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# taz.de -- Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Ich bin nun der Älteste
> Sein eigener Tod, ein Besuch im Krankenhaus und frühes Zubettgehen: Die
> Songtexte von Leonard Cohen passen in viele Situationen.
Bild: Cohen, der Poet: 2012 wurde er für seine literarischen Songtexte ausgeze…
Am Freitagmorgen sagte jemand im Radio, Leonard Cohen sei gestorben.
Eigentlich war das keine Überraschung. Als ich ihn das letzte Mal live
gesehen hatte, in dieser schrecklichen O2 Arena, hatte ich gewusst, dass
ich ihn danach nicht mehr sehen würde.
Sein Tod berührte auf ganz andere Art als der Tod von David Bowie. Leonard
Cohens Werk war ja vollendet, er hatte sich auf den Tod vorbereitet und war
dankbar für das Leben, das er hatte leben dürfen. Meinen ersten Text in der
taz hatte ich 1988 über Leonard Cohen geschrieben, um den Sänger gegen
seine Liebhaber sozusagen zu verteidigen. Und so ging das dann weiter.
Immer wieder mal hatte man in Krisen anfallsartig Lieder von Leonard Cohen
gehört. Und viele unterschiedliche Lieblingslieder gehabt; „Famous Blue
Raincoat“, „Story of Isaac“, „Stranger Song“, „Dress Rehearsal Rag�…
„Diamonds in the Mine“, „Avalanche“, „Tower of Song“, „Seems so l…
Nancy“ natürlich, sein Requiem für eine junge Frau, die sich das Leben
genommen hatte, „in 1961“, dem Jahr, in dem ich geboren wurde.
Vielleicht weil Liebe und Tod so intime Sachen sind, hatte ich Cohen nur im
Konzert mit anderen hören können. Wenn im Alltag jemand Leonard Cohen
angemacht hatte, war mir das oft ein bisschen übergriffig vorgekommen.
Nun ist auch mein letzter Star gestorben, und ich bin nun der Älteste. Aber
das stimmt auch nicht ganz – Marc Almond lebt ja noch. Irgendwie passte der
Tod von Leonard Cohen thematisch ganz gut, weil mein zweitältester Freund,
bei dem ich in den letzten Wochen oft sozusagen Zivildienst gemacht hatte,
ein paar Tage zuvor in der Intensivstation gelandet und schon im Koma
gewesen war.
Eigentlich ist es ein Glück, dass er nun im Krankenhaus ist; zu Hause war
er dabei gewesen, sehenden Auges ins Ende zu rennen. Nun kann er nicht
weitertrinken, sein Diabetes wird neu eingestellt, danach wird entzogen,
und dann grüßt das Heim, auf das ich mich auch manchmal freue, im
Kinderglauben daran, dass es dort gute Duschen gibt und nette Schachspieler
und sonntags immer Sonntagsessen.
## Cohen-Zitate prägen
Am Abend kam G. zu Besuch. Eigentlich sind G. und M. die Einzigen, die ich
in den letzten Monaten gesehen hatte. Sie unterscheiden sich aber
beträchtlich: Während M. in Grimma geboren wurde, mit seinen Eltern in den
Westen zog und dann in den 70er Jahren politisiert und alkoholisiert wurde,
wurde G. erst in den 80ern in Mexiko geboren und ging vor neun Jahren nach
Berlin; während M. 1,80 ist, ist G. eher 1,58. Dass sie, wie M., aber
früher, so mit zwölf, genau wie ich, mit ihren Freundinnen und Freunden in
der Schule auch immer Schach gespielt hatte, war mir neu gewesen und freute
mich. Ich hatte ihr mal meine Lieblingsplatte von Cohen, „Death of a
Ladies'Man“, geliehen, und sie findet „True Love leaves no Traces“ am
besten.
Vor dem Schlafengehen las ich in Gerhard Henschels supergutem Tagebuchroman
„Abenteuerroman“, in dem Cohen auch oft zitiert wird. Ein paar Zeilen aus
„Diamonds in the Mine“, dem Lied, mit dem sich Cohen von den revolutionären
Hippies distanziert hatte, die in jenen Jahren manche Bühne anzündeten,
weil die Musik doch frei sein sollte.
Dann besuchte ich M. noch mal im Krankenhaus. Er war gut verkabelt; sein
Gesicht erinnerte an das Gesicht eines Boxers nach dem Kampf. Er erzählte
von dem sächsischen Mitpatienten, dem eine Gallen-OP bevorstand und dessen
Frau besorgt gefragt hatte: „Hast du auch was zu zwitschern?“.
Der Standardsatz im Krankenhaus wäre: „Ja, sofort, ich komm gleich“, und
wenn man sage „Mir ist kalt“, bekäme man als Antwort „Hier ist es nicht
kalt!“ So war das Wochenende. Am besten gefällt mir aber vielleicht doch
„Tonight will be fine“, auch wenn ich inzwischen eher um zehn ins Bett
gehe.
15 Nov 2016
## AUTOREN
Detlef Kuhlbrodt
## TAGS
Leonard Cohen
Erinnerung
Altern
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Leonard Cohen
Schwerpunkt Berlinale
Leonard Cohen
Musik
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