# taz.de -- 57. Internationale Biennale von Venedig: Wo Kunst und Recht zusamme… | |
> Eine Bastelstube, juristische Beratung für Flüchtlinge, schlafende | |
> Künstler und Damenunterwäsche. Ein Biennale-Rundgang. | |
Bild: Okkupierte Körper: die Performance „Faust“ von Anne Imhof im Deutsch… | |
Viva Arte Viva! Es lebe die Kunst! Nichts spricht gegen das Motto, das | |
Christine Macel, Direktorin des Pariser Centre Pompidou, der von ihr | |
kuratierten Biennale von Venedig gegeben hat, in einer Zeit, in der die | |
politischen Probleme nun wirklich auf der Hand liegen und niemand die Augen | |
davor verschließen kann. In solchen Zeiten darf die Kunst für sich selbst | |
sprechen, und womöglich leistet sie, indem sie sich von den Geschäften der | |
Welt fernhält, erst recht einen Akt des Widerstands. | |
Eine schöne Idee, doch sie ist von Beginn an obsolet. Denn die Kunst hält | |
sich keineswegs von den Geschäften dieser Welt fern. Sie selbst ist eines | |
dieser Geschäfte. 2017 nicht weniger als 2015, als Okwui Enwezor eine zu | |
große Nähe zum Kunstmarkt vorgehalten wurde. Jeden Tag trudelten im Vorfeld | |
der Biennale die E-Mails der Galerien ein, mit den Namen ihrer in Venedig | |
vertretenen Künstler. Nicht anders, als es die Kunstmessen sind, ist die | |
Biennale eine Gelegenheit für Sammler, Kuratoren und Museumsleute, neue | |
oder besondere Kunst sehen und eben auch erwerben zu können. | |
Darüber hinaus zeigt sich während des Rundgangs, dass jene Arbeiten am | |
stärksten sind, die sich wie gewohnt in das politische Tagesgeschehen | |
einmischen. Gleich zu Beginn gilt das im Hauptpavillon in den Giardini für | |
Olafur Eliasson, der eine große Bastelstube organisiert hat. „Green Light“, | |
wie sich sein künstlerischer Workshop nennt, sieht harmlos und lustig aus, | |
ist es aber nicht. Außer auf Studenten und Publikum zielt das | |
Shared-Learning-Programm, das am offensichtlichsten die Herstellung | |
modularer Lampenpolyeder beinhaltet, auf Venedigs Flüchtlinge. | |
Während der Dauer von „Green Light“ klären einmal in der Woche eine | |
venezianische Rechtsanwältin und deren juristische Mitstreiter Flüchtlinge | |
über ihre Rechte auf, also darüber, was der Status des Asylanten, | |
Flüchtlings oder Migranten juristisch bedeutet, und sie beraten und | |
unterstützen sie individuell zu ihrem jeweiligen Fall. Neben Eliasson | |
sponsert die in Wien beheimatete Kunststiftung Thyssen-Bornemisza Art | |
Contemporary dieses „Zusammenkommen von Kunst und Recht“, so die | |
Rechtsanwältin auf dem Eröffnungspanel, und macht so ihre ablehnende | |
Haltung zur österreichischen Flüchtlingspolitik öffentlich. | |
## Schlafende Künstler | |
Merkwürdigerweise ist der Green Light Workshop ausgerechnet von Arbeiten | |
umgeben, die allesamt den schlafenden Künstler thematisieren. Das fängt mit | |
Mladen Stilinović’ (1947–2016) Fotoserie „Artist at Work“ von 1978 an,… | |
weiter mit Franz Wests (1947–2012) Lob des Müßiggangs in Form eines dem | |
Otium gewidmeten Textes von 1995, einer Chaiselongue samt Foto, das zeigt, | |
wie der Künstler darauf schläft. | |
Auch Frances Stark (*1967) zeichnet sich in „Behold, Man!“ (2013), wie sie | |
im Studio auf dem Sofa ruht, wobei die Bilderwand hinter dem Möbel von Sex | |
und Gender spricht. Und bei Yelena Vorobyeva und Viktor Vorobyevs | |
Installation aus dem Jahr 1996 heißt es dann wirklich „The Artist is | |
Asleep“. | |
Christine Macels Art, die Bilder zu hängen, irritiert. Hat es wirklich | |
Sinn, Motive durchzuspielen? Dass dieser Ansatz die Sinne für die | |
Unterschiede schärfen würde, ist nicht ausgemacht. Eher schwächen sich die | |
Arbeiten gegenseitig ab. Das zeigt sich, wenn gleich darauf das Buch in | |
seiner Bearbeitung durch die unterschiedlichsten KünstlerInnen | |
durchdekliniert wird: Wir befinden uns nämlich im „Pavillon of Artists and | |
Books“. Hyperdidaktisch hat Christine Macel über die Motivsammlung noch den | |
Themenpavillon gestellt. | |
## Blasser Eindruck | |
Freude und Angst haben einen Pavillon, die Gemeingüter, die Erde, die | |
Traditionen und die Schamanen. Dazu kommen der Dionysische Pavillon, der | |
der Farben und der von Zeit und Unendlichkeit. Aber alle Sortierung hilft | |
nichts. Der Eindruck bleibt durchgängig blass, und nur vereinzelt merkt man | |
auf, sei es bei Heidi Bucher (1926–1993), Kader Attia (*1970) oder Ernesto | |
Neto (*1964), um nur ein paar Arbeiten zu nennen, die ins Auge fallen. | |
Heidi Bucher legt zwei Teile Damenunterwäsche zu wunderbar lebendigen, | |
zugleich reduzierten Bildern zusammen. Der Wäsche haftet dieselbe | |
altmodische Aura an, die auch den Aufnahmen orientalischer Diven wie Samia | |
Gamal oder Warda al-Jazairia eigen ist, die Kader Attia zu Gehör bringt in | |
einem Projekt, das die soziale Macht der Stimme im arabischen Kulturraum | |
erforscht. | |
Ernesto Neto hat im Pavillon der Schamanen ein imposantes Flechtzelt | |
aufgespannt, es geht ihm um das heilende Wissen und die entsprechenden | |
Zeremonien der Huni-Kuin-Indianer. Sie sitzen dann am Tag des | |
Presserundgangs auch im Zelt, und da fühlt man sich doch unangenehm an die | |
Zurschaustellung indigener Völker auf den Weltausstellungen des 19. | |
Jahrhunderts erinnert. | |
Dass es dort spannend wird, wo die KünstlerIn unverstellt und direkt auf | |
die Weltpolitik reagiert, zeigt Tracey Moffatt im australischen Pavillon. | |
In ihrem Video „Vigil“ (2017) schneidet sie die Bilder der Bootsflüchtlinge | |
gegen die entsetzten Gesichter großer Hollywoodstars wie Cary Grant, Doris | |
Day oder Elizabeth Taylor, die aus dem Fenster schauen. | |
## Alec Baldwin spricht Rolle von Flüchtlingen | |
Der Skandal des Tods im Mittelmeer wird in dieser ästhetischen Operation | |
aufgehoben. Sie macht es uns – als cinephil verortet, nicht nur kritisiert | |
– möglich, dass wir des Skandals gewahr bleiben. Ähnliches gelingt Candice | |
Breitz im Südafrikanischen Pavillon, wenn sie Julianne Moore und Alec | |
Baldwin die Rolle von Flüchtlingen sprechen lässt. | |
Nur vermeintlich politisch ist der Deutsche Pavillon, wo die | |
Performancekünstlerin Anne Imhof, sehr deutsch möchte man sagen, gleich | |
aufs Ganze geht. Wachhunde, Stahlumzäunung und Glasboden und -wände, die | |
das Haus durchziehen, bedeuten permanente Kontrolle, unser permanentes | |
Unterworfensein unter die Machtstrukturen des Kapitalismus, der die Körper | |
genauso wie das Recht okkupiert. | |
So die Grundidee des Gesamtkunstwerks aus Choreografie, Sound und Bildern. | |
Vielleicht sollte sich ihr Team, an das sie die Performance delegiert, mal | |
in den Green Light Pavillon bewegen? Sich darüber aufklären lassen, dass es | |
Rechte, etwa Arbeitsrechte, hat? Im Kapitalismus. | |
## Gigantische Skulpturen | |
Die Konkurrenz allerdings ist schwach. Sympathisch ist der partizipative | |
französische Pavillon, ein reisendes Musikstudio. Monumental, mit | |
gelegentlichem Witz: der Britische Pavillon, den Phyllida Barlow mit | |
gigantischen Skulpturen vollstellt. Wunderbar die veritable Retrospektive | |
der großen alten Dame der zeitgenössischen Kunst, Geta Brătescu (*1926) im | |
Rumänischen Haus. | |
Im US-amerikanischen Pavillon verhandelt Mark Bradford über seine großen | |
abstrakten Gemälde wie über direkte skulpturale Eingriffe seine Erfahrung | |
der Vereinigten Staaten als Afroamerikaner. Als die bezwingendste Arbeit | |
erlebt man aber auch hier eine ältere politisch intendierte Videoarbeit, | |
die auf Marilyn Monroes Hüftschwung referiert: In „Niagara“ (2005) sieht | |
man einen schwarzen Jungen die Straße runtergehen, in einer Bewegung, die | |
man tänzerisch nennen würde, die seine Umgebung aber als schwul denunzieren | |
wird. | |
15 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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