# taz.de -- Leonard-Cohen-Abend in Bremerhaven: Herzschmerz, Tränen und ein bi… | |
> Der Leonard-Cohen-Abend am Jungen Theater Bremerhaven kratzt am Image des | |
> tiefsinnigen Romantikers. Leider zu wenig. | |
Bild: Der Cohen singt, die Cohens hören zu | |
Gleich fünf Leonard Cohens stehen da im Rampenlicht, alle im Anzug und mit | |
Hut. Zwei davon sind Frauen. Für „Dance Me to the End of Love: Auf der | |
Reise mit Leonard Cohen“, das am Jungen Theater Bremerhaven Premiere | |
feierte, hat Regisseur Alexander Schilling den Musiker fragmentiert: Es | |
gibt den jungen Romantiker, den mittelalten Sinnsucher, den | |
Ganz-alt-Gewordenen – und noch ein paar andere, die sich nicht so recht | |
fassen lassen unter einem Etikett. Nur singen tun sie alle. Und das, um es | |
gleich vorweg zu sagen, richtig gut. | |
Dass nun auch im Theater mit dem Œuvre des Ende vergangenen Jahres | |
verstorbenen Ausnahmemusikers gespielt wird, ist nicht ganz neu. Während | |
aber der aktuell am Bremer Goetheplatz zu erlebende Cohen-Abend sich hinter | |
einem Wall dekonstruierender Distanz verschanzt, stürzt man sich in | |
Bremerhaven bis zu den Ellenbogen in den Schmalztopf: „Suzanne“, | |
„Hallelujah“, „Bird on the Wire“ und so weiter. Auch wer Cohens 14 | |
Studioalben umfassendes Werk nur nebenher im Radio verfolgt hat, wird seine | |
Freude an Hans-Jürgen Osmers’ Auswahl und Umsetzung haben. | |
## Disco und Jugendzimmer | |
Und wenn nicht grad gesungen wird, gibt es kurze Szenen, die Biographisches | |
in Erinnerung rufen, indem sie Fernsehinterviews, Briefe und Cohens Ansagen | |
von Live-Konzerten elegant verschneiden. Martin Käsers Bühnenbild greift | |
dabei das shabby chic des Jungen Theaters auf und schafft aus alten | |
Polstermöbeln und Spiegeln eine herrlich nostalgische Mixtur aus | |
70er-Jahre-Disco, Jugendzimmer und Künstlergarderobe. | |
Ein traumschöner Spielplatz für alte Geschichten: Cohens Zeit im Kloster | |
zum Beispiel, oder der Verrat seiner Managerin Kelley Lynch, die Cohens | |
Geld durchgebracht und ihn als greisen Pleitier wieder auf die Bühne | |
gezwungen hat. Viel erklärt wird dabei allerdings nicht. Wer Cohens | |
Biographie nicht wenigstens in ihren Grundzügen kennt, der hängt ab und an | |
ein wenig in der Luft. | |
Dabei wäre gerade Frau Lynch so ein Fall gewesen, bei dem ein bisschen | |
Kontext der Sache nicht geschadet hätte. Immerhin war sie nicht nur gierige | |
Pfennigfuchserin, sondern auch eine der unzähligen Geliebten. Ja, man hätte | |
Cohen schon noch mehr zusetzen können – und in wenigstens einem Fall auch | |
unbedingt müssen. | |
Da erzählt das Stück die alte Suggestionsgeschichte: Der jugendliche Cohen | |
lernt Hypnose und testet sie an der Haushälterin. In Trance zieht sie sich | |
aus, am Ende hat er Spermaflecken auf der Kleidung und sie fragt sich, | |
warum ihr Slip irgendwo im Sofa klemmt. | |
Da kann man auf der Bühne den Vorgang zuziehen und Cohens Selbstzweifel in | |
der Mauerschau berichten: „Er kommt sich vor, als würde er eine schwarze | |
Messe zelebrieren.“ Am Ende aber gibt die Episode dem großen Künstler dann | |
doch wieder nur charakterliche Tiefe. Wie man in Zeiten von #MeToo noch auf | |
die Idee kommen kann, eine Vergewaltigung (und wie sollte man das anders | |
nennen?) als Herrenwitzchen inklusive der erwartbaren Lacher des Publikum | |
zu inszenieren? Keine Ahnung. | |
## Kratzer im Lack | |
Aber immerhin: Das Thema liegt nun auf dem Tisch. Und an anderer Stelle | |
bekommt der Herzschmerz-Musikant durchaus auch von dieser Inszenierung | |
Kratzer im Lack. Das liegt insbesondere an den Schauspielerinnen Elif Esmen | |
und Sascha Maria Icks, denen das Kunststück gelingt, zwischen | |
dahinschmelzendem Groupie, verletzter Ex und selbstbewusster | |
Nein-Sagerinnen zu wechseln. Auch in der Musik funktioniert das, wo sie mal | |
selbst den Cohen geben, dann die Background-Sängerin – und wieder nach | |
vorne. Am schönsten übrigens bei der berühmten Trennungballade „So Long, | |
Marianne“, deren Refrain die beiden Sängerinnen wunderbar biestig von | |
hinter der Bühne in Cohens selbstmitleidiges Therapiegespräch keifen. | |
Und das ist schon spannend an dieser Inszenierung: Ganz ohne Potenzgehabe | |
und Männerphantasien geht die Musik nicht – und mit ihnen geht keine | |
Huldigung. Meistens bekommt die Inszenierung den Spagat hin. Und das ist | |
schon mehr als nur ein Anfang. | |
Termine: 30. 12., sowie 4., 20., 27. und 30. 1. 2018, je 19.30 Uhr, | |
[1][Junges Theater Bremerhaven] | |
25 Dec 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.stadttheaterbremerhaven.de/junges-theater/ | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
## TAGS | |
Leonard Cohen | |
Biografie | |
Pop-Kultur | |
Junges Theater | |
Musik | |
Theater | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2022 | |
Leonard Cohen | |
Leonard Cohen | |
Leonard Cohen | |
Leonard Cohen | |
Musiker | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Regisseurin über Leonard-Cohen-Oper: „Wenig Material, fein gesponnen“ | |
Musiktheater zu Gedichten von Leonard Cohen: Die Hamburger Regisseurin | |
Paula Rüdiger über ihre Aufführung von Philip Glass' „Book of Longing“. | |
Theater wieder moralische Anstalt: Weltretter mit Hasenherz | |
Im Stück „Planet der Hasen“ diskutieren in Bremerhaven zwei Nager mit ihrem | |
jungen Publikum, wie mit der drohenden Klimakatastrophe umzugehen ist. | |
Lyrikband von Leonard Cohen: Ein Selbst, das nie feststeht | |
Noch im hohen Alter präsentierte sich Leonard Cohen als werdender Künstler. | |
Ein neuer zweisprachiger Band ist sein literarisches Vermächtnis. | |
Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Ich bin nun der Älteste | |
Sein eigener Tod, ein Besuch im Krankenhaus und frühes Zubettgehen: Die | |
Songtexte von Leonard Cohen passen in viele Situationen. | |
Nachruf auf Leonard Cohen: Das Kaputte ist ein Anfang | |
Tod und Vergänglichkeit waren in Leonard Cohens Werk immer da. Aber im | |
Schmerz war immer auch Trost. Nun ist Cohen im Alter von 82 Jahren | |
gestorben. | |
Erinnerungen an Leonard Cohen: Schönheit, Liebe und Tod | |
Er gab dem Schmerz eine Grenze und öffnete ihn ins Unendliche: Die Musik | |
von Leonard Cohen ist etwas, mit dem man sterben lernen kann. | |
Cohens Album „You Want It Darker“: Gesang vom Trümmerberg herab | |
Leonard Cohens abschließendes Album ist harter Tobak. Musik und Texte | |
nehmen es mit seinen Großtaten aus früheren Jahrzehnten auf. | |
Loblieder auf Leonard Cohen: Sollen die anderen rennen, er flaniert | |
Eine Karriere voller Antithesen: Der kanadische Künstler Leonard Cohen ist | |
gestorben. Zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2014 sang die taz ihm fünf | |
Ständchen. |