# taz.de -- Aktivismus in der Kunstwelt: #GuggOccupied #Biennale | |
> In Abu Dhabi entsteht ein Guggenheim. Biennale-Künstler protestieren bei | |
> dessen Bau gegen Menschenrechtsverletzungen. | |
Bild: Im Kontext der Biennale geriet die Aktion der Künstler-Koalition zum Kun… | |
In Abu Dhabi entsteht derzeit Saadiyat Island, die „Insel des Glücks“, mit | |
Dependancen der Museen Louvre und Guggenheim sowie der New York University. | |
Architekt Frank Gehry, für den ikonischen Entwurf des Guggenheim Bilbão | |
verantwortlich, lieferte auch den in der Hauptstadt der Vereinigten | |
Arabischen Emirate. | |
Die Globalisierung der nicht eben kapitalschwachen Marke schultern die | |
Ärmsten: Arbeitsmigranten aus Ländern wie Nepal, Pakistan, Bangladesch und | |
Indien. Die Bedingungen auf Baustellen am Persischen Golf machten schon im | |
Zusammenhang mit dem Bau neuer Stadien für die Fußballweltmeisterschaft in | |
Katar Schlagzeilen, Trinkwassermangel und schlechte Sicherheitsvorkehrungen | |
führten zu Todesopfern. | |
Auf Missstände in Abu Dhabi machte während der Eröffnungswoche der Biennale | |
in Venedig Gulf Labor aufmerksam, eine Koalition internationaler Künstler | |
und Kulturschaffender. Mitglieder glitten in Booten durch den malerischen | |
Canal Grande zur Peggy Guggenheim Collection und besetzten dort die | |
Terrasse. Die Mäzenin hatte ab den fünfziger Jahren in dem Palazzo gelebt, | |
heute ist darin ihre Kunstsammlung untergebracht. Mit Bannern und | |
Flugblättern protestierten rund 50 Aktivisten vor den auf Gondeln und | |
Wasserbussen vorbeiziehenden Touristen gegen die Solomon R. Guggenheim | |
Foundation: „Guggenheim Which Future?“ lautete der an den Biennale-Titel | |
„All the World’s Futures“ angelehnte Slogan, darunter Forderungen: genug | |
Lohn zum Leben, Schuldenerlass, das Recht, sich gewerkschaftlich zu | |
organisieren. | |
Auf das Guggenheim konzentriere sich die Kritik der Gruppe, weil es für | |
zeitgenössische Kunst stehe, sagt Rene Gabri im Boot auf dem Weg zur | |
Terrasse. Der Künstler mit armenischen Wurzeln lebt in New York, bei der | |
Biennale zeigt er eine Arbeit im armenischen Pavillon, der mit dem Goldenen | |
Löwen ausgezeichnet wurde. Die Sichtbarkeit bei einer solchen | |
Großveranstaltung wollten er und andere Künstler nutzen, um darauf | |
aufmerksam zu machen, was hinter den Kulissen der globalisierten Kunstwelt | |
vor sich gehe. Der Markt sei in die sozialen Kämpfe der Welt verstrickt, | |
sagt Gabri: „Wir fragen danach, auf welcher Seite die Kunst eigentlich | |
steht.“ | |
Schon vor fünf Jahren forderten die Aktivisten die Solomon R. Guggenheim | |
Foundation in einer Petition auf, ihre Reputation für die Verbesserung der | |
Situation von Arbeitern in Abu Dhabi zu nutzen und Rechte vertraglich zu | |
sichern. Sie verweisen darin auch auf ihre eigene Rolle im Kunstbetrieb: | |
Menschenrechtsverletzungen brächten Künstler und andere, die mit dem Museum | |
arbeiten und dort ausstellen, in moralische Bedrängnis. Zu den über 40 | |
Erstunterzeichnern gehören unter anderen Kader Attia, Thomas Hirschhorn, | |
Shirin Neshat, Martha Rosler, Katharina Sieverding, Hito Steyerl, Jimmie | |
Durham und Trevor Paglen. Einige Unterzeichner wurden mit Einreiseverboten | |
in die Vereinten Arabischen Emirate belegt, Walid Raad etwa wurde am | |
Flughafen in Abu Dhabi abgewiesen. | |
## Verweigerte Löhne | |
Unter dem Hashtag [1][#GuggOccupied] verfolgen Menschen die Aktivitäten von | |
Gulf Labor im Netz. Mittlerweile haben sich auch Museumsdirektoren und | |
Kuratoren mit einem offenen Brief eingeschaltet. In New York haben | |
Mitglieder schon mehrere Aktionen durchgeführt. Im Guggenheim rollten sie | |
Protest-Banner aus und ließen Flugblätter die berühmte Rotunde | |
herabrieseln. Es folgten Treffen mit Guggenheim-Vertretern und Reisen nach | |
Abu Dhabi. Passiert sei seitdem aber nicht viel, sagt Gabri, zwar habe das | |
Guggenheim vor Ort mit einem Partner, der Tourism Development & Investment | |
Company, eine Erklärung über Werte und Standards veröffentlicht, nur fehle | |
eine unabhängige Kontrollinstanz, die sicherstellen könnte, dass sich die | |
Situation tatsächlich verbessere. | |
Das bestätigt auch ein Anfang des Jahres veröffentlichter Report von Human | |
Rights Watch. Sieben Monate lang recherchierte die Organisation vor Ort. | |
Arbeiter berichteten über monatelang ausstehende Löhne, Androhung von | |
Festnahmen und Abschiebungen bei Streiks, hygienisch unzureichende | |
Unterkünfte. Guggenheim-Direktor Richard Armstrong beharrt in | |
Stellungnahmen darauf, dass man mit dem eigentlichen Bau noch nicht | |
begonnen habe. Gabri und seine Mitstreiter sehen das anders: „Während wir | |
hier reden, wird in Abu Dhabi schon die Infrastruktur gebaut.“ | |
Im Kontext der Biennale, zu der Gulf Labor offiziell eingeladen wurde, | |
geriet die Aktion zum Kunstwerk, das mehr Wirkung entfaltete als jedes | |
andere in der politisch motivierten Schau von Chefkurator Okwui Enwezor. In | |
einem Auditorium wird Karl Marx’ Kapital gelesen. Die koreanische | |
Künstlerin Im Heung-soon enthüllt in einem Dokumentarfilm Schicksale von | |
Arbeiterinnen in Asien. Jeremy Deller stellt elektronische Armbänder aus, | |
mit denen Amazon die Effizienz von Arbeitern misst. Diese Kunst schafft | |
Diskurs, keine Frage. Doch bricht sie eben nicht aus den Kulissen der | |
Luxusveranstaltung aus. | |
## Politisierte Kunstszene | |
Auf der Terrasse des Guggenheims schallten auch die Biennale selbst | |
betreffende Forderungen durchs Megafon: Nach 120 Jahren Ausbeutung solle | |
die Biennale endlich zahlen, nicht vergütete Praktika abschaffen und | |
Künstler nicht mehr lediglich für Sichtbarkeit arbeiten lassen. Nachfragen | |
bei Mitarbeitern auf dem Biennale-Gelände, die etwa Tickets kontrollieren | |
oder Ausstellungen beaufsichtigen, ergaben: Die meist jungen Menschen | |
verdienen zwischen null und vier Euro pro Stunde. Ein gerade in der | |
Zeitschrift Kunstforum veröffentlichter Artikel nimmt die „Geldmaschine | |
Biennale“ in den Blick, wo sechsstellige Budgets für Länderbeiträge | |
aufgewendet werden, Künstler ihre Teilnahme an der zentralen Ausstellung | |
mitunter selbst finanzieren und Geschäfte wie bei einer Kunstmesse getätigt | |
werden. Zwischen Überfluss auf der einen und Ausbeutung auf der anderen | |
Seite klafft ein Abgrund. | |
Bei der Aktion in Venedig war auch Journalist und Filmemacher Philip Rizk | |
dabei. Im deutschen Pavillon präsentiert er zusammen mit der Künstlerin | |
Jasmina Metwaly eine Videoarbeit, die szenisch von Arbeitern in einer | |
ägyptischen Fabrik erzählt. Er habe die Petition von Gulf Labor | |
unterschrieben und unterstütze die Anliegen der Gruppe, auch die in Bezug | |
auf die Biennale, sagt er. Dass Menschen in einem teuren Markt wie dem | |
Kunstmarkt umsonst oder für geringe Entlohnung arbeiteten, finde er völlig | |
inakzeptabel. | |
Auch in Deutschland funktioniert dieses Modell, beim Filmfest Berlinale | |
etwa oder der Transmediale, einem mit Geldern aus der Bundeskulturstiftung | |
chronisch unterfinanzierten Medienkunst-Festival, arbeiten Freiwillige für | |
ein Festivalticket, werden Stellen mit Praktikanten besetzt. In Berlin | |
hielt der Künstler Bazon Brock gerade einen Vortrag über Arbeitssklaven, | |
ein Begriff, der für Arbeiter in Katar benutzt wird, laut Brock aber auch | |
zur prekären Situation von Künstlern im Westen passe, von denen ein | |
Großteil keine Aussicht darauf habe, je ihren Lebensunterhalt zu | |
finanzieren. Dagegen wehrt sich hier bisher allerdings niemand. In New York | |
hingegen gingen Anfang Juni Hunderte Mitarbeiter des Museums of Modern Art | |
auf die Straße, während im Skulpturengarten eine Gala abgehalten wurde. | |
Unter dem Slogan [2][#WeAreMoMa] forderten die gewerkschaftlich | |
organisierten Angestellten faire Verträge und protestierten gegen geplante | |
Kürzungen der Sozialleistungen. | |
Anfang August präsentiert Gulf Labor mehrere Veranstaltungen im offiziellen | |
Programm der Biennale. Neben dem Engagement der Gruppe für Arbeiterrechte | |
am Persischen Golf geht es dann auch um das Potenzial künstlerischer | |
Aktivitäten in Kontexten wie [3][#ArabUprisings], [4][#OccupyWallStreet] | |
oder [5][#BlackLivesMatter]. Ein Gespenst geht noch nicht um in der | |
Kunstwelt. Aber der Aktivismus nimmt zu, mit Prekarisierung und | |
fragwürdigen institutionellen Praktiken finden sich immer weniger | |
Kunstschaffende ab. Die Szene politisiert sich und Kunst könnte damit | |
wieder mehr werden, wie Joseph Beuys sie sich einmal gewünscht hat: eine | |
gesellschaftsverändernde Kraft. | |
29 Jul 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/search?q=%23guggoccupied&src=typd | |
[2] https://twitter.com/search?q=%23wearemoma&src=typd | |
[3] https://twitter.com/search?q=%23ArabUprisings&src=typd | |
[4] https://twitter.com/search?q=%23OccupyWallStreet%20&src=typd | |
[5] https://twitter.com/search?q=%23BlackLivesMatter&src=typd | |
## AUTOREN | |
Sabine Weier | |
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