# taz.de -- Loblieder auf Leonard Cohen: Sollen die anderen rennen, er flaniert | |
> Eine Karriere voller Antithesen: Der kanadische Künstler Leonard Cohen | |
> ist gestorben. Zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2014 sang die taz ihm | |
> fünf Ständchen. | |
Bild: Cohen mit 77: bei der Verleihung des Prinz-von-Asturien-Preises in Gijon. | |
„I’m slowing down the tune / I never liked it fast / You wanna get there | |
soon / I wanna get there last.“ | |
Mit Gospel beginnt Cohens neues Album, „Popular Problems“. Langsamkeit, so | |
singt er in dem schleichend vorgetragenen Auftaktsong „Slow“ weiter, sei | |
ihm von jeher wesensverwandt. Mit dem Alter habe das nichts zu tun. Sollen | |
die anderen rennen, er flaniert. | |
Antithesen waren Cohen in seiner Popstar-Karriere, die ja auch denkbar | |
langsam vom unterschätzten Montréal aus angehoben hat, weil er dort | |
zunächst als Schriftsteller reüssierte, reichlich vorhanden. Und sei es | |
sein Kurzhaarschnitt (wie auf dem ersten Live-Album „Live Songs“) als die | |
anderen die Haare lang trugen. | |
Die bizarrste Antithese ist „Death of a Ladies Man“, das 1977 erschienene, | |
vom mittlerweile verfemten Produzenten Phil Spector arrangierte Album. Es | |
verwirft Cohens signifikante musikalische Kargheit zugunsten einer barocken | |
Orchestrierung. | |
Es hat eines der schönsten Coverfotos der Popgeschichte (Cohen flankiert | |
von zwei renitent blickenden Frauen zu Tisch in Nashville), und es besingt | |
Liebe in acht Vignetten so spartanisch, wie es geht. Was wiederum die | |
Antithese zum satten Klang ist: „Wie Pfeile ohne Ziel“. Love it. JULIAN | |
WEBER | |
* * * | |
Die großen Momente kommen nicht zu dir, wenn du frisch geduscht bist, das | |
ist leider so. Und die heftigsten Gefühle und die Brüche warten nicht, bis | |
du dich darauf vorbereitet hast. Sie kommen zu dir, vielleicht auch einfach | |
aus dir, und dann sind da Scherben, und dann ist da Geschrei. Aber gerade | |
das Kaputte ist für Leonard Cohen oft der Anfang – das ist eine Idee, die | |
sich in seinen Gedichten und Liedern immer wieder findet, und es ist eine | |
Idee, die einem in dunklen Momenten den Arsch retten kann. „Ring the bells | |
that still can ring / Forget your perfect offering“, singt Cohen in | |
„Anthem“: „There is a crack in everything / That’s how the light gets i… | |
Es gibt sie zwar, die Schönheit, die blendet, weil sie so perfekt ist, es | |
gibt sie auch bei Cohen. Aber es gibt auch verrostete Schlüssel, verbrannte | |
Häuser und verfaulte Blumen, es gibt Kälte, Nässe, Schweiß, Schmutz. „I am | |
dirty as a glass roof in a train station“, schreibt Cohen in „Queen | |
Victoria and me“, „I’m naked and I’m filthy“ in „Anyhow“. | |
Vielleicht verzeiht man einem schmutzigen Menschen leichter als einem | |
sauberen. Vielleicht ist es aber auch wirklich erhabener, aus einem | |
Trümmerhaufen aufzustehen, als einfach aus einer Tür zu treten, durch die | |
man sowieso wollte. | |
Vielleicht sind Tränen manchmal feierlicher als rote Vorhänge: Das Perfekte | |
ist nicht das Interessante. Der „Famous blue raincoat“, er hat einen Riss | |
an der Schulter. In dem Anzug, den Cohen trägt, steckt ein „lazy bastard“, | |
der früher der „dirty little boy“ war. | |
Und die Liebe, um die sich auch bei Cohen so vieles dreht, selbst sie ist | |
nicht so ruhmreich, wie man sie sich wünscht: „And Love is not a victory | |
march / It’s a cold and it’s a broken Hallelujah.“ Dass aber das Kaputte, | |
wenn es auf Wut trifft, nicht unbedingt poetisch ist, hat Cohen auch selbst | |
gesehen. | |
In einem Text von 1978 schrieb er an eine, die ihn schwer enttäuschte: „You | |
fucking whore, I thought you were really interested in music. I thought | |
your heart was somewhat sorrowful.“ Ein paar Jahre später wurde daraus eine | |
Zeile in besagtem Hallelujah: „But you don’t really care for music, do | |
you?“ Stil ist etwas, das selten im Affekt entsteht. Und Weisheit ebenso. | |
MARGARETE STOKOWSKI | |
Zum ersten Mal begegnete ich Leonard Cohen 1995 in Dijon, Frankreich. Er | |
blickte mich vom Cover einer Kassette an, die jemand achtlos auf einen | |
Kleiderhaufen geworfen hatte. In den Semesterferien wurde die Altbau-WG mit | |
ihren Marmorkaminen und zerkratzten Parkettböden von jobbenden | |
Zwischenmietern wie mir bewohnt. Je mehr ich mich bei meinem | |
Archivpraktikum im Archäologischen Museum langweilte, desto ausschweifender | |
gestalteten sich die Abende, und in einer verkaterten Mittagspause schob | |
ich die Kassette erwartungslos in den Rekorder. | |
Ich war nicht nur verblüfft oder begeistert, sondern zutiefst, auch | |
physisch, ergriffen von dem, was ich da hörte. Es war völlig klar, dass | |
hier ein Dichter sang, dass bei dieser Musik das Wort im Mittelpunkt stand, | |
in seiner Bedeutung wie auch als Klang. Vor allem der Mantra-artige | |
„Stranger Song“ mit seiner fast surrealen Beschwörung der Vorläufigkeit, | |
des Schutzsuchens und Wiederaufbrechenmüssens hypnotisierte mich – lange | |
bevor ich aus Silvia Simmons Biografie erfuhr, dass Hypnose ein frühes | |
Steckenpferd des jungen kanadischen Juden gewesen war –, wobei ich mich | |
abwechselnd mit den besungenen Musen und dem rastlosen Sänger | |
identifizierte. | |
Natürlich waren „The Songs of Leonard Cohen“ auch der perfekte Soundtrack | |
zu einer Lebensphase, die sich wie ein geschmackvoll angekitschter | |
Claude-Sautet-Film anfühlte. Dabei blieb es nicht. | |
Cohen kam immer wieder, in seinen selbst besungenen Rollen als Vater und | |
Doktor, Kämpfer und Deserteur, als Liebhaber und Mönch. Mit noch | |
beißenderen Zeilen, noch ätzenderem Humor, mit noch demütigerer | |
Bereitschaft, sich der Kraft des Göttlichen, die da Leben heißt, zu | |
unterwerfen. | |
Die religiöse Dimension seiner Dichtung, die danach strebt, Askese und | |
Ektase, Dualismen und Widersprüche im Augenblick der Musik zu versöhnen, | |
wurde immer offensichtlicher. Selbstverständlich sucht man in seinen Versen | |
vergebens nach einem Happy End. | |
Zuletzt sah ich den Gentleman auf einem Facebook-Foto unter dem Titel | |
„another popular problem“ über eine offene Motorhaube gebeugt: ernstes | |
Gesicht wie eh und je, ein bisschen zerbrechlich vielleicht, aber in sich | |
ruhend und die allergrößte Kompetenz ausstrahlend, dass auch dieser Motor | |
bald wieder weiterläuft. EVA BEHRENDT | |
* * * | |
Leonard Cohens Songs sind etwas, was man mit sich selbst ausmacht, so wie | |
Sonnenuntergänge manchmal oder wenn man nachts aufwacht und das Haar der | |
Freundin auf dem Nachbarkissen liegt wie ein schläfriger goldener Sturm | |
(ein Cohen-Zitat, aus „Hey, That’s No Way To Say Goodbye“). | |
Typische Leonard-Cohen-Momente: wenn man den Tag über im Meer geschwommen | |
hat und dann noch im Abendlicht sitzt. Oder wenn man von der Arbeit kommt, | |
auf dem Weg mit dem Fahrrad anhält und sich für ein paar Minuten, bevor man | |
weiterfährt, unter einen Baum legt. Es sind vielleicht gar nicht die | |
erhebenden Augenblicke selbst, in denen man seine Musik braucht, ja | |
wirklich braucht. Es sind eher die Augenblicke danach, wenn die Berührung | |
durch das Gefühl, auf der Welt zu sein, nachzittert und wenn es, wofür man | |
nie die richtige Sprache hat, darum geht, die ureigene Dankbarkeit | |
festzuhalten. | |
„Verklärung des Gewöhnlichen“, so lautet eine Formel, mit der man dieses | |
Bedürfnis fassen kann. Bei Leonard Cohen kann man sich seine | |
kulturreligiösen Gefühle abholen, die man natürlich auch als Agnostiker | |
hat. | |
Wie funktioniert das? Coverversionen – die allerbesten: „If It Be Your | |
Will“ von Antony und „Chelsea Hotel No. 2“ von Rufus Wainwright – versu… | |
oft, das Pathoslevel seiner Songs anzuheben, die Lautstärke der Gefühle | |
aufzudrehen. Die Wirkung seiner Lieder beruht aber eher in ihrer direkten | |
Ansprache. „You don’t care for music, do you?“ – „I have tried, in my… | |
to be free.“ – „New York is cold but I like where I’m living.“ | |
In den schlichten Versen liegt eine Art Urvertrauen; er muss sich nicht | |
anstrengen, um verstanden zu werden. Es ist die Feierlichkeit seiner | |
Stimme, aber auch diese Unangestrengtheit im Umgang mit den großen Themen | |
(Liebe, Tod, Ewigkeit, Musik), die einen dabei erwischt. Worüber man nicht | |
sprechen kann, darüber muss man schweigen, heißt es. Aber man kann auch | |
schweigend zuhören. Worüber man nicht sprechen kann, dafür gibt es die | |
Songs von Leonard Cohen. DIRK KNIPPHALS | |
* * * | |
Zu den markantesten unter den vielen Legenden, die sich um seine Person | |
ranken, gehört die Geschichte einer Anmache in New York. Leonard Cohen, | |
damals bereits Lyriker und Romancier, der gerade den Einstieg ins | |
Musikgeschäft suchte, um seine bescheidene Einkommenslage zu reformieren, | |
hatte sich, wie viele Künstler und Bohemiens, Ende der 60er Jahre als | |
Dauergast ins Chelsea Hotel eingemietet. Von innerer Rastlosigkeit | |
getrieben, entwickelte er die Gewohnheit, sein Zimmer zu verlassen, um es | |
sogleich wieder zu betreten. Das gleiche Ritual mit dem Aufzug, in dem er | |
auf und ab fuhr, bis er dort eines Tages der gefeierten Sängerin Janis | |
Joplin begegnete. Auf seine Frage, ob sie jemanden suche, nannte sie den | |
Namen ihres Partners, Kris Kristofferson. Leonard Cohens Offerte ließ nicht | |
lange auf sich warten: „Sie haben Glück, ich bin Kris Kristofferson.“ | |
Ein beträchtlicher Teil seines Berufskapitals als Songwriter und Performer | |
besteht in der Kunst, Situationen wie das sich anschließende Gespräch – | |
gefolgt von einem lieblosen Geschlechtsakt auf einem ungemachten Hotelbett | |
– so in Worte und Musik zu fassen, dass das Ergebnis, in diesem Fall der | |
Song „Chelsea Hotel # 2“, gegen jede Wahrscheinlichkeit, nicht wie eine | |
schmierige Anekdote klingt, sondern den bedürftigen und verletzbaren | |
Protagonisten eine brüchige Würde, dem flüchtigen Moment ihrer Begegnung | |
die Dauer einer emotionalen Erkenntnis verleiht. Leonard Cohen hat eine | |
Karriere daraus gemacht, selbst noch für die profansten Angelegenheiten den | |
hohen Ton des Poeten, des Sehers und Propheten zu finden – und sie auf | |
diese Weise in eine kostbare Substanz zu verwandeln, die er an eine sich in | |
den letzten Jahren seines Lebens vermehrende Schar andächtig lauschender | |
Bewunderer weiterreicht. | |
Wie viele ihrer Zeitgenossen und ihrer Nachfolger ist Janis Joplin früh | |
gestorben. Leonard Cohen, daran besteht nach Kenntnisnahme seiner | |
Lebensgeschichte nicht der geringste Zweifel, trägt die Dämonen in sich, | |
die zur Zerstörung nicht nur des Selbst, sondern auch anderer Menschen | |
führen können. Er hat so viele Tiefpunkte durchlebt, wurde von so profunden | |
Depressionen heimgesucht, dass es niemanden überrascht hätte, wäre auch er | |
dem Club der toten Popstars beigetreten. Es scheint, als hätte seine | |
Rettung im Schreiben selber gelegen, im Vorgang der Transsubstantiation | |
durch die Kunst, in der Ernsthaftigkeit, mit der er seit den frühen 60er | |
Jahren seine großen Themen, seine Obsessionen, seine Abgründe sprachlich | |
bearbeitet hat, in der heiteren Frivolität, mir der er es mittlerweile | |
versteht, seinen Narzissmus in Szene zu setzen und produktiv zu machen. Wie | |
er es geschafft hat, vor dem Horizont eines apokalyptisch sich | |
verdüsternden Welthorizonts zu jener fast gespenstischen Gelassenheit zu | |
finden, von der sein 13. Album, „Popular Problems“, mehr denn je, beseelt | |
ist? „There’s a crack in everything. That’s how the light gets in.“ | |
CHRISTOPH GURK | |
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht zum 80. Geburtstag Cohens im | |
September 2014. | |
21 Sep 2014 | |
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Udo Jürgens | |
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