# taz.de -- Nachruf auf Leonard Cohen: Das Kaputte ist ein Anfang | |
> Tod und Vergänglichkeit waren in Leonard Cohens Werk immer da. Aber im | |
> Schmerz war immer auch Trost. Nun ist Cohen im Alter von 82 Jahren | |
> gestorben. | |
Bild: Leonard Cohen, 2009 | |
Woher kam diese Stimme? Es gibt so einen Moment, als ich vielleicht zwölf | |
bin, da komme ich ins Wohnzimmer, weil ich diese tiefe Stimme höre, wie ein | |
tanzendes Dröhnen. Ich hatte meine Eltern auf dem Sofa oder am Esstisch | |
vermutet, aber niemand ist da, außer der Stimme und den Geigen um sie | |
herum. „This waltz, this waltz, this waltz, this waltz / With its very own | |
breath of brandy and death.“ | |
Ein Lied, so alt wie ich, das wusste ich damals noch nicht. Ich kannte die | |
Musik, meine Eltern hatten sie schon oft gehört, aber mich interessierte | |
fast nie, was meine Eltern hörten. Und dann ist in dem ersten Moment, als | |
ich bewusst hinhören will, niemand da. Niemand, der sagt, wie dieser Typ | |
heißt oder was das ist, was da läuft. Bleibt nur, zu hören. Die Stimme, die | |
Chöre dazu, das Klavier, all die sich aus diesen Klängen ergebende | |
plötzliche Heiligkeit des Moments, wie eine feierliche Einladung, die auch | |
ein bisschen ein Befehl ist. Wahrscheinlich war meine Mutter profanerweise | |
in der Küche und mein Vater in seinem Zimmer oder auf Klo. Und gleichzeitig | |
war es, als wollten sie mir sagen, dass es Dinge gibt, die man besser mit | |
sich selbst ausmacht, und die Musik von Leonard Cohen gehört wohl dazu. | |
Ziemlich überraschend ein paar Jahre später der Moment, zu hören, dass der | |
Mann, dem die Stimme gehört, noch lebt und Alben veröffentlicht – und was | |
für welche. Dass er noch lebte, wunderte mich nicht deswegen, weil die | |
Musik so alt geklungen hätte, sondern weil sie mir eher wie eine | |
Naturkonstante schien, etwas Großes, das einfach immer da ist, ohne Anfang | |
und ohne Ende. Ähnlich irrational war dann wohl mein Gedanke: Ach was, er | |
ist ganze fünf Jahre jünger als mein Opa? Dann hat er ja noch ewig zu | |
leben. | |
Es tut weh, dass er jetzt tot ist. Ausgerechnet jetzt, mag man sagen. | |
Donald Trump zu kriegen und Leonard Cohen gehen zu lassen, was für eine | |
unendliche Farce. | |
## Das letzte Album | |
Dabei waren Tod und Vergänglichkeit in Cohens Werk schon immer da, und auch | |
dass er bald gehen würde, war klar. Seinen 82. Geburtstag erlebte er noch, | |
im September, da war er schon lange krank. Eigentlich: der Lauf der Dinge, | |
so unabwendbar. Und dann doch: dieser Schmerz, als es so weit ist. | |
Als das neue Album „You want it darker“ vor drei Wochen erschien, war klar, | |
dass es das letzte sein würde. Die Meldungen über Cohens Gesundheitszustand | |
waren nur das eine. Das andere waren die Eindeutigkeit und Nacktheit, mit | |
denen sich hier jemand dem nahenden Tod stellt. Das hebräische „Hineni | |
Hineni“ aus dem titelgebenden Stück steht über dem ganzen Album: Hier bin | |
ich. „I’m ready, my Lord“, singt Cohen. Es geht kaum deutlicher. | |
Die Besprechungen zum Album machten mich wütend, weil so viele von ihnen | |
klangen, als sei Cohen schon gestorben. Ich fing sie alle an zu lesen und | |
las kaum eine zu Ende, ich wollte nichts von all dem abschließenden Gerede | |
hören, denn es war doch gar nicht abgeschlossen. Vor einer Bahnfahrt kaufte | |
ich das Album und hörte es in der Regionalbahn. Ich weiß nicht, ob man | |
„Treaty“, das zweite Stück auf dem Album, überhaupt hören kann, ohne zu | |
weinen. In diesem Moment, in einem Feierabendzug, der durch Brandenburger | |
Nieselregen fuhr, war ich sehr froh, dass niemand neben mir saß, denn da | |
war wieder so ein Moment von Alleinsein mit Cohen, einer von den Momenten, | |
in denen das Tröstliche schon im Schmerz enthalten ist. Gleichzeitig fragte | |
ich mich, ob ich einen neuen Subwoofer für meine Wohnung kaufen soll, | |
allein wegen dieser Stimme. | |
## Ein Zwinkern von der guten Art | |
Cohen hätte verbittern können mit dem Alter, er hätte sich zurückziehen | |
können, im buddhistischen Kloster bleiben. Er hätte zynisch werden können, | |
als seine Managerin und frühere Geliebte seine Millionen veruntreute, | |
stattdessen ging er auf Tour. Er hätte seine Depressionen gewinnen lassen | |
können, stattdessen wurde er immer größer. | |
Viele von Leonard Cohens Texten strahlen einen Fatalismus aus, der von | |
tiefer Unerschrockenheit zeugt und ein Zwinkern von der guten Art ist. In | |
einem Interview sagte er einmal, dass es eine Freude gibt, die aus der | |
Schwere – oder Ernsthaftigkeit, „seriousness“ – kommt. Und diese Schwere | |
oder Ernsthaftigkeit sei das Wesen seiner Arbeit. Einmal soll er erklärt | |
haben, er habe Gitarre hauptsächlich gelernt, um Mädchen rumzukriegen. Was | |
soll man sagen – es hat funktioniert. | |
Es hilft gegen den Schmerz und die Trauer, laut Cohens Lieder zu hören und | |
sich daran zu erinnern, was er uns immer schon gesagt hat, oder eher: | |
gezeigt. Vieles von dem, was er gesungen hat, waren mystische Hymnen aus | |
dem Zerbrochenen heraus. Das Kaputte ist für ihn kein Ende, es ist ein | |
Anfang. „Ring the bells that still can ring / Forget your perfect | |
offering“, singt er in „Anthem“: „There is a crack in everything / That… | |
how the light gets in.“ Und auch Cohens wohl berühmtestes Stück, | |
„Hallelujah“, hätte nicht seine Wirkung, wenn es einfach ein Liebes- und | |
Lobgesang wäre wie so viele und nicht ein Text, der das Schmerzhafte, | |
Schmutzige, Kaputte, auch das nicht Geplante genauso ernst nimmt wie das | |
Perfekte und Schöne: „There’s a blaze of light / In every word / It doesn�… | |
matter which you heard / The holy or the broken Hallelujah.“ | |
## Von Wut zur Zuwendung | |
Es ist selten gemütlich in Cohens Texten, aber es ist nie trostlos. „New | |
York is cold, but I like where I’m living.“ Daran können wir uns auch jetzt | |
festhalten, in einer Zeit, die ohnehin viel Raum für Trauer braucht, um | |
dann Neues entstehen zu lassen. | |
Cohen schrieb 1978 in einem Text an eine Frau, die ihn schwer enttäuscht | |
hatte: „You fucking whore, I thought you were really interested in music. I | |
thought your heart was somewhat sorrowful.“ Es mussten erst ein paar Jahre | |
vergehen, bis daraus eine Zeile in „Hallelujah“ wurde: „But you don’t | |
really care for music, do you?“ | |
Diese Umkehr von Wut in Zuwendung ist vielleicht etwas, was jetzt immer | |
wichtiger wird. Zuwendung, nicht bloßes Annehmen. „Do you?“, fragt Cohen in | |
dieser Zeile, das ist immer noch ein irgendwie offenes Ende. | |
Bei einem Konzert in Warschau sagte er im Jahr 1985 zu seinem polnischen | |
Publikum: „Ich komme aus einem Land, wo wir nicht dieselben Kämpfe haben | |
wie ihr. Ich respektiere eure Kämpfe. Und es mag euch überraschen, aber ich | |
respektiere beide Seiten in diesem Kampf.“ Es war damals nicht klar, in | |
welche Richtung es mit Polen gehen würde. „Ich weiß nicht mehr, wer auf | |
welche Seite steht“, sagte Cohen damals, „es interessiert mich nicht | |
wirklich. Es gibt einen Moment, in dem wir die Seite übersteigen müssen, | |
auf der wir stehen.“ Er wünschte seinem Publikum Mut für dessen Kämpfe, | |
denn er wisse, auf beiden Seiten stehen Menschen, die für das Gute kämpfen. | |
Dieses Drüberstehen, ohne sich zu erheben, ist eines der vielen Dinge, die | |
von ihm bleiben. Es ist ein Wissen darum, dass die meisten Menschen einfach | |
nur versuchen, auf ihre Art weiterzukommen: „Like a bird on the wire / Like | |
a drunk in a midnight choir / I have tried in my way to be free.“ | |
11 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Margarete Stokowski | |
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