wenig wissen. Über die russischen | |
Oligarchen etwa, die es sich leisten können, bei der Lürßen-Werft in Bremen | |
für zwei- bis dreistellige Millionenbeträge Jachten bauen zu lassen. „Wer | |
weiß schon so genau, wie die an ihren Reichtum kommen“, sagt er. Solche | |
Kunden brauchen meistens keine Galionsfiguren, aber Hartmann und seine Frau | |
stellen auch Dekorationsobjekte her, maritime Bilder zum Beispiel oder | |
maßgeschneiderte Skulpturen. Birgit Hartmann ist auch hier für die Entwürfe | |
zuständig. Sie hat auch beispielsweise die kleinen Nixen gestaltet, die als | |
Preis beim Jade-Weser-Port-Cup, der ältesten Traditionssegler-Regatta an | |
der deutschen Nordseeküste, vergeben werden. | |
## Immer wieder baggern | |
Um an Aufträge zu kommen, müssen die Hartmanns immer wieder baggern, sich | |
auf dem Laufenden halten. Wenn irgendwo an der deutschen Küste ein | |
Segelschiff vor Anker geht, weiß Claus Hartmann in der Regel davon. | |
„Kontakte sind wichtig“, sagt er, zu Hafenämtern, aber eben auch zu | |
Reedereien. | |
Feste Vorgaben bei der Gestaltung der Galionsfiguren gibt es nicht, auch | |
das verwendete Material ist nicht festgelegt. „Esche ist schön, Ahorn, | |
Douglasien“, sagt Hartmann. „Der Schutz ist die Versiegelung der | |
Oberfläche. Ich sag den Kunden immer: Schau nach, ob es Risse gibt!“ | |
Mittlerweile bietet er auch Figuren aus Edelstahl und Glas an. | |
Dass Galionsfiguren immer weibliche Figuren zeigen müssen, stimmt übrigens | |
nicht. Die indonesische Marine baut seit zwei Jahren an einem Schiff, das | |
das größte Segelschiff der Welt werden soll. Ein männlicher Held, „eine Art | |
Siegfried“, wie Hartmann sagt, soll den Bug eines Tages schmücken. | |
Natürlich aus seiner Werkstatt. Gestalterische Freiheit hat er bei seiner | |
Arbeit durchaus, aber als Künstler versteht er sich nicht. „Ich muss nicht | |
mein Innerstes nach außen kehren. Wenn der Kunde große Brüste will, dann | |
bekommt er die.“ | |
7 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Schnell | |
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